Zahme Kraftprotze
Listenhunde: Weshalb die Rasse nur zweitrangig ist
Als Reaktion auf die zunehmenden Bissattacken werden immer mehr Hunderassen kantonal reguliert. Doch wie sinnvoll ist das wirklich? Ein Augenschein bei einer Hundeschule, die auf Listenhunde spezialisiert ist.
Amala klebt förmlich an den Beinen ihres Halters, als sie ums Übungsfeld herumgehen. Die aufgeweckte Hündin lässt ihr Herrchen kaum aus den Augen, allzeit bereit für den nächsten Befehl. Was wie eine Vorstufe zum Hundesport aussieht, ist für den Pitbull Terrier wöchentliche Routine, um den Grundgehorsam zu festigen. Kommandos wie «Sitz», «Platz» und «Bleib» führt Amala mit einer vertrauten Selbstverständlichkeit aus. Auch bei simulierten Alltagssituationen, etwa dem engen Kreuzen von Artgenossen, lässt sich die vierjährige Hündin nicht aus der Ruhe bringen. «Das sind meine Vorzeigehunde», erklärt die Inhaberin der Hundeschule Teamwork Hundetraining, Sylvie Python stolz und zeigt auf die drei anwesenden Teams. «Wenn ich Hunde im Einzeltraining habe, die von einem grösseren Hund gebissen wurden, lade ich den Halter samt Vierbeiner in dieses Training ein», erzählt sie. «So können beide sehen, dass es auch anders geht und das Trauma meist überwinden.»
Was sind Listenhunde?
Hunde, die in der Vergangenheit zum Kampf oder zur Verteidigung gezüchtet wurden, gelten aufgrund ihrer erhöhten Beisskraft als potenziell gefährlich. Deshalb führen manche Kantone Listen mit Rassen, für die besondere Vorschriften gelten oder deren Kauf komplett verboten ist. Diese Listen sind jedoch weder abschliessend noch deckungsgleich. Aktuell macht jeder Kanton seine eigenen Regeln.
Sylvie Python, die selbst einen American Bully und einen Amstaff-Mischling hält, bietet unter anderem Grundkurse an, die im Kanton Aargau für Listenhunde obligatorisch sind. Für diejenigen, die auch nach der Prüfung weiter üben möchten, macht sie ein wöchentliches Wiederholungstraining. «Nur, weil man es einmal gelernt hat, heisst das nicht, dass es bleibt», erklärt eine Teilnehmerin ihre Motivation. Ständige Repetition hält sie deshalb für entscheidend. «Ich merke schon, dass die Konsequenz meinerseits in der Weihnachtspause nachlässt», pflichtet der Halter von Amala ihr bei. «Der Gehorsam gibt Struktur, mit der wir ungewohnte Situationen von vornherein besser handeln können», erklärt er. «Wenn ich ihr das Kommando Sitz gebe, ist sie sofort in einer Komfortzone.»
Keine Rassen für Anfänger
Dass längst nicht alle Hunde – ob auf einer Liste oder nicht – so gut trainiert sind, weiss Sylvie Python besser, als ihr lieb ist. «Besonders Ersthundebesitzer unterschätzen manchmal, wie viel Konsequenz und Training nötig sind», so die Hundetrainerin. Sie streitet nicht ab, dass manche Rassen noch mehr Strukturen brauchen als andere. «Viele Listenhunde sind kräftig, wachsam und selbstbewusst», erklärt die Expertin. «Vor allem Menschen mit geringem Selbstwertgefühl oder psychischen Erkrankungen können bei der Erziehung schnell überfordert sein.» Sie empfiehlt deshalb, sich vor einem Kauf gründlich mit den rassespezifischen Eigenschaften auseinanderzusetzen und sich zu überlegen, ob das wirklich passt. Auch sollte man körperlich in der Lage sein, den eigenen Hund im Notfall an der Leine zurückhalten zu können. Denn nicht alle Situationen sind vorhersehbar – und damit auch nicht trainierbar.
Herkunft birgt die meisten Probleme
Noch entscheidender als die Rasse findet Sylvie Python jedoch das Umfeld, in dem ein Hund aufgewachsen ist. «Auslandhunde kommen meist aus schwierigen Verhältnissen, haben Traumata erlitten oder wurden in völlig anderen Lebensgewohnheiten aufgezogen», erklärt sie. «Ohne die nötige Unterstützung und ein Umfeld, das auf seine besonderen Bedürfnisse eingeht, kann der Hund Schwierigkeiten haben, sich korrekt zu verhalten und sich in der Gesellschaft gut zu integrieren.» Eine Regulierung auf die Einfuhr von Ausland- und Tierschutzhunden fände sie deshalb sinnvoller als die aktuelle Listenpolitik. «Das eigentliche Problem – verantwortungslose und uninformierte Halter – wird damit im Moment nicht gelöst», ist sie überzeugt. «Anstatt sich auf einzelne Rassen zu konzentrieren, wäre ein besserer Ansatz, die Ausbildung und Halterkompetenz in den Fokus zu rücken.»
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Für Sylvie Python geht es nicht darum, alle Hunde gleich zu machen. Denn nicht alle Traumata seien therapierbar, ist sie sicher. «Wichtig ist, dass der Halter versteht, was er an der Leine führt», erklärt die Trainerin. «Er muss die Körpersprache und die spezifischen Ängste und Unsicherheiten des Hundes kennen und managen können.» Nur so könne er sicherstellen, dass der Hund sich in seiner Umwelt zurechtfindet und keine Gefahr für andere und sich selbst darstellt.
Wenn ein Hund-Mensch-Team das Hundehalterbrevet des Kanton Aargau besteht, laufe schon vieles gut, ist Python überzeugt. «Allerdings finde ich es ziemlich schwierig, dass jeder Kanton der Schweiz seine eigene Regelung hat.» Denn so können Rasseliebhaber ohne Interesse an Erziehung einfach in einen anderen Kanton ziehen, wo es keinerlei Beschränkungen oder Pflichten gibt.
Mühsamer kantonaler Flickenteppich
Auch ihre Kursteilnehmenden ärgern sich über die uneinheitlichen Regelungen. «Besonders problematisch finde ich die Maulkorb-Pflicht in manchen Kantonen, da sie Amala grossen Stress bereitet und uns deshalb in unserer Mobilität einschränkt», so ihr Halter. Tatsächlich bieten Maulkörbe zwar unmittelbare Sicherheit, können allerdings auch negative Auswirkungen haben: darunter Kommunikationsprobleme mit Artgenossen sowie ängstliche Passanten, die den Hund verwirren. Auch könnte eine falsche Sicherheit für den Halter entstehen, da sich der Hund mit einem Maulkorb möglicherweise ruhiger verhält. «Sobald der Maulkorb weg ist, kann das ursprüngliche Verhalten schlagartig zurückkommen», so Sylvie Python. «Entscheidend ist in jedem Fall, den Hund positiv an den Maulkorb zu gewöhnen, damit er ihn nicht als Strafe sieht.» Einmal mehr lautet die Lösung also: Training, Training und noch mehr Training.
Trotz der vielen Herausforderungen, denen Halterinnen und Halter mit ihren vierbeinigen Kraftprotzen begegnen, bereut niemand der Kursteilnehmenden die Entscheidung für die besondere Rasse. Sylvie Python betont allerdings, dass man sich bewusst sein soll, dass der Besitz eines Listenhundes mit grosser Verantwortung verbunden ist. «Wer über ausreichend Erfahrung, Zeit und Engagement verfügt, kann in einem Listenhund einen sehr loyalen und ausgeglichenen Begleiter finden», ist sich die Hundetrainerin sicher. «Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt, sollte besser eine andere Hunderasse in Betracht ziehen.»
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