Keine Angst vor grossen Brummern
Sieben Stiche töten ein Pferd – warum dieser Hornissen-Mythos nicht stimmt
Hornissen mögen bedrohlich wirken, sind jedoch äusserst friedfertig. Sie wollen lediglich anderen Insekten an den Kragen, was sie zu Verbündeten im Kampf gegen sommerliche Störenfriede macht.
Ein lauer Sommerabend, die Grillen zirpen, irgendwo singt eine Amsel, als die Idylle von einem tiefen Brummen unterbrochen wird. Insektenphobiker sind bei dem Geräusch schnell im Haus verschwunden, denn wer so laut summend in der Luft unterwegs ist, der ist gross. Tatsächlich gehören Hornissen (Vespa crabro) mit einer Körperlänge von bis zu zweieinhalb Zentimeter (Königinnen sogar bis dreieinhalb Zentimeter) zu den grössten fliegenden Insekten der Schweiz. Nicht nur die Körpergrösse wirkt bedrohlich, auch die klassische Wespenzeichnung und der rötliche Kopf wecken nicht gerade Vertrauen. Und doch hat die Hornisse zu Unrecht einen schlechten Ruf.
Entgegen der weitverbreiteten Meinung sind Hornissen weniger aggressiv als kleinere Wespenarten. Auch der Glaube, dass sieben Stiche ein Pferd und drei Stiche einen Menschen töten, stimmt nicht – gesetzt den Fall, man ist nicht allergisch. Ihr Gift ist weit weniger potent als das von Honigbienen. Zudem sind Hornissenstiche selten, zumal die Tiere im Gegensatz zu Wespen kaum gezielt Menschen anfliegen oder gar unprovoziert stechen. Hornissen, die entfernt vom Nest auf Nahrungssuche sind, stechen nur, wenn sie gequetscht werden. Entgegen der Gewohnheit ihrer kleineren Verwandten, in erster Linie der Deutschen Wespe und Gemeinen Wespe, stören Hornissen auch keine Kaffeekränzchen oder Grillabende, da sie nicht an menschlicher Nahrung interessiert sind. In Ausnahmefällen fliegen Hornissen fressende Wespen an, die so zur leichten Beute für die grossen Brummer werden. Lediglich wenn das Nest gefährdet wird, schalten Hornissen in den Verteidigungsmodus um.
Ein Staat entsteht
Ein Hornissenstaat besteht aus einer Königin, die im Frühjahr einen geeigneten Neststandort sucht und mit dem Bau eines neuen Nests beginnt. Alte Nester werden nicht wiederverwendet. Die Königin zerkaut Holzfasern zu einem Brei und formt Zellen in einer nach unten hängenden Wabe. In jede Zelle legt sie ein Ei. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die von der Königin noch selbst gefüttert werden. Die schlüpfenden Arbeiterinnen fliegen etwa ab Juni aus. Ab dann ist die Königin nur noch mit Eierlegen beschäftigt und ihre Töchter übernehmen den Rest der Arbeiten. Unter anderem erweitern die Arbeiterinnen das Nest um weitere Brutzellen und füttern die Larven mit erbeuteten Insekten und anderer tierischer Nahrung. Sie selber ernähren sich von zuckerhaltigen Flüssigkeiten, insbesondere von Baumsäften an Rindenverletzungen. Die Königin wird von den Arbeiterinnen miternährt. Die emsigen Tiere sorgen nicht nur für ihr leibliches Wohl und das der Brut, sondern auch für ein angenehmes Klima. Wird es im Nest zu heiss, so schlagen sie mit den Flügeln und sorgen durch den Luftzug für Abkühlung. Zudem tragen die Arbeiterinnen Wasser ein. Bei so viel Arbeit ist es kein Wunder, dass eine Arbeiterin im Schnitt nur etwa 20 Tage alt wird.
Ab August beginnt das Hornissenvolk, neben Arbeiterinnen auch Geschlechtstiere heranzuziehen, die in der Regel in grösseren Zellen schlüpfen. Bis zum Oktober entstehen so pro Volk etwa 200 Jungköniginnen. Sie werden noch im selben Jahr von männlichen Hornissen, den Drohnen, begattet, die danach rasch sterben. Auch die alte Königin und die letzten Arbeiterinnen sterben mit den ersten kalten Tagen, während sich die Jungköniginnen einzeln einen sicheren Platz zum Überwintern suchen. Im April des folgenden Jahres suchen sie sich dann einen Ort, an dem sie einen neuen Staat gründen können. Dafür bevorzugen sie natürliche Baumhöhlen, nehmen aber auch gerne Vogelnistkästen oder Hohlräume im Siedlungsraum in Beschlag. Wenn Jungköniginnen in der Nähe von Fenstern, Terrassen und Balkonen mit dem Nestbau beginnen, stösst das trotz aller Friedfertigkeit der Tiere nicht immer auf Gegenliebe.
Umsiedlung im Notfall
Bei genügend Sicherheitsabstand zum Nest steht einer friedlichen Nachbarschaft zwar nichts im Wege, aber gerade für Allergiker ist das Risiko dann doch oft zu gross. Andi Roost von hornissenschutz.ch rät, einzelne Königinnen erst einmal zu beobachten: «Etwa 95 Prozent der Jungköniginnen sterben in den ersten 40 Tagen nach der Nestgründung. Sollte die Königin aber erfolgreich sein und die ersten Arbeiterinnen beobachtet werden, dann besteht die Möglichkeit, zu handeln.»
Andi Roost bietet zusammen mit kantonalen Ansprechpartnern die Umsiedlung von Hornissennestern an. Dabei wird das Nest mitsamt der Königin in mehreren Schritten in eigens dafür konstruierte Hornissenumsiedlungskisten platziert und an einen geeigneteren Standort gebracht. Wann immer möglich, überzeugt Roost die Melder jedoch, das Hornissennest unbehelligt vor Ort zu lassen. «Hornissen sind sehr nützliche Tiere», betont er. «Ohne diese wichtigen Jägerinnen würden Fliegen, Mücken, Bremsen und andere unbequeme Insekten Überhand nehmen und uns Menschen noch mehr belästigen.» Wer also Hornissen im Garten beobachtet, der braucht sich nicht zu fürchten, sondern kann sich im Gegenteil über eine Verbündete im Kampf gegen andere sommerliche Plagegeister freuen.
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