Wenn Vermenschlichung zur Qual wird
Lächelt mein Hund wirklich? Was Körpersprache uns wirklich sagt
Ist der Hund wirklich happy, wenn er «lächelt»? Will er dem Kind tatsächlich ein Küsschen geben? In den sozialen Medien wird hündisches Verhalten oft fehlgedeutet. Reichweite geht vor Tierwohl.
Sehr viele Hunde werden heute als vollwertige Familienmitglieder betrachtet. Dies hat bekanntermassen viele positive Auswirkungen auf Mensch und Tier. Problematisch wird es allerdings dann, wenn Hunden menschliche Verhaltensweisen und Emotionen zugeschrieben werden, die sie in Wahrheit nicht haben. Aufgrund des jahrtausendelangen Zusammenlebens ist die Vermenschlichung von Hunden (Anthropomorphismus) kein gänzlich neues Phänomen. Besonders negative Auswüchse findet man jedoch heute in den sozialen Medien, wo sogenannte «Petfluencer» mit Haustieren (engl. «pets») um medialen Einfluss (engl. «influence») und Reichweite buhlen.
Fotos und Videos von vermeintlich spielenden, lachenden oder küssenden Hunden sind beliebt und werden millionenfach geteilt. Während ihr Anblick User entzückt und entspannt, bedeuten sie für die gezeigten Hunde leider häufig das pure Gegenteil. Nicht selten sind es gerade die Stresszeichen der Tiere, die von der Online-Community als besonders herzig wahrgenommen werden. Der Nachahmungseffekt macht dies noch prekärer. Er fördert nicht nur Tierleid, sondern kann schlimmstenfalls sogar zu Unfällen führen. Denn: Lange bevor sich ein Hund aktiv zur Wehr setzt, zeigt er in aller Regel seine Abneigung in Form von sogenannten Beschwichtigungssignalen (siehe Kasten).
Nicht immer kommt das, was Menschen wohl-wollend meinen, beim Hund gut an. Dies insbesondere dann, wenn es mit Körperkontakt verbunden ist, wie z.B. beim Streicheln. Dieses ist für manche Hunde bisweilen schwer zu verstehen. Denn: In der hündischen Sprache ist das Auflegen einer Pfote auf einen anderen Hund ein Zeichen von Einschüchterung. Auch wenn sich viele Hunde im Laufe der gemeinsamen Domestikationsgeschichte an die körperliche Nähe zum Menschen gewöhnt haben und sie sogar geniessen: Nicht jeder Hund mag es, in jeder Situation gestreichelt zu werden. Zu erkennen ist dieses Unbehagen dann z.B. daran, dass der Hund Kopf und Blick abwendet, gähnt oder sich um die Schnauze schleckt.
Auch wenn Hunde in einer solchen Situation beginnen, den Menschen intensiv mit langer Zunge im Gesicht oder an den Händen zu lecken, kann dies eine Aufforderung zum Aufhören sein. Leider wird gerade dieses höfliche Distanzlecken, oder auch «Kiss to dismiss», oft falsch verstanden. Küssen ist unter Menschen schliesslich ein Zeichen der Zuneigung. Und da das Streicheln ja gut gemeint war, scheint die Reaktion des Hundes aus menschlicher Sicht nur angemessen. Statt auf Distanz zu gehen, wird das Beschwichtigungsverhalten dann fälschlicherweise als Liebesbeweis und Aufforderung zum Weitermachen verstanden.
Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut
Ein ähnliches Missverständnis betrifft das «Hunde-lächeln». Dabei zeigt der Hund ein geöffnetes Maul mit weit nach hinten gezogenen Lefzen und zusammengekniffenen Augen. Zwar gibt es Vierbeiner, die das menschliche Lachgesicht unter gewissen Umständen reproduzieren können. Mit einem spontanen Ausdruck der Freude hat es allerdings wenig zu tun. Manchmal ist es ein erlerntes Verhalten wie «Sitz» und «Platz», das auf ein bestimmtes Kommando hin gezeigt wird. Je nach Situation kann das Zähnezeigen aber ebenso der Beschwichtigung dienen oder eine Drohgebärde darstellen. Um das zu erkennen, muss man immer die gesamte Körpersprache des Hundes berücksichtigen. Diese bleibt in den Videos von vermeintlich lächelnden Hunden aber meist unberücksichtigt, dies meist aus Unkenntnis und/oder weil sie nicht zum klickstarken «Happy Dog Post» passt.
Auch jenseits der sozialen Medien führt es zu Missverständnissen, wenn die Wahrnehmung des Hundes vermenschlicht wird. Ein klassisches Beispiel betrifft das Tätscheln des Hundekopfes. Während viele Menschen ein scheinbar unstillbares Verlangen danach verspüren, auf diesem Weg ihre Zuneigung zu zeigen, empfinden es Hunde oft als unangenehm. Allerdings zeigen sie es nicht (mehr) immer, weil sie sich – wie an das Streicheln des Rumpfes – über Jahrtausende daran gewöhnt haben. Insbesondere als Lob bzw. positiver Verstärker beim Training ist das Kopftätscheln daher denkbar ungeeignet. Es lenkt nicht nur unnötig ab, sondern kann in manchen Fällen sogar kontraproduktiv wirken. Gleiches gilt für das kameradschaftliche Klopfen auf den Rumpf oder das Umarmen, wodurch sich viele Hunde körperlich bedrängt fühlen. Trainer-Tipp: Gerade weil es im Alltag mit fremden Menschen oft vorkommt, dass sie den Hund zur Begrüssung von oben herab am Kopf anfassen, sollte man den eigenen Hund schon früh mit positiver Verstärkung daran gewöhnen. So lässt sich das Unangenehme wenigstens so angenehm wie möglich gestalten.
Gar nicht lustig
Zur Vermenschlichung gehört es leider auch, wenn Hunde auf Social Media zur Belustigung der Zuschauer herhalten müssen. Nach dem Motto «Ist doch nur Spass» werden Hunde vielfach z.B. zu bestimmten Anlässen wie Halloween oder Weihnachten bunt verkleidet. Je nach Garderobe muss dies zwar nicht gleich traumatisierend wirken, richtig wohl fühlt sich aber kaum ein Vierbeiner mit Zipfelmütze und Weihnachtsmann-Kostüm. Die Grenze zur Tierquälerei ist aber spätestens dann überschritten, wenn z.B. Hunde mit Zwangsstörungen wie dem Schwanzjagen belustigt zur Schau gestellt werden.
Um Hunde besser zu verstehen, sollte man ihre Körpersprache genau und wertfrei beobachten. Für eine Analyse der subtilen und komplexen Körpersprache eignen sich Videoaufnahmen, die man mehrfach oder in Zeitlupe abspielen kann. Wer über hündisches Verhalten Bescheid weiss, ist in der Lage, zwischen lustigen Videos und Tierquälerei unterscheiden. Um aktiv dagegen vorzugehen, kann man derartige Inhalte auf Facebook, Instagram, Tiktok und Co. melden – oder einfach ignorieren.
«Consent-Test»: Ist dein Hund ein Schmusebär?Man streichelt den Hund einige Sekunden an der Brust, macht eine Pause und beobachtet seine Reaktion. Versucht er, den Menschen mit der Pfote zum Weitermachen zu motivieren? Lehnt er sich stärker an oder dreht sich auf den Rücken, um dort gekrault zu werden? Dann ist alles bestens und man kann gerne weitermachen. Wendet er jedoch Kopf und Blick ab, gähnt er, leckt er seine Lippen oder geht er weg, ist ihm der körperliche Kontakt unangenehm. Dies sollte man respektieren.
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