Es ist ein idyllisches Fleckchen Erde am Dorfrand von Oberglatt (ZH). Wenn nur nicht alle paar Minuten ein Flugzeug lautstark seinen Start ankündigen würde. Wenige hundert Meter von den letzten Bauernhöfen entfernt, beginnt bereits die viel befahrene Piste des Flughafens Zürich. Die Dromedare von Ben’s Kamelfarm scheint es wenig zu kümmern; unbeirrt fahren sie fort mit ihrer stoischen Bearbeitung der Rasenfläche. «Es sind keine Fluchttiere», erklärt Ben Salem. Der gebürtige Südtunesier kennt seine Dromedare in- und auswendig. Hineingeboren in eine Züchterfamilie, hat auch Ben Salem die Faszination für diese typischen Wüstentiere geerbt. Als er vor 25 Jahren Tunesien verliess und seiner Liebe in die Schweiz folgte, begann er den täglichen Umgang mit den Dromedaren schmerzlich zu vermissen.

Salem versuchte sich in mehreren Jobs, startete Ausbildungen, «doch es hat immer etwas gefehlt», wie der Tierfreund erzählt. 2004 kaufte er dann endlich seine ersten Dromedare aus Deutschland und Gran Canaria. Nach und nach baute er seine eigene Zucht und ein touristisches Angebot auf, welches bis heute einzigartig ist in der Schweiz. «Nur dank der Kamele bin ich noch hier», sagt er bestimmt. «Seit ich sie habe, fühle ich mich wieder wohl.»

Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich der Doppelbürger an alle Besonderheiten der Schweiz gewöhnt hat. Sein Traum wäre es gewesen, die Dromedare zu melken und sich damit ein solides Standbein aufzubauen. Doch ganz so einfach war es dann doch nicht. Als Ben Salem 2013 alle nötigen Gerätschaften und Bewilligungen beisammen hatte, begann er damit, die Dromedare jeden Morgen zu melken. Ab einer Schonfrist von 40 Tagen trennte er die Mutter und ihr Baby über Nacht, um jeden Morgen zwei, drei Liter Milch zu melken. Die beiden komplett zu trennen, kommt bei Dromedaren nicht infrage. Denn das Muttertier muss erst von seinem Jungtier stimuliert werden, damit es überhaupt gemolken werden kann.

[IMG 3]

«Doch dann fingen die Probleme erst richtig an», erzählt Ben Salem. Um langfristig melken zu können, müssten die Dromedare alle zwei Jahre ein Junges zur Welt bringen. Der Farmbesitzer hätte sich also jährlich von etwa einem Dutzend junger Dromedare trennen müssen. Doch er fand kaum Abnehmer für sie. Im nahen Ausland gibt es zwar grosse Kamelfarmen, doch ein Export dorthin bedeutet einen riesigen Papierkrieg. Die meisten Interessenten sprangen deshalb rasch wieder ab. Es gebe zwar einige private Halterinnen und Halter in der Schweiz, erzählt Ben Salem. Allerdings hauptsächlich im kleinen Rahmen. Auch schlachten kam für den Züchter nicht infrage. Dafür seien ihm die Kleinen viel zu stark ans Herz gewachsen.

Gefährliche Hengste

Die Nachfrage wäre da, denn die exotische, laktosefreie Milch von Altweltkamelen gilt als sehr gesund. Dennoch glaubt Ben Salem nicht daran, dass viele Schweizer Höfe auf Kamele umsteigen werden. Denn für die exotischen Tiere zahlt der Bund keine Subventionen. Stattdessen muss man zuerst einen Kurs besuchen, damit man sie überhaupt halten darf.

Ben Salem gibt zu, dass der Umgang mit Dromedaren nicht immer ganz einfach ist. «Der Hengst kann schwierig sein, vor allem zur Brunftzeit», erzählt der Züchter. Er empfiehlt jedem, der sich für die Tiere interessiert, sie zuerst ein paar Wochen in der Natur zu erleben. «Wenn du einfach einen schriftlichen Kurs machst, bringt das überhaupt nichts», so seine Meinung. Als Halter müsse man Vertrauen zu den Tieren aufbauen, damit man als ihr Chef akzeptiert wird. «Was du gibst, bekommst du auch wieder zurück.»

[IMG 1]

Die Dromedare von Ben Salem wissen genau, wenn es Zeit zum Streicheln ist, und wann sie arbeiten müssen. Arbeiten heisst für seine Tiere in der Regel, Kinder und Erwachsene auf ihnen reiten zu lassen. Damit dies einwandfrei klappt, beginnt der Farmbesitzer, mit den Dromedaren früh zu üben: zuerst das Tragen des Halfters, dann das Knien und Tragen des Sattels. Mit sechs Jahren sind die Tiere dann bereit, fast die Hälfte ihres eigenen Körpergewichts zu tragen – in der Regel mindestens 200 Kilogramm. Möglich macht dies ihr kräftiges Brustbein, welches den ganzen Körper für solche Lasten stabilisiert.

Milch verkauft Ben Salem noch immer, allerdings lässt er diese aus den Niederlanden importieren. Auch in Frankreich und Deutschland gebe es grosse Kamelfarmen, erzählt er. Laut einer aktuellen Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat die europäische Kamelzucht in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Boom erlebt.

Nutztiere der Zukunft?

Schon im Römischen Reich spielten Altweltkamele eine wichtige Rolle als Nutztiere. Und angesichts des Klimawandels werden die hitzeresistenten Tiere wieder wichtiger. Vor allem in südlichen Ländern, wo sich wegen der zunehmenden Trockenperioden immer mehr Wüsten bilden. Wie es im Forschungsbericht heisst, leben aktuell 5000 bis 6000 der Altweltkamele in Europa. Allerdings seien bessere Rahmenbedingungen erforderlich, um die drohende Verkümmerung der genetischen Vielfalt zu verhindern. Eine Sorge, die Ben Salem teilt. «Seit 1983 durfte kein einziges Dromedar mehr nach Europa importiert werden», erzählt er. «Irgendwann wird dies zum Problem.» In Tunesien gäbe es spezielle Rassen, die sich für Milch, Fleisch oder Rennen eignen würden, erzählt er. Die europäischen Dromedare stammen jedoch von Mischlingen ab.

Der Züchter würde sich freuen, wenn der neu erwachte Kameltrend irgendwann auch die Schweiz erreichen würde. Er selbst will aber ohnehin nichts anderes machen. «Für mich ist dies Leidenschaft und Beruf in einem», erzählt er. Die schönsten Momente seien stets die Geburten. «Man wartet ein Jahr und schaut zu, wie der Bauch wächst.» Bei der Geburt sei er meistens dabei. Nicht, weil es unbedingt notwendig wäre. «Ich will aber dabei sein», gibt er zu. Manche Stuten hätten auch schon auf ihn gewartet, bevor sie sich für die Geburt hinlegten. «Manchmal hängt das Kleine mit dem Brustbein fest», erklärt Ben Salem, weshalb er jeweils helfe, an den Beinen zu ziehen. «Der Moment, wenn ich das Kleine dann zur Mutter trage, ist unbeschreiblich.»