Unterirdisch!
Der Sambische Kleingraumull – Begnadeter Baumeister im Rampenlicht
Der Sambische Kleingraumull würde vermutlich nicht den Schönheitsconcours im Reich der Tiere gewinnen. Dennoch gehört der begnadete Baumeister ins Rampenlicht.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Dennoch: Der Sambische Kleingraumull (Fukomys anselli) mit seinen stets entblössten, markanten Schneidezähnen, dem walzenförmigen Körper und den stecknadelgrossen Augen setzt punkto Ästhetik höchst eigenwillige Akzente. Doch mit diesem unverkennbaren Outfit hat er in seinem unterirdischen Imperium die besten Karten. «Graumulle sind perfekt an das Leben unter der Erde angepasst», bringt es Fabian Schmidt auf den Punkt, Kurator im Zoo Basel, wo insgesamt 13 dieser Tiere leben. Dass diese flinken Kerlchen, die zur Gattung der Sandgräber gehören, bei einem Zoobesuch selten an erster Stelle stehen, ist eigentlich nicht fair, so der Konsens unter jenen, die sie im Basler Zolli tagtäglich pflegen und hegen. Denn die Nager sind nicht nur Architekten erster Güte – auch ihr Sozialsystem ist höchst bemerkenswert.
Buddeln und bauen
Wer vor dem dreidimensional angelegten Bau im Etoscha-Haus des Basler Zolli steht, braucht einen langen Atem und scharfe Augen, um Leben in dem hinter Glas angelegten Röhrensystem zu erspähen. Doch plötzlich wuselt da etwas nahe an der Scheibe. Es muss sich um eines der drei Männchen der «Bachelorgruppe» handeln, das jetzt sein blassrosa Schnäuzchen an die Glasscheibe drückt, um sich sogleich wieder aus dem Staub zu machen. Fabian Schmidt vervollständigt, was dem menschlichen Auge bei dieser Stippvisite verwehrt geblieben ist: «Das Fell der bis zu 15 cm langen und 150 Gramm schweren Tiere weist eine goldbraune Färbung auf und auf der Stirn prangt ein weisser Fleck.»
Jetzt ist das Buddeln des kleinen Draufgängers nur noch zu hören. «Mit den kräftigen Schneidezähnen entfernt der Kleingraumull beim Graben Erde, die er mit den Vorder- und Hinterbeinen zurückschiebt», fährt Schmidt fort. Dabei zeigt das afrikanische, mit Stachelschweinen verwandte Nagetier grosses architektonisches Geschick: Zusammen mit weiteren Familienmitgliedern legt es mit seinen flinken, kurzen Beinen und dem imposanten Beisswerk horizontal verlaufende Gangsysteme an, die sich in der Wildbahn über Längen von bis zu 2,8 Kilometern erstrecken. Zu einem solch weitläufigen Komplex gehören auch eine sorgsam mit Blättern und Gräsern ausgekleidete Nestkammer und mehrere Futter- und Toilettenkammern.
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Arbeiter und Königspaar
Laut dem Basler Kurator herrscht in diesen rund sechs Zentimeter breiten Röhren eine Luftfeuchtigkeit von bis zu 90 Prozent. Hinzu kommt: Die einzelnen Familien – zehn bis dreissig Tiere sind dies durchschnittlich in der Wildbahn – leben ziemlich dicht aufeinander; auf 60 Hektaren wurden bisher 23 Familien gefunden.
Wie verschaffen sich die tapsigen Kreaturen den Durchblick in diesem verschachtelten, unterirdischen Höhlensystem? «Graumulle verfügen über ein stark eingeschränktes Sehvermögen. Sie orientieren sich dank ihres gut entwickelten Gehörs und den in den Augen platzierten Rezeptoren, mit denen sie das Magnetfeld der Erde wahrnehmen», führt Schmidt aus, während er die Türe öffnet, die den Blick auf das Gehege von hinten freigibt. In diese Zonen können sich die Tiere, von denen zwei stattliche zwölf Jahre aufweisen und damit die natürliche Lebenserwartung um mehrere Jahre übersteigen, zum Buddeln oder, wenn es ihnen zu laut wird, zum Ausruhen zurückziehen. Denn obwohl die äusseren Ohren stark zurückgebildet sind, nehmen die Mulle Vibrationen, Laute oder Klopfgeräusche auf der anderen Seite der Glasscheibe sehr gut wahr. Was die wenigsten Zoobesucher wissen: Im Sous-Sol des Etoscha-Hauses, welches für das Publikum nicht zugänglich ist, wuseln und graben die übrigen Familienmitglieder der Basler Kolonie in zwei abgetrennten Terrarien. «Hier halten wir zwei Zuchtgruppen mit je einer Königin und einem König», erklärt der Basler Zoologe.
Auch bezüglich Fortpflanzung geht der Graumull faszinierende Wege: Anders als bei den meisten monogamen Säugetieren bleiben die Nachkommen das ganze Leben lang bei Mama und Papa; die Söhne und Töchter verzichten auf eigenen Nachwuchs und helfen stattdessen, das Gangsystem aufrechtzuerhalten und die Kolonie vor Feinden zu schützen. Wie bei einem Bienenvolk besteht ein Staat aus Arbeitern und einem Königspaar, das sich fortpflanzt. «So wird Inzucht verhindert», resümiert Schmidt. Doch es gibt auch Ausnahmen: In der Wildbahn wandern hin und wieder einzelne Tiere ab und verpaaren sich neu.
Anspruchsvolle Zucht
Jetzt robbt ein Mini-Mull über den mit Spänen versetzten Boden und streckt die Zähne entschlossen in die Höhe. Es ist das Mitte April geborene Jungtier – das Nesthäkchen in dieser Kolonie, dessen Geschlecht noch nicht festgestellt werden konnte. Die insgesamt vier Jungtiere, die sich in den zwei Zuchtgruppen derzeit einen Weg durchs Leben bahnen, sind für den ZooBasel ein echter Erfolg. «Während mehr als zwei Jahren hatten wir keinen Nachwuchs mehr», sagt Schmidt und räumt ein: «Wir wissen bis jetzt noch nicht, wieso es mit der Zucht lange nicht geklappt hat und jetzt wieder rund läuft.» Und auch in anderen Punkten bleibt der emsige Graber ein Mysterium: So gibt es beimGeschlechterverhältnis eklatante Unterschiede zwischen den Kolonien in der Wildbahn und jenen in den fünf europäischen Zoos, in denen insgesamt 60 Graumulle leben. Fabian Schmidt: «Im Freiland kommen 1,2 Weibchen auf ein Männchen. In den Zoos gibt es jedoch einen deutlichen Überschuss an Männchen.» Auch in Basel stellen die Männchen eine klare Mehrheit; lediglich drei der 13 Tiere sind weiblich.
Das Königspaar hat bis zu drei Würfe jährlich, oft mit zwei bis drei Jungtieren. Nach der Geburt sind die Kleingraumulle blind und nackt. Das Fell wächst erst mit acht bis zehn Tagen. Mit 23 Tagen machen die Nesthocker dann erstmals die Augen auf, nach 82 Tagen werden sie unabhängig und helfen den älteren Geschwistern, das Tunnelsystem in Schwung zu halten.
Die gute Nachricht ist: Graumulle, die südlich der Sahara in Steppen, Savannen und Trockenwäldern leben, sind momentan in der Wildbahn nicht gefährdet. Weil sie ihre Bauten oft unter Golfplätzen, Gärten oder von Menschen bestellten Feldern anbringen, geht es ihnen aber oft an den Kragen: Sie gelten vielerorts als Schädlinge und werden in manchen Regionen gejagt und manchmal sogar gegessen.
Weniger schuften, länger leben
Bei den Graumullen sterben einige Tiere früher als andere. Gute Aussicht auf ein langes Leben hat das Königspaar, das während rund zwei Jahrzehnten kleine Mulle auf die Welt bringt. Die gemeinen Arbeiter, die sich unermüdlich für das Wohl der Sippe einsetzen, haben deutlich schlechtere Karten: Ihre Lebenserwartung beträgt in der Regel nur zehn Jahre. Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung in Jena und der Universität Duisburg-Essen wollten wissen, wieso die sexuell aktiven Tiere doppelt so alt werden wie jene im unteren Kastensystem. Dabei stiessen sie auf einen grossen Unterschied beim Anabolismus, also dem Aufbau körpereigener Stoffe, wie zum Beispiel Proteinen. Die Forscher fanden Belege dafür, dass die Graumulle der Arbeiterkaste unter Dauerstress stehen und dadurch früher altern.
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