«Junge Wildtiere nicht berühren!»
Über den Umgang mit jungen Wildtieren
Im Frühling pflanzen sich die meisten Tiere in der Natur fort. Zudem lockt die warme Jahreszeit für Spaziergänge. Was tun, wenn ein junges Tier den Weg kreuzt? Ist es verlassen? Eine Tierärztin gibt Auskunft.
Wenn die Tage länger werden, es wärmer und grüner wird, pflanzen sich Tiere in der Natur fort. Ob Vegetation oder die Insekten, Nahrung ist jetzt reichlich vorhanden. Auch die Menschen lockt es nach draussen. Welche Überraschung, wenn plötzlich am Ackerrand ein kleines braunes Bündel entdeckt wird. Ein Feldhase!
«Auf jeden Fall liegen lassen», sagte Dr. Angela Gimmel in Basel über wilde Findeltiere in ihrem Referat an den Schweizerischen Tierärztetagen. Die Veterinärin betont, dass die meisten jungen Wildtiere in der Natur nicht verlassen sind. «Feldhasen setzen ihre Jungtiere im Acker oder Gras ab und kommen lediglich zwei- bis dreimal täglich bei ihnen zum Säugen vorbei.» Einmal durch Menschen berührt, werden sie von der Mutter verstossen. Angela Gimmel fordert: «Bitte nicht anfassen und nicht in der Nähe des Jungtiers stehen bleiben, sondern weitergehen!»
Genauso verhalte es sich bei jungen Rehen und Rothirschen. Sie werden von ihren Müttern im hohen Gras abgesetzt und nur sporadisch zum Säugen besucht. Feldhase, Reh und Hirsch vertrauen auf die Tarnung. Die Jungen sind Nestflüchter. Das heisst, sie sind kurz nach der Geburt mobil, drücken sich aber die meiste Zeit über in die Vegetation, um unentdeckt zu bleiben.
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Bei den Vögeln gebe es Nesthocker und Nestflüchter, erklärt Dr. Gimmel. Während ein Stockentenküken als Nestflüchter wenige Stunden nach dem Schlupf auf dem Wasser schwimme und nach Mücken hasche, blieben junge Amseln als Nesthocker blind und nackt im Nest und seien auf Fütterung durch die Eltern angewiesen. Doch Achtung, Dr. Angela Gimmel stellt klar: «Eine junge Amsel, die voll befiedert am Boden oder auf einem bodennahen Ast sitzt, ist nicht aus dem Nest gefallen, sondern sie ist ausgeflogen.»
Die Jungen vieler Vogelarten flattern voll befiedert aus dem Nest in Richtung Boden, denn sie können noch nicht richtig fliegen. Sie erlangen ihre Flugfähigkeit in den nächsten Tagen und werden noch von den Eltern gefüttert. Die Tierärztin präzisiert: «Sie werden als Ästlinge bezeichnet.» Sie müssten in Ruhe gelassen werden. «In der Natur erhalten diese Jungen weiterhin das für sie richtige Futter durch ihre Eltern. Anders sei es bei einem nackten Jungvogel. «Er ist aus dem Nest gefallen und braucht Hilfe.» Es sei am besten, ihn nach Möglichkeit wieder zurück ins Nest zu setzen.
Fund eines Wildtiers: Was zu tun istRehkitz, Hirschkalb, junger Feldhase
Nicht anfassen, von der Fundstelle weggehen, dem Wildhüter melden, wo sich das Tier befindet.
Fledermaus
Da sie biologisch komplex ist, sollte der Finder den Fledermausschutz kontaktieren.
Vögel
Nackte Jungvögel sollten zurück ins Nest gesetzt werden. Ist das nicht möglich, sollten sie in eine Wildtierstation gebracht werden. Befiederte Jungvögel bitte nicht anfassen. Sie werden von den Eltern betreut. Eine Ausnahme bilden Mauer- und Alpensegler am Boden. Sie können nicht wieder auffliegen und sollten in eine Wildtierstation gebracht werden.
Igel
Ein Igel in gefährlicher Situation sollte an einen sicheren Ort in der Umgebung gebracht werden. Ein verletzter Igel sollte in ein Wildtierzentrum oder zu einem Tierarzt gebracht werden. Ein junger Igel sollte nicht aus seiner Umgebung entfernt werden.
Angela Gimmel weist darauf hin, dass es zu rechtlichen Problemen führen könne, wenn Wildtiere eingesammelt würden. Auch der behandelnde Tierarzt sei da nicht ausgenommen. Gemäss dem Jagdgesetz und dem Natur- und Heimatschutzgesetz würden sich Privatpersonen wie auch Tierärzte strafbar machen, wenn sie ein Wildtier ohne Bewilligung einfangen oder gefangen halten. Das sei jedoch Voraussetzung für eine Behandlung oder Pflege. Angela Gimmel sagt: «Das Einholen einer solchen Bewilligung für die Pflege oder Behandlung von der zuständigen Behörde ist häufig und insbesondere ausserhalb der Bürozeiten nicht umsetzbar.» Warte die Tierärztin ab, bis sie jemanden erreichen könne, mache sie sich gemäss Tierschutzregelung strafbar, weil das Tier unnötig leide.
Ziel ist die Reintegration in die Natur
«Der Umgang mit Wildtieren wird einerseits im Tierschutzgesetz geregelt, andererseits je nach Tierart zusätzlich im Jagdgesetz oder im Natur- und Heimatschutzgesetz», erklärt die Veterinärin. Für die Umsetzung seien die Kantone zuständig. Die Tierärztin beleuchtet den Wirrwarr an Regeln anhand des Igels. Für diese Art bestünde eine bundesrechtliche Empfehlung, sie zu schützen. «Für den Schutz sind aber die Kantone zuständig. In einigen Kantonen handelt es sich um eine geschützte Tierart, in anderen nicht.»
Die Tierärzte hoffen auf eine angepasste Jagdverordnung, die am 1. Februar 2025 in Kraft treten soll. Dort wird geregelt, dass Veterinäre an Wildtieren eine erste Behandlung vornehmen dürfen.
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Angela Gimmel streicht heraus: «Ziel bei der Gesundpflege eines Wildtiers muss immer die Wiederauswilderung sein.» Werde bei der Erstuntersuchung klar, dass dies nicht möglich sei, müsse das Tier euthanasiert werden. Ein Tier, das vorher in der Natur lebte und nun vom Menschen umgeben ist, leidet grossen Stress. Es wird als nicht vertretbar angesehen, es mit einem Handicap in einer Auffangstation zu halten.
Wildtiere, die krank werden oder verletzt sind, werden in der Natur zur Beute. Kaum ein handicapiertes oder sonstwie auffälliges Tier hat eine Überlebenschance. Insofern entspricht die Euthanasie einem natürlichen Ablauf. Doch manchmal kann durch die sachgerechte Pflege oder durch veterinärmedizinische Eingriffe geholfen werden, sodass Wildtiere wieder zurück in ihren Lebensraum gebracht werden können, wo sie dann normal weiterleben.
Auswahl hilfreicher AdressenIgelzentrum Zürich: Tel. 044 362 02 03, igelzentrum.ch
Voliere am Mythenquai, Zürich: Tel. 044 201 05 36, voliere.ch
Fledermausschutz, Zürich: Nottelefon 079 330 60 60, fledermausschutz.ch
Igelpflegestation Walter Zoo, Gossau (SG): Tel. 076 573 65 21, walterzoo.ch
Igelhilfe Schweiz,Oberentfelden (AG): Tel. 056 552 16 02, igel-hilfe.ch
Wildhüter: Unter «Wildhüter Kanton xxx» werden im Internet die entsprechenden Personen und Gebiete angegeben.
Vogelpflegestation Sempach (LU): Tel. 041 462 97 00, vogelwarte.ch
Wildstation Landshut (BE): Tel. 032 665 38 93, wildstation.ch
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