Frauen nehmen in der Landwirtschaft unterschiedliche Rollen ein. Einige heiraten einen Mann mit Betrieb, obwohl sie zuvor kaum Berührungspunkte mit der Landwirtschaft hatten. Andere wiederum habenAgronomie studiert – unter den Studierenden ist inzwischen die Hälfte weiblich. Anders sieht es bei der Lehre zur Landwirtin beziehungsweise zum Landwirt aus: Hier liegt der Frauenanteil bei rund 20 Prozent. In der Schweiz gibt es zudem die Ausbildung zur Bäuerin – ein Abschluss an einer Höheren Fachschule mit einem Frauenanteil von 98 Prozent, der weltweit einzigartig ist. Die Agrarsoziologin Sandra Contzen befasst sich mit der Rolle der Frau in der Landwirtschaft. Gemeinsam mit den beiden Agronominnen Annalena Tinner und Anna Kröplin leitet Contzen das praxisnahe Entwicklungs- und Forschungsprojekt «Frauen in der Landwirtschaft».

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Frau Contzen, wie wichtig sind Frauen in der Landwirtschaft?

Sandra Contzen: Sehr wichtig. Die heutige Betriebsform ist noch stark auf den Familienbetrieb ausgelegt. Nicht nur Betriebsleiterinnen spielen eine zentrale Rolle, sondern auch in den Betrieb eingeheiratete Frauen – diese bringen durch ihren oftmals nicht landwirtschaftlichen Hintergrund eine neue Perspektive in die Landwirtschaft.

Gibt es landwirtschaftliche Arbeiten, die weiblich konnotiert sind?

Ja, die gibt’s. Klassische Beispiele dafür sind dieDirektvermarktung und der Agrotourismus. Diese paralandwirtschaftlichen Bereiche sind weiblich konnotiert und werden unter anderem an der Höheren Fachschule Bildung Bäuerin und bäuerlicher Haushaltleiter unterrichtet.

Weshalb sind diese Arbeiten weiblich konnotiert?

In unserer Gesellschaft werden «Care»-Arbeiten, also auch ausserhalb der Landwirtschaft, eher Frauenzugeschrieben. Dazu gehört u. a. die Fürsorgearbeit – die Pflege, Betreuung, der Haushalt. Obwohl sich die traditionelle Rolle der Frau, die für den Haushaltzuständig ist, zunehmend aufweicht.

Wie viele Frauen schliessen eine landwirtschaftliche Lehre oder einen Studiengang ab?

Rund 20 Prozent der Lernenden sind Frauen. Bei den Agronomie-Studierenden sind es heute 50 Prozent – in einigen Jahrgängen sogar 51 Prozent.

Interessant, dass es im höheren Bildungsweg mehr Frauen hat. Wie kommt dies?

Zum Landwirtschaftssektor gibt es zwei Zugänge – einerseits jenen über die EFZ-Lehre; das weitere Ziel wäre die Betriebsleiterin. Frauen haben aber weniger Perspektiven als Betriebsleiterinnen und deshalb gibt es weniger EFZ-Absolventinnen. Viele Frauen studieren Agronomie, und das Ziel des Studiengangs ist es, irgendwann beispielsweise bei einem Landwirtschafts-amt, der Fenaco oder dem Bauernverband zu arbeiten.

Welchen Problemen begegnen Betriebsleiterinnen?

Oft ist es für Frauen schon ein Hindernis, überhaupt Betriebsleiterin zu werden – in vielen Familien wird nicht an die Tochter gedacht, wenn es um die Betriebsübernahme geht, sondern an den Sohn. Frauen übernehmen den Betrieb oft älter und als Quereinsteiger-innen. Die Betriebsleitung und die Mutterschaft zu vereinen ist eine Herausforderung – noch schwieriger, wenn es eine komplizierte Schwangerschaft ist.

Müssen sich Frauen in der Landwirtschaft beweisen?

Ja, Frauen müssen sich in unserer Gesellschaft beweisen und deshalb auch in der Landwirtschaft. Dort zeigt sich, dass Frauen die landwirtschaftliche Lehre oder das Agronomiestudium sehr gut abschliessen. Frauen haben das Gefühl, Gas geben und zeigen zu müssen, was sie können.

Wie hoch ist der Anteil an Betriebsleiterinnen?

Dieser liegt bei 7,2 Prozent. Ein Teil der Betriebsleiterinnen sind dies aber nur auf dem Papier. Mit dem Auszahlen der AHV-Beiträge erhalten Betriebsleiter keine Direktzahlungen mehr. Ist die Frau jünger als ihr Mann und der Betrieb soll noch nicht an ein Kind übergeben werden, wird sie Betriebsleiterin. So erhält der Betrieb weiterhin Direktzahlungen.

Führen Frauen Betriebe anders?

Ja, Betriebsleiterinnen bringen eine andere Perspektive in die Männerdomäne Landwirtschaft. Sie nehmen eine längerfristige Perspektive ein und setzen häufiger auf ökologischere Produktionsformen.

Würden sie die Landwirtschaft also immer noch als Männerdomäne bezeichnen?

Ja. Wie erwähnt, ist der Anteil an Betriebsleiterinnen klein. Zudem sind Frauen meistens nicht die Besitzer-innen des Betriebs. Aber auch die bäuerlichen Gre-mien bestehen zu 95 Prozent aus Männern.

Durch welche Organisationen werden Frauen vertreten?

Grösstenteils durch den Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauen-Verband (SBLV). In diesem sind die Hälfte Bäuerinnen, die andere Hälfte Landfrauen – also Frauen vom Land. Der SBLV muss aber einen grossen Spagat machen – zwischen Frauen, die als Bäuerinnen ebenbürtige Betriebsleiterinnen sein wollen und Frauen, die nicht oder nicht aktiv in der Landwirtschaft tätig sind.

Ist die Bäuerinnen-Ausbildung, die noch immer einen grossen Teil haushälterische Aufgaben umfasst, problematisch?

Aus soziologischer Sicht durchaus. Frauen werden dadurch in den Care-Bereich gedrückt. Arbeiten in diesem Bereich sind grösstenteils unbezahlt, wie beispielsweise das Führen des Haushalts. Aus ökonomischer Sicht ist unbezahlte Arbeit minderwertig – so kommt es zu Geschlechterungleichheiten.

Welchen Problemen begegnen Frauen in der Landwirtschaft?

Da unterscheide ich zwischen Betriebsleiterinnen und Frauen, die in einen Betrieb eingeheiratet haben. Letztere brauchen unbedingt finanzielle Absicherung, wenn sie mitarbeiten. Es kann nicht sein, dass in einer betrieblichen Einheit ständig unentgeltlich gearbeitet wird. Diese Arbeit muss sichtbar sein und wertgeschätzt werden.

Sind eingeheiratete Frauen in der Landwirtschaft denn einem höheren finanziellen Risiko ausgesetzt?

Ja, 40 bis 45 Prozent der eingeheirateten Frauenarbeiten unbezahlt auf dem Betrieb mit. Das Pensum reicht dabei von fünf Stunden pro Monat bis zu einer Sechzig-Prozent-Stelle. Mit ihrer Arbeit investieren sie aktiv in das Vermögen ihres Mannes und im Scheidungsfall ziehen sie auch mit einer Errungenschaftsbeteiligung den Kürzeren.

Wie können sich diese Frauen absichern?

Im Idealfall werden sie Mitbewirtschafterin – dafür brauchen sie einen EFZ-Abschluss oder die Bildung Bäuerin. Alternativ können sie sich auch vom Mann anstellen lassen – dann werden sie für ihre Arbeit entlöhnt. Obwohl diese Beziehung dann ein klares Machtgefälle hat – die Frau als Angestellte und der Mann als Chef – haben von uns interviewte Frauen dies bisher nicht als hierarchisch wahrgenommen.

Seit wann können sich Frauen zur Landwirtin und zur Betriebsleiterin ausbilden lassen?

Dies ist von Kanton zu Kanton verschieden, zeitlich, aber grob in den 80er-Jahren zu verorten. Es gab keinen bestimmten Moment, ab welchem Frauen sich zur Landwirtin ausbilden lassen und einen Betrieb übernehmen durften. Es waren Errungenschaften einzelner Vorreiterinnen.

Ist das Bild der klassischen «Bauernfamilie» mit Vater, Mutter und Kindern noch akkurat?

Das ist eine schwierige Frage. Es ist Tradition und ein durchaus gelebtes Bild. Es bröckelt aber und verändert sich zögerlich.

Kommt es bei Betriebsleiterinnen, die Kinder haben, zur sogenannten «Doppelbelastung»?

Es gibt eine andere Art von Doppelbelastung – sie tragen die Verantwortung für den Betrieb und sind Mütter. Die Hauptarbeitskraft auf dem Betrieb zu sein und Kinder zu haben, ist nicht einfach. Aber Bäuerinnen, die einen Nebenerwerb haben und Mütter sind, sind auch doppelt belastet. Obwohl die Landwirtschaft prädestiniert wäre für die Geschlechtergerechtigkeit.

Wie meinen Sie das?

Auf einem Betrieb könnte man diese umsetzten, wenn beide dieselben Kompetenzen und Entscheidungsmächte hätten. Die Arbeit liesse sich gut und egalitär teilen. Dann hätten beide Elternteile die doppelte Belastung der Arbeit und der Kinder. In unserer Gesellschaft ist diese Belastung schon nicht fair verteilt, in der Landwirtschaft leider noch weniger.

Was sind die Ziele ihres Projekts «Frauen in der Landwirtschaft»?

Wir wollen Praktikerinnen sichtbar machen und vernetzen. Im Fokus sind Betriebsleiterinnen, Landwirt-innen, Agronominnen, welche durch ihre Tätigkeit täglich Landwirtschaft schaffen.

Was machen Sie konkret?

In einem ersten Teil des Projektes ging es darum, den ökonomischen Beitrag, welchen Frauen in der Landwirtschaft leisten, zu erfassen. Wir haben empirisch untersucht, wie viel die Frauen arbeiten und wie dies entschädigt wird. Der Fokus lag dabei auf eingeheirateten Frauen. Jetzt haben wir drei grosse Arbeitskreise gebildet, in denen sich Haupt- oder Co-Betriebsleiterinnen vernetzen. Uns geht es darum, zu erfahren, was sie brauchen und wie wir dies umsetzen können. Dabei geht es um ganz konkrete Dinge. So entwickeln wir mit der Westschweizer Arbeitsgruppe ein «Fiche Technique» also ein technisches Arbeitsblatt dazu, was man als Betriebsleiterin und angehende Mutter unbedingt beachten sollte.

Was halten Sie davon, dass die UNO-Generalversammlung das Jahr 2026 zum Jahr der Landwirtin ausgerufen hat?

Das finde ich cool. Denn es geht dabei um Landwirtinnen und Betriebsleiterinnen.

Was erhoffen Sie sich davon?

Dass unser Projekt in die Öffentlichkeit gelangt und wir die Landwirtin als Betriebsleiterin sichtbar machen können. Schön wäre es, wenn sich daraus das Netzwerk der Betriebsleiterinnen stärken und auch institutionalisieren würde.

Wie lässt sich da die Schweiz mit dem Ausland vergleichen?

In der Schweiz haben wir im Vergleich sehr wenige Betriebsleiterinnen – in Frankreich liegt der Anteil bei 30 Prozent. Dort gibt es landwirtschaftliche Arbeitskreise nur für Frauen. Der SBLV ist stark, vertritt aber die Betriebsleiterinnen bisher nur marginal. In den umliegenden Ländern gibt es keine Bildung zur Bäuerin. Aber auch da arbeiten Frauen umsonst auf dem Betrieb mit.

Was raten Sie jungen Frauen in der Landwirtschaft?

Eingeheirateten Frauen rate ich, bewusst eine Rolle im Betrieb einzunehmen und diese mit ihrem Partner immer wieder zu diskutieren. Jungen Landwirtinnen rate ich, sich zu getrauen. Obwohl es immer noch schwierig ist, einen Betrieb zu übernehmen, möchte ich sie dazu ermutigen. Ihr könnt das und habt auch die Berechtigung dazu.

 www.frauenlandwirtschaft.ch