Die Provence in der Schweiz
Provence im Oberaargau: Die Familie Wegmüller und ihr blühendes Lavendelfeld
Was machen mit einem Dreispitz Fläche, die von Kühen schlecht genutzt wird? Das Landwirtepaar Helen und Markus Wegmüller aus dem bernischen Leimiswil pflanzte Lavendel. Nicht nur die Ernte der Blüten bringt Ertrag.
Ferienstimmung ja, Provence nein. Was aussieht wie in Südfrankreich, liegt im Oberaargau. Auf einem zwölf Aren grossen Stück Land der Bauernfamilie Wegmüller gedeiht Berg-Lavendel. Das Feld verzaubert, weckt Träume, die Gedanken fliegen. Poesie pur. Und das nach 15 Minuten Zugfahrt von Langenthal (BE) ins Dorf Kleindietwil (BE) und einem zwanzigminütigen Spaziergang ins Eichholz. Dort liegt der zur Gemeinde Madiswil gehörende Hof von Helen und Markus Wegmüller und ihren Kindern Sarina, Sven und Jasmin. Ein Bauernhaus am Hang, dahinter eine Scheune, im Garten blühen Hortensien und Rosen, Gemüse wächst.
Markus Wegmüller betreibt den Betrieb in fünfter Generation. Zum Hof gehören 20 Angus-Mutterkühe mit ihren Kälbern, Mastschweine, Appenzeller Spitzhaubenhühner, zwei Kaninchen, 16 Hektaren Felder mit Gras, Mais, Dinkel, Sonnenblumen, Speiselupinen, Pflück-Himbeeren der Sorte Meeker – und Lavendel.
Wenig oberhalb des Bauernhofs entfaltet sich Ende Juni das blaue Farbenmeer. Helen Wegmüller erzählt, wie es dazu kam: «Dieser Dreispitz wurde von den Kühen schlecht genutzt.» Die Oberaargauer Firma Suissessences habe einen zusätzlichen Lavendelproduzenten gesucht. «Wir entschlossen uns, dieses Wagnis einzugehen», erinnert sich die Tourismusfachfrau und Bauerntochter. Das Paar hatte keine Erfahrung im Kräuteranbau. Der mediterrane Lavendel in der Schweiz? Allen Bedenken zum Trotz pflanzten sie auf den zwölf Aren schliesslich Berg-Lavendel oder Echter Lavendel (Lavandula angustifolia) an. «Diese Art gedeiht in Berggebieten in Südfrankreich, in der Provence wird eher die Art Lavandin, ein Hybridlavendel, verwendet», erklärt Helen Wegmüller unterhalb ihres blauen Traums. Beim Lavendel, den Gärtnereien anböten, handle es sich meist um die Variante Hidcote, die nicht so hoch werde und deren Blau tiefer sei.
Die Perspektive unterhalb des Feldes fesselt. Der Lavendel zieht sich am Hang in die Höhe bis zur Krete und läuft im blauen Sommerhimmel aus. Rauscht dahinter das glitzernde Meer? Vorerst kommen die Geräusche aus dem Feld. Bienen summen von einer Blüte zur anderen, Schmetterlinge tanzen über den wogenden, blauen Ozean.
Während Helen Wegmüller am Rand des Feldes nach oben geht, erzählt sie, wie 2008 alles begann. «Wir setzten 8500 Jungpflanzen, sehr eng und nicht in Reihen, wie in der Provence. Wir wollten, dass die Pflanzen möglichst schnell eine Fläche bildeten.» Die Provence hatte das Landwirte-Paar vorerst nur theoretisch vor Augen. Erst, als es sein eigenes Südfrankreich hatte, leistete es sich kurze Ferien im Land des Lavendels.
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Vielseitige Wirkstoffe des Lavendelöls
Im August des gleichen Jahres setzten sie nochmals Lavendel nach, um Lücken zu füllen. Die südländischen Pflanzen liessen sich gut an und verholzten mit den Jahren. «2016 erneuerten wir das Feld, erhielten aber leider zuerst die falsche Sorte. Als wir schliesslich die richtige gepflanzt hatten, schwemmte sintflutartiger Regen die Jungpflanzen weg.» Wegmüllers versuchten es noch einmal und sagten sich: «Wenn es dieses Mal nicht klappt, lassen wir es.» Doch es funktionierte, der Berg-Lavendel wuchs, bald konnten Blüten geerntet werden.
Helen Wegmüller steht nun auf der Krete, blickt über das Hügelland des Oberaargaus, gleich unterhalb ihr kleines Lavendelfeld. Sie sagt: «Lavendel mag sandigen, durchlässigen Boden und verträgt keine Staunässe.» In Töpfen sei die Kultur dieses Lippenblütlers schwierig. Leimiswil mit 600 Meter über dem Meeresspiegel scheint also der richtige Standort für die ursprünglich aus den Küstengegenden des Mittelmeerraums stammende Pflanze. Helen Wegmüller streicht heraus: «Wer Lavendel anbauen möchte, muss zuerst die Abnahme regeln.» Zwischenzeitlich liefern sie die Blüten der Firma Amriza aus Langenbruck (BL). Sie stellt aus Kräutern und Pflanzen Destillate her, so auch mit dem Lavendel.
«Lavendelöl ist vielseitig einsetzbar», lobt Helen Wegmüller. Es entfalte eine Heilwirkung auf offenen Wunden, wirke vorbeugend gegen Insektenstiche, zappelige Kinder werden bei einem Tropfen im Badewasser ruhiger. Lavendelessenz habe eine klärende Wirkung, beruhige. So eigne es sich auch für Kleinkinder und Wöchnerinnen, damit die Gelassenheit zurückkehre. «Lavendel ist so vielseitig, dass er sogar beim Zubereiten von Speisen eingesetzt wird», betont die Landwirtin. Die Lavendelblüten sind aber nicht der einzige Nutzen, welchen die Bauernfamilie aus dem Feld zieht.
Als Tourismusfachfrau hatte Helen Wegmüller bald eine Idee. Sie bat ihren Mann, eine kleine Plattform aus Holz mit einem Bett darauf ins Feld zu stellen. «Das schlug ein wie eine Bombe», sagt sie lachend und richtet die durchsichtigen, weissen Vorhänge rund um das Himmelbett im Lavendelfeld. Eine laue Sommernacht, rundherum blauer Lavendel, der betörende Duft, der einen umströmt; dieses Sommererlebnis ist so beliebt, dass bereits jetzt Nächte für 2026 gebucht werden.
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Zuerst die Insekten, dann die Ernte
Die Lavendelsaison dauert ungefähr von Mitte Juni bis Ende Juli. Das Feld liegt abseits von allem. Kein Wanderweg, keine Strasse, nichts als Felder und das Summen der Insekten. Auf der Krete steht das Auszeit-Hüsli. «Es kann während des ganzen Jahres gebucht werden», erzählt Helen Wegmüller. Hierhin können sich die Übernachtenden zurückziehen, sollte es ihnen im Freien zu kalt sein. Eine Freilanddusche hinter dem Häuschen, eine Grillstelle, eine Bank unter einer Linde; wer hier übernachtet, wähnt sich irgendwo im Traumland. Helen Wegmüller versorgt die Gäste zudem mit kulinarischen Köstlichkeiten.
Das Lavendelfeld zieht auch Leute für Fotoshootings oder zum Pflücken von Lavendelsträussen an. Helen Wegmüller vermarktet die Produkte des Hofs, koordiniert die Termine, nebst ihrer Aufgabe als Mutter und ihrer beruflichen Teilzeitanstellung im Marketing.
Wegmüllers führen ihren Hof mit Integrierter Produktion (IP), also naturnah und tierfreundlich. Das Lavendelfeld ist als Kräuteranbauzone davon ausgenommen und wird biologisch bewirtschaftet. Helen Wegmüller erzählt von einer interessanten Beobachtung: «Feldhasen zogen darin ihre Jungen auf, ideal für sie, denn dank des intensiven Lavendelgeruchs macht sie da der Fuchs nicht aus.»
Wenn der Lavendel blühe, gehöre er ganz den zahlreichen Insekten, erzählt die Bäuerin von ihrem Lavendeljahr. Wenn zwei Drittel der Blüten dunkelblau leuchteten, also in voller Blüte stünden, werde der Lavendel geerntet. Das sei meist Ende Juli der Fall. «Wir ziehen zu zweit einen Mähbalken darüber, die Blüten werden direkt in einen Sack geblasen. Die Ernte muss wegen der Essenzen am Ende des Vormittags erfolgen.» Bei dieser Gelegenheit wird der Lavendel auch zurückgeschnitten, wenig Grünes wird stehengelassen. Der Lavendel durchläuft im Herbst nochmals eine kleinere Blütezeit.
Im August wird zwischen den Lavendelstöcken gejätet, im Oktober nochmals, immer von Hand. «Nach der Winterpause beginnen wir im März wieder mit dem Jäten, denn wenn Lavendelpflanzen von anderen Kräutern durchwachsen werden, serbeln sie.» Die Bäuerin resümiert: «Es ist eine einfache Kultur, aber sie ist sehr handarbeitsintensiv.» Mit viel Schweiss entstehen eine exklusive Augenweide, ein Sommertraum in Leimiswil und wertvolle Essenzen für Körper und Seele.
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