Folgt man der Industriestrasse in Aarwangen, rückt der Wald näher; auf Grau folgt immer mehr Grün. Im ersten Stock eines Gebäudes ganz am Ende der Industriestrasse befindet sich Wotans Tierhilfe. Aus den Zwingern, die sich im Raum befinden, schellt einem lautes Gebell entgegen. Doch ein Pfiff von Jasmine Hügi genügt, um die Vierbeiner verstummen zu lassen. «Unsere Hunde begrüssen einen manchmal lautstark», meint sie lachend.

2022 hat die gelernte Tierpflegerin in Aarwangen ihre eigene Tierbetreuung eröffnet. Und nicht nur das: «Für mich war von Anfang an klar, dass dazu auch ein Tierschutzverein gehören wird. Ich wollte Hunde aufnehmen, die sonst nirgends einen Platz finden.» Schwer vermittelbare Hunde sind das Spezialgebiet von Wotans Tierhilfe. «Ob sie aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten oder gesundheitlichen Problemen schwer vermittelbar sind, spielt dabei keine Rolle, erklärt die Gründerin. «Der Verein Wotans Tierhilfe soll für alle Hunde da sein, die in Tierheimen länger auf einen Platz warten müssen.»

Für diese Spezialisierung hat sich Hügi aufgrund gesammelter Erfahrungen in diversen Tierheimen entschieden. Einige Hunde seien innert weniger Wochen vermittelt, bei anderen dauere es über ein Jahr, erzählt die gelernte Tierpflegerin. «Diejenigen Hunde, die nicht schnell ein neues Zuhause finden, haben oft Hintergründe, an denen man arbeiten könnte. Doch dafür fehlten Zeit, Infrastruktur und Personal.» Mit der Gründung des Vereins Wotans Tierhilfe wolle sie genau solchen Vierbeinern eine zweite Chance geben. «Wir möchten mit unseren Hunden arbeiten, sie trainieren und resozialisieren, damit sie so rasch wie möglich ein neues Zuhause finden.»

Neue Immobilie gesucht

So edel die Mission, so beschränkt ist der Platz bei Wotans Tierhilfe. In Aarwangen bestehen die Vereinsräumlichkeiten aus diesem einen Raum. Ein zweiter Standort befindet sich in Obersteckholz bei Langenthal. Aktuell ist Mini-Bullterrier-Dame Fluffy die einzige schwer vermittelbare Hündin, die Wotans Tierhilfe betreut.

Zudem wohnt Thanos, ein dreijähriger Presa Canario (dt. Kanarische Dogge), bei einer Pflegestelle eines anderen Tierschutzvereins in Aarwangen. «Das war eine Art Notfalllösung», erzählt Jasmine Hügi. «Momentan sind wir der Pflegeplatz für Thanos, bis er hoffentlich bald ein tolles Zuhause findet.»

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Bei den restlichen Hunden an der Industriestrasse handelt es sich um Ferienhunde; in Obersteckenholz sind vor allem Tageshunde untergebracht. «Wir brauchen eine gewisse Anzahl an Ferien- und Tageshunden, um das ganze überhaupt aufrecht erhalten zu können», erklärt die Gründerin. «Seitens Verein haben wir aktuell nur Kapazitäten für einen schwer vermittelbaren Hund.»

Diesen Platz belegt die fünfjährige Fluffy seit über einem Jahr. Doch in dieser Zeit habe die Hunde-Dame extreme Fortschritte gemacht, schildert Hügi. «Lernspaziergänge, bei denen auch andere Hunde dabei sind, waren für sie am Anfang ein Ding der Unmöglichkeit. So wie Fluffy früher war, vor all unseren Trainings, wäre es wahnsinnig schwierig geworden, einen Platz für sie zu finden.» Der Trainingsaufbau rund um Fluffy habe viel Aufwand und Zeit in Anspruch genommen. «Aber das braucht es halt einfach.»

Um die beste Trainingsmethode zu ermitteln, wird jeder Hund ganz individuell betrachtet. «Wir schauen, was er braucht, was er mitbringt, was seine Thematiken sind und was wir tun können, um diese zu beheben», so die Hundetrainerin. So werde ein Training entwickelt, das für Hund und Halter umsetzbar ist.

Über mangelnde Anfragen könne sich der Verein Wotans Tierhilfe nicht beklagen. «Es gibt so viele schwierige Hunde, die teilweise dringend wegmüssten. Und wir können einfach nicht mehr machen, weil wir keinen Platz haben.» Daher ist der Verein auf der Suche nach einer passenden Immobilie im Raum Langenthal, «damit wir mehr schwer vermittelbaren Hunden eine zweite Chance geben können.» Wichtig wäre dabei, genügend Platz, sowohl für Gruppen-, als auch für Einzelhaltung, zu haben. Denn: «Gerade, wenn es um die Sozialisierung geht, bringt es nichts, wenn ich die Ferienhunde irgendwo separiert halten muss.»

Fluffy und Thanos suchen ein neues Zuhause

Mit Fluffy, Thanos und allen Ferien- und Vermittlungshunden geniesst Jasmine Hügi einen äusserst abwechslungsreichen Berufsalltag. «Jeder Tag ist anders. Wir haben immer wieder andere Hunde mit unterschiedlichen Bedürfnissen da und passen uns ihnen entsprechend an», so die Hundebetreuerin. Mittlerweile ist Wotans Tierhilfe kein Fulltime-Job mehr für die Tierpflegerin. «Schliesslich habe ich ja mein Team, das mich tatkräftig unterstützt.» Die Mitarbeitenden kümmern sich sowohl um die Ferien-, als auch um die Vermittlungshunde. «Ich instruiere alle genau, welches Training wir machen und was dabei beachtet werden muss. Das entlastet sehr.»

Zehn Mitglieder zählt der Verein Wotans Tierhilfe aktuell. Um zu überleben, ist die Institution auf Spenden angewiesen. Die letzten Zuwendungen seien vor allem für Thanos verwendet worden, um seinen Platz bei Wotans Tierhilfe zu finanzieren, erzählt Hügi. «So generierten wir aber automatisch weniger Spenden für Fluffy. Bei ihr fallen rassetypisch immer Tierarztbesuche wegen Unverträglichkeiten an.» So ist die Mini-Bullterrier-Dame auch auf Spezialfutter angewiesen. «Das Coole ist, dass wir für sie eine Art ‹Gotti› gefunden haben, welches ihre Futterkosten übernimmt. Diese Entlastung ist für uns sehr viel Wert.»

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Nun hofft die Gründerin, dass sich sowohl für Fluffy, als auch für Thanos, möglichst rasch ein neues, schönes Zuhause findet. Doch wird sie die Vierbeiner nicht vermissen, wenn es so weit ist? «Wir haben viele Hunde, die kommen und gehen. Daher muss man sich stets auch etwas distanzieren», sagt Hügi. Doch vermittelt heisst nicht automatisch, aus den Augen verloren: Oft erhalte sie von Hundehalterinnen -und haltern Fotos und Videos ihrer neuen Schützlinge. «Es gab bei Wotans Tierhilfe nie einen Hund, den ich vermittelt habe und von dem ich nie wieder etwas gehört habe.»

Die Frage, ob sie sich auch hätte vorstellen können, den Fokus von Wotans Tierhilfe auf «normale» Hunde zu legen, verneint Hügi klar. «Das hat schlicht den Grund, dass es hierzulande an Angeboten fehlt, schwer vermittelbare Hunde zu unterstützen.» Vierbeiner aus dem Ausland würden nicht aufgenommen. Aber ansonsten gilt: je schwieriger, desto besser. «Hätten wir einen Platz frei und mehrere Interessenten, würde ich mich immer für den Hund entscheiden, der am wenigsten Chancen auf ein neues Zuhause hätte.»