Weniger Schulden, mehr Natur
Nachhaltig bauen in der Landwirtschaft: «Wichtiger ist vielfach der Status»
Die Interessengemeinschaft für nachhaltiges landwirtschaftliches Bauen (IG NLB) setzt sich dafür ein, unnötig grosse Bauten in der Landwirtschaftszone zu verhindern. Davon könnte nicht nur die Umwelt, sondern auch das Portemonnaie der Bauernfamilien profitieren.
Gemeinsam mit einem Team von Fachpersonen berät die Interessengemeinschaft für nachhaltiges landwirtschaftliches Bauen (IG NLB) Bauernfamilien bei der Planung von neuen Bauten. Mit dabei ist auch der Agrarökologe Andreas Bosshard, der im Interview erklärt, welche Probleme dabei angegangen werden.
Herr Bosshard, weshalb sind unabhängige Beratungsstellen für Bauernfamilien, die bauen wollen, so wichtig?
Die meisten Beratungen werden von Firmen ausgeführt, die ihre Produkte verkaufen wollen. Sie erarbeiten kostenlos oder sehr günstig Projekte für bauwillige Bauern und Bäuerinnen. Dabei besteht natürlich ein Interesse daran, dass möglichst gross gebaut wird und viele technische Lösungen, wie Melkroboter, eingesetzt werden. Das Honorar berechnet sich nach Bausumme oder die Firmen verkaufen direkt ihre Produkte, für die sie beraten.
Was sind die Folgen für die Bauernfamilien?
Sie realisieren oft zu teure Lösungen und verschulden sich über ein nachhaltiges Mass. In keinem anderen Land weltweit ist die Landwirtschaft so hoch verschuldet wie in der Schweiz. Die hohe Verschuldung und die zu hohen Kosten bei der Infrastruktur und den Vorleistungen sind der wichtigste Grund, warum Bauernfamilien hierzulande so wenig verdienen. Die übermässige Schuldenlast wird dann oft sogar an die nächste Generation weitergegeben. Gleichzeitig zerstören überdimensionierte oder unnötige Bauten unersetzliches Kulturland – den zentralen Produktionsfaktor der Landwirtschaft.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein zu grosser Stall bedeutet, dass mehr Tiere gehalten werden, als mit dem eigenen Land gefüttert werden können. Es müssen dann jedes Jahr entsprechende Mengen an Futtermitteln, die zum grossen Teil aus dem Ausland importiert sind, zugekauft werden. Das ist nicht nur deutlich unrentabler, als das Futter selbst zu produzieren, sondern hat auch stark negative Auswirkungen auf die Umwelt. So steigen dadurch die Ammoniakemissionen, bei denen die Schweiz ohnehin schon rekordhohe Überschüsse hat, die weit über dem für die Ökosysteme verträglichen Mass liegen. Zudem werden durch die Futtermittelzukäufe die Nährstoffkreisläufe unterbrochen und weitere Gülleüberschüsse erzeugt, die wiederum Gewässer, Luft und Biodiversität belasten. Dabei sind dies Auswirkungen struktureller Art: Wenn ein solcher Stall einmal steht, dann wird die nicht umweltverträgliche Wirtschaftsweise über Jahrzehnte weiter betrieben.
Wie erleben Sie die Bauernfamilien im Gespräch? Sind sie grundsätzlich gewillt, beim Bauen auf die Umwelt Acht zu geben, wenn Sie sie auf die Folgen aufmerksam machen?
Interessant ist, wie bei vielen Bauern (aber weniger bei Bäuerinnen) die Wirtschaftlichkeit oft gar nicht so wichtig ist. Wichtiger ist vielfach der Status. Grosse Ställe, grosse Traktoren, grosse Kühe mit viel Milchleistung, versprechen Status. Auch wenn solche Investitionen nicht wirtschaftlich sind und es oft deutlich bessere Alternativen gibt, ist das Interesse an nachhaltigen, kostengünstigen Lösungen oft nicht sehr gross. Status ist häufig wichtiger als unternehmerisches Denken und Wirtschaftlichkeit. Dies ist angesichts der oft sehr geringen Einkommen in der Landwirtschaft doch recht erstaunlich.
Können Sie ein positives Beispiel für ein erfolgreiches, nachhaltiges Bauprojekt in der Schweizer Landwirtschaft nennen?
Es gibt überall gute Beispiele von Bauprojekten, auch wenn sie aktuell leider tatsächlich noch eine kleine Minderheit darstellen. Auch Nichtbauen mit kostengünstigen Anpassungen in den bestehenden Gebäuden kann nicht selten eine wirtschaftlich deutlich bessere Alternative sein.
Gehen Sie von der IG aktiv auf Landwirte zu, oder haben Sie auch direkte Anfragen von den Bäuerinnen und Bauern?
Teils werden wir von Bäuerinnen oder Bauern selbst angefragt, teils ziehen uns Kantone zu Rate, oder wir vermitteln bei Konflikten – zum Beispiel zwischen Bewilligungsbehörden und Bauernfamilien – indem wir alternative Lösungen aufzeigen. Allen Bauernfamilien, die grössere Investitionen tätigen, raten wir dringend, sich unabhängig und gesamtbetrieblich beraten zu lassen.
Ist das Bauen in der Landwirtschaft mehr im Visier als anderswo, weil die Bevölkerung den Anspruch hat, dass die Landwirtschaftszone als Naherholungsgebiet dienen soll?
Ein wichtiger Grundgedanke bei der Gründung der IG war es, Konflikte zwischen Umweltanliegen und Bauprojekten frühzeitig zu entschärfen, sodass es nicht zu langwierigen und kostspieligen Rechts-fällen kommt. Wir sehen uns im Dienste der Bauernfamilien und sind überzeugt, dabei gleichzeitig auch einen Beitrag an Umwelt- und Landschaftsanliegen leisten zu können – ein Win-Win-Ansatz.
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