Lückenfüller
Welche Rolle spielen Lamas im Herdenschutz?
Hunde gelten unter den Herdenschutztieren als Mass aller Dinge. Doch für kleine Weiden und in Siedlungsnähe bieten Lamas eine gute Alternative. Herdenschutzexpertin Riccarda Lüthi erklärt im Interview, für welche Einsätze sich die robusten Neuweltkameliden gut eignen und für welche weniger.
Frau Lüthi, können Lamas wirklich etwas ausrichten gegen Raubtiere?
Lamas sind ausgesprochen aufmerksame, neugierige Tiere und haben eine natürliche Aversion gegen Hundeartige. Sie sind muskulös und ziemlich wehrhaft. Wenn es darauf ankommt, können sie stampfen, spucken, schreien, oder auch beissen. Ich habe ein Video gesehen, in dem ein Lama von einem Puma angesprungen wurde. Das Lama hat sich so vehement gewehrt, dass der Puma von ihm abgelassen hat. Aber wenn ein ganzes Wolfsrudel angreift, hat auch ein Lama wenig Chance.
Aktuell werden Lamas vom Bund nicht als offizielle Herdenschutzmassnahme anerkannt. Sehen Sie eine Tendenz, dass sich dies ändern könnte?
Nein, diese Tendenz sehe ich nicht. Der Bund will Lamas nicht finanziell unterstützen, weil ihre Effizienz zu wenig bewiesen ist. Es ist sicher so, dass die Lamas die Hunde nicht in jeder Situation ersetzen können. Vor allem bei grossen Herden und im hochalpinen Raum, wo man nicht überall Zäune aufstellen kann, sind Herdenschutzhunde den Lamas klar überlegen.
Also müssen Herden mit Lamas immer zusätzlich eingezäunt sein?
Meistens. Wenn aber die Schafherde gut zusammenbleibt und die Weide überschaubar ist, braucht es nicht zwingend einen Zaun. Vor zwei Jahren hat das Wallis einen Infotag organisiert zur Möglichkeit, Lamas zum Herdenschutz einzusetzen. Da waren wir schon etwas skeptisch, da der Wolfsdruck im Wallis sehr hoch ist. Dort sind kaum noch Wölfe allein unterwegs, sondern meistens zu zweit oder im Rudel. Es wurden dann zwar gute Erfahrungen mit den Lamas gemacht, bei einem hohen Wolfsdruck allerdings nur in Kombination mit einem Zaun oder teils auch Behirtung.
Ist das nicht zu viel Aufwand?
Oft sind Schafweiden ohnehin schon eingezäunt –gerade in Frühlings- und Herbstweiden. Eventuell muss noch zusätzlich elektrifiziert werden. Der Aufwand und die Kosten für Lamas sind dann trotzdem geringer als für Herdenschutzhunde. Vor allem wegen des Futters, welches man in diesem Fall nicht kiloweise auf die Alp tragen oder fliegen muss.
Auf welchen Weiden ist der Einsatz von Lamas besonders sinnvoll?
Besonders auf kleinen, übersichtlichen Weiden mit wenig Tieren. Im Oberwallis gibt es zum Beispiel sehr viele Schwarznasenherden mit 20 bis 50 Schafen. Wenn man für diese jeweils zwei Herdenschutzhunde integrieren müsste, wäre der Aufwand sehr hoch. Auch für Weiden in Dorfnähe sind Lamas ideal, da sie nicht bellen und es deshalb weniger Konfliktpotenzial mit Nachbarn gibt.
Können Lamas da also eine Lücke schliessen?
Ja, meiner Meinung nach schon. Je nach Situation sind unterschiedliche Herdenschutzmassnahmen passend. Ich finde es schade, wenn man sich nur auf zwei oder drei konzentriert, wenn es mehrere gibt.
Ist es denn auch möglich, Herdenschutztiere zu kombinieren?
Auf jeden Fall. Vereinzelt werden Herdenschutzhunde mit Lamas kombiniert, ab und zu auch mit Eseln. Oft sind es dann die Esel oder Lamas, die als erste Alarm schlagen, da sie weniger tief schlafen als die Hunde. Als alleinige Herdenschutztiere empfehlen wir Esel aber nicht. Denn sie beginnen oft schon zu zweit ein eigenes Grüppchen zu bilden und interessieren sich dann nicht mehr gross für die Schafe.
Ist das auch bei Lamas ein Problem?
Ja, aber erst ab drei Tieren. Aus Tierschutzgründen müssen mindestens zwei Lamas zusammen gehalten werden. Wir empfehlen in der Regel zwei kastrierte Lama-Hengste. Diese können zusammen bis zu einhundertfünfzig Schafe schützen. Doch dafür eignen sich nicht alle. Der Lamazüchter René Riedweg im Kanton Luzern kann aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung junge Lama-Hengste auf ihre Eignung als Herdenschutzlamas prüfen und gezielt auswählen.
Unter welchen Kriterien wählt er diese aus?
Die Lamas müssen aufmerksam sein und schauen, was im Umfeld der Herde passiert. Ideal ist, wenn sie sich einem «Eindringling» sofort nähern und Alarm schlagen mit ihrem typischen Schreien und Stampfen, anstatt, sich zurückzuziehen. Man wählt also selbstbewusste und eher dominante Tiere aus.
Was müssen sie sonst noch mitbringen?
Wir achten darauf, dass es Tiere sind, die auch im Handling mit dem Menschen ausgebildet und gewöhnt sind. Man muss ihnen ein Halfter anziehen und sie herumführen können. Das ist schon wichtig, damit man im Alltag harmonisch mit ihnen arbeiten kann. Zudem ist natürlich eine einwandfreie Gesundheit der Tiere von grosser Bedeutung.
Es heisst, dass Lamas generell weniger Probleme mit Wanderern machen. Wie sieht es mit Begleithunden aus?
Es kann durchaus Probleme geben, wenn Hunde auf die Wanderung mitgenommen werden. Deshalb verteilen wir auch Lama-Infotafeln an die Halter, die sie bei der Weide aufstellen sollen. Darauf wird empfohlen, dass man mit Hunden Abstand hält und einen grossen Bogen läuft. Aber mit Personen ohne Hund sind Lamas sehr unproblematisch.
Gibt es einen Trend hin zu mehr Lamas als Herdenschutztiere?
Nicht so eindeutig. In manchen Jahren gab es mehrere neue Anfragen, in anderen keine. Im Jahr 2023 sind im Wallis acht neue Betriebe dazu gekommen, die in den Herdenschutz mit den Lamas eingestiegen sind. Mit der aktuellen politischen Stimmung und einem erleichterten, präventiven Abschuss von Wölfen in der Schweiz ist die Motivation bei den Schäfern allerdings wieder deutlich gesunken, etwas Neues auszuprobieren. Viele haben wieder vermehrt die Hoffnung, dass man das Wolf-Problem mit Abschüssen regeln kann.
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