Wer sich dem Hof Guggenbüel im Zürcher Oberland nähert, wird nicht von einem herzhaften «Määh», sondern von lautem Hundegebell begrüsst. Es sind zwei der Herdenschutzhunde, die den Besuch lauthals ankündigen. Ihr auf der Alp so wertvoller Beschützerinstinkt macht auch im sicheren Freilaufstall keine Pause. Nicht alle verstehen das, erzählt Co-Betriebsleiter Bruno Zähner. «Wenn du Herdenschutzhunde hast, ist ein Problem zwar zum Teil gelöst, aber es kommen ganz neue auf dich zu», weiss er aus Erfahrung. «Wenn sie nachts um zwei wegen eines Rehs zu bellen beginnen, macht das bei acht Hunden einen ziemlichen Radau.» Deshalb sei in der Nachbarschaft viel Konsens und manchmal auch Aufklärungsarbeit gefragt. Manche Kollegen stossen sogar auf Widerstand von Gemeinden oder Tourismusverbänden, erzählt er. Doch nicht nur deshalb ist für ihn der Herdenschutz eine Herausforderung. «Vor allem nervt mich, dass es ein solches Politikum ist», so der Landwirt. Wegen der Polarisierung auf zwei Seiten sei es fast nicht möglich, einen vernünftigen Mittelweg zu finden.

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Zähner begann seine Arbeit mit Herdenschutzhunden schon, als in der Schweiz noch kein einziges Wolfsrudel umherzog. Mittlerweile sind seine sechs Stammhunde nicht mehr vom Betrieb wegzudenken. Jeden Sommer bewachen sie auf der Alp Zanai im Kanton St. Gallen rund tausend Schafe und Ziegen. Meistens dabei: zwei Junghunde, die «on the Job» von ihren Vorbildern lernen. Damit ist der Betrieb bisher gut gefahren. Obwohl die Alp von diversen Wolfsrudeln umgeben ist, kam es bisher nur zu zwei Rissen. Die Opfer waren Ziegen, die zu dem Zeitpunkt von der Herde getrennt und damit nicht vollumfänglich geschützt waren.

Trotz der Effektivität der Hütehunde hat Zähner Verständnis dafür, dass nicht alle mit ihnen arbeiten wollen. «Nicht jeder Schäfer ist auch ein Hündeler», ist er sich bewusst. «Und sobald du das Gefühl hast, dass dir was aufgezwungen wird, hast du noch weniger Lust darauf.»

Branche in der Modernisierung

So einiges beschert Schafbetrieben aktuell ungefragt Mehraufwand: Verstärkter Herdenschutz, die Bekämpfung heimtückischer Seuchen wie die Blauzungenkrankheit und die Moderhinke – und nun wurde das Kupieren von Schafschwänzen auch für konventionelle Betriebe reglementiert. Das schmerzhafte Entfernen der Schwänze wird traditionellerweise bei Lämmern durchgeführt, um die Hygiene zu verbessern. Bruno Zähner hat deswegen viele Diskussionen geführt. «Viele regen sich auf, weil beim Durchfall der Schwanz verklebt», erzählt er. «Dabei sollte man in einem solchen Fall besser bei der Tiergesundheit hinschauen, anstatt einfach den Schwanz abzuschneiden.»

Als Herdenschutzberater des Kantons Zürich trifft er oft auf Schäfer, denen die neuen Regelungen über den Kopf wachsen. «Wenn jemand aufhören möchte, ist das seine Entscheidung», findet Zähner. Vermutlich sei das in einem solchen Fall besser für alle. Übrig bleibt, wer mit den neuen Regelungen klarkommt. «Das Verantwortungsbewusstsein ist bei den Schafhaltern enorm gestiegen», beobachtet der Schäfer. In Sachen Haltungsbedingungen, Zuchtwert und Fleischigkeit sehe er schweizweit eine massive Verbesserung gegenüber vor zwanzig Jahren.

Kleine Betriebe mit schwieriger Zukunft

Eine andere Entwicklung gefällt Bruno Zähner weniger gut. «Alpen verschwinden – aber schon seit Längerem», ist er überzeugt. Die Gründe reichen von der fehlenden Lukrativität bis hin zur Überalterung des Schäferbestandes. «Ich habe eine hohe Achtung vor allen, die solche Alpen mit Kleinststrukturen bewirtschaften», so der Herdenschutzberater. Seine ganze Freizeit dazu einzusetzen, um 50 Schafe zu betreuen, sei eine grosse Leistung, die letztlich auch der Artenvielfalt zugutekomme. «Wir müssen alles daran setzen, dass die Sömmerung möglich bleibt», findet Zähner. «Wenn Alpen zusammenlegen, kann eine Dauerbehirtung möglich werden», nennt er einen möglichen Lösungsweg. Alle Alpen könnten jedoch nicht mit einem vernünftigen Aufwand finanziell und arbeitstechnisch geschützt werden. Zähner beobachtet schon länger, dass Schafbetriebe tendenziell grösser werden und kleinere verschwinden. Die Statistik gibt ihm Recht: Während sich der Tierbestand seit 2016 wieder auf leichtem Wachstumskurs befindet, nahm die Anzahl Betriebe weiter ab. Im vorletzten Jahr stoppte dieser Trend erstmals seit den 90er-Jahren.

Tierwohl an erster Stelle

Mehr als die Hälfte der Schweizer Schafmilch wird mittlerweile biologisch produziert. Der Hof Guggenbüel setzt sogar auf das Label «Demeter». Eine Praktikantin habe sie auf die Idee gebracht, erzählt Bruno Zähner. «Sie meinte, wir erfüllten ohnehin schon fast alle Vorgaben mit unserem Kreislaufdenken.» Tatsächlich wird sämtliches Futter für die Schafe selbst produziert. An den Ackerresten erfreuen sich jeweils ein paar Wollschweine, die den Hof zusätzlich beleben. Die Schafmilch jedoch bleibt der Haupterwerbszweig von Bruno Zähner und Sabrina Otto. Das Besondere: Auf dem Hof werden die Lämmer muttergebunden aufgezogen.

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Früher lag der Fokus noch stärker auf dem Melken der Schafe. Die Lämmer wurden nach zehn bis zwanzig Tagen weggegeben, um von der Hochsaison der Milchproduktion profitieren zu können. «Dann kamen immer mehr innere Konflikte, die Lämmer in einem gesundheitlich so anfälligen Alter wegzugeben und aus ihrem gewohnten Umfeld rauszureissen», erzählt Zähner. So wuchs der Entschluss, diese bei der Mutter zu lassen, solange es die Natur für sie vorgesehen hat. «Dies dauert zwischen drei und fünf Monaten», erklärt der Landwirt. Der genaue Zeitpunkt der Trennung bestimme sowohl ihr Verhalten als auch ihre Grösse. Danach bleiben die Lämmer noch eine Weile im Freilaufstall unter Beobachtung. Entwickeln sie sich weiterhin gut, dürfen sie in die Wanderherde. Diese zieht im Winterhalbjahr auf den Äckern und Zwischenkulturen befreundeter Gemüseproduzenten umher, um dort Reste zu verwerten und das Land zu düngen. Dann, wenn der letzte Gang ins nahe Schlachthäuschen ansteht, ist Zähner stets mit dabei. Dank Kursen kann er sogar mithelfen. «Grad heute Morgen haben wir zehn Schafe geschlachtet», sagt er und schaut berührt auf seine Hände. «Uns ist es wichtig, das Lamm von der Geburt bis zum Tod nicht aus der Hand zu geben.»

Diese Art des Schlachtens sei nur für die Direktvermarktung möglich, erklärt Zähner. «Unser Ziel ist eine hundertprozentige Direktvermarktung, doch aktuell müssen wir noch viele Lämmer in den öffentlichen Markt verkaufen.» Immerhin hat ihm die Preisentwicklung für Lammfleisch in den letzten Jahren in die Karten gespielt. «Nach wie vor hätten wir in der landwirtschaftlichen Branche einen enormen Nachholbedarf, wenn man die Stundenlöhne anschaut», stellt er klar. Mit der muttergebundenen Lämmeraufzucht wird der Hof Guggenbüel aber ohnehin nicht so rasch vergoldet. «Wir haben etwa 30 Prozent Milchverlust und Umsatzeinbussen», zählt er die finanziellen Folgen auf. Auch den Stall hatten sie umbauen müssen, um für die vielen Lämmer Platz zu schaffen.

Dennoch sei das so eine für sie stimmige Variante, sagt Bruno Zähner. Die Schafhaltung ist seine grosse Leidenschaft. «Ich bin schon auf einem Betrieb mit Schafen aufgewachsen und nie richtig von ihnen losgekommen», erzählt er. Besonders spannend findet er ihr soziales Verhalten in der Herde, wo sie einerseits eine Masse bilden und doch jedes Tier eigen sei. «Sie sind uns Menschen sehr ähnlich», findet der Schäfer, um scherzhaft anzufügen: «Vielleicht sagen wir deshalb, dass sie so dumm sind.»