Vogelschutz
Kiebitze brüten wieder im Grossen Moos
Kiebitze sind im Seeland als Brutvögel ganz verschwunden. Dank Schutzbemühungen rufen die Vögel mit der Haube nun wieder im offenen, sumpfigen Land. Ein Besuch am Brutplatz mit dem BirdLife-Ornithologen Lucas Lombardo.
Die Bise weht Anfang April heftig über die ebene Fläche nahe dem Bahnhof Ins im Berner Seeland. Das macht den Schottischen Hochlandrindern nichts aus. Sie zupfen Gras, manche liegen auf dunkler Erde, andere scheuern sich an einem Pappelstamm. Lastwagen und Autos brausen über die an die Weide grenzende, gerade Strasse.
Ansonsten nichts – meint man bei oberflächlicher Betrachtung der nicht gerade abwechslungsreichen Landschaft. Lucas Lombardo aber zaubert der Blick durch sein Spektiv ein Lächeln aufs Gesicht. «Hier, ein Nest», raunt er. Tatsächlich! Im Fernrohr zeigen sich wenige braune Halme, die eine Kuhle umranden. Darin sitzt ein kecker, lachmöwengrosser Vogel mit schwarzer Haube. Ein Kiebitz! «Hier sind weitere», kommentiert der Ornithologe seine Suche und fügt an: «Bei heftigem Wind fliegen sie nicht.» Lucas Lombardo sucht die Fläche systematisch mit dem Fernrohr ab, vergleicht die Neststandorte mit den elektronischen Aufzeichnungen auf seinem Mobiltelefon. «Es sind jetzt 20 Nester», sagt er an diesem windigen 1. April und setzt nach: «Sehr viel für diese Jahreszeit.»
«Kiebitze fliegen Angriffe gegen die Köpfe der Kühe.»
Lucas Lombardo, Ornithologe, BirdLife Schweiz
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Lucas Lombardo ist Verantwortlicher für Artenförderung bei der Vogelschutzorganisation BirdLife und kontrolliert alle zwei Tage den Kiebitzbestand im Grossen Moos. Den 36-Jährigen verbindet seit Kindheit eine Faszination für Vögel. Kiebitze allerdings konnte der Solothurner in seiner Jugendzeit im Seeland lange nicht beobachten.
Lucas Lombardo erinnert sich genau, als er den ersten sah: «Es war 1998, während eines Lagers mit einer Jugendgruppe des lokalen Naturschutzvereins im Fanel.» Im Jahr 2000 sei er dann mit der Jugendgruppe im deutschen Husum an der Nordsee gewesen. «Damals hörte ich Kiebitze erstmals. Ihr Ruf ist herzerwärmend», schwärmt der Vogelbegeisterte, der seine Leidenschaft zum Beruf machte. «Kiwit it kiwit!», ruft das Männchen während des Balzflugs. Kiebitze fliegen flatternd, ähnlich einem Schmetterling.
Vorliebe für flaches Land
Kiebitze gehörten einst zur Schweiz. «Vor der Juragewässerkorrektion war die Landschaft von Yverdon bis Grenchen von Feuchtgebieten durchzogen», sagt Lucas Lombardo. Felder wurden bei Regenfällen überschwemmt, blieben lange vernässt. Ideales Kiebitzgebiet! Die braun gesprenkelten Kiebitzeier seien von Anwohnern der Region als Delikatesse gesucht worden, so viele hätte es gegeben.
Noch in den 1970er-Jahren brüteten 300 Paare im Seeland, im Jahr 2000 hat es eine letzte Brut im Grossen Moos gegeben, bis 2015 gab es noch zwei misslungene Brutversuche. Dann verschwanden die Kiebitze ganz als Brutvögel aus dem Seeland.
Wie konnte das geschehen? «Durch die Juragewässerkorrektion und weitere Drainagen wurde das Land nicht mehr überflutet und konnte fortan landwirtschaftlich genutzt werden. Die Bauern setzten immer mehr Maschinen ein, der Anbau wurde intensiviert», erklärt der Ornithologe. Da blieb kein Platz mehr für Kiebitze.
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2015 begann die Wende. Lucas Lombardo erklärt: «Bund und Kantone haben die gesetzlich verankerte Aufgabe zur Artenförderung. Die Artenförderungsprojekte von BirdLife werden daher von den Behörden unterstützt.» Ursprünglich sei mit dem Schutz der Kiebitze im freiburgischen Bellechasse begonnen worden. «Die Vögel haben dann auf das Feld bei Ins gewechselt.» Das war eine gute Ausgangslage. Drei Hektaren Land gehören dem Kanton Bern. Sie würden vom gleichen Bauern gepachtet, der die angrenzenden drei Hektaren besässe, erzählt der Ornithologe. Es handle sich um Land mit regelmässigen Ernteausfällen. «Bei heftigen Regenfällen wird die Wiese zum Sumpfgebiet.» Der Landwirt sei dem Kiebitzschutz gegenüber aufgeschlossen gewesen und stelle sein Land nun als Biodiversitätsförderfläche zur Verfügung. «Das hat für ihn den Vorteil, dass er einen garantierten Betrag erhält», sagt Lucas Lombardo.
Er und sein Team haben einen Teil der Fläche durch solarbetriebene Pumpen zusätzlich vernässt. Die Schottischen Hochlandrinder, die vier Felder zur Verfügung haben, würden das Terrain für Kiebitze ideal aufbereiten. «Sie brauchen kein eiweissreiches Gras und tragen mit ihren Tritten dazu bei, dass Flächen mit offenem Boden entstehen. Das mögen die Kiebitze. Sie wollen eine freie Rundumsicht.» Was eintönig wirkt, zieht sie an: flaches Land ohne Hecken und Bäume. Doch nicht nur Kiebitze profitieren von den Massnahmen. «Auch Grauammern, Feldlerchen, Schafsstelzen und Feldhasen sind zurückgekehrt», freut sich Lucas Lombardo.
Unerschrockene Verteidiger
Die Schottischen Hochlandrinder wirken mächtig, doch die Kiebitze kennen nichts, wenn sie auf ein Nest zutrotten. «Sie fliegen Angriffe gegen die Köpfe der Kühe.» Die Bereiche, wo sich die meisten Nestmulden befinden, seien allerdings abgezäunt. Die Hochlandrinder bei Ins gehören BirdLife. «Wir haben sie einem Biobauern abgekauft, der sie jetzt für uns betreut.» Kiebitze fliegen auch Angriffe auf Krähen und Schwarzmilane. «Sie tippen mit ihren Füssen im Flug auf die Nesträuber.» All ihr Verteidigungswille nützt ihnen allerdings nichts gegen den Fuchs. Darum ist die ganze Kiebitzweide mit einem Elektrozaun eingezäunt.
Lucas Lombardo erklärt: «Füchse haben stark zugenommen. Die Tollwut ist ausgerottet, bejagt werden sie kaum.» Die Mäusejäger meiden grosse, sumpfige Gelände, wo Kiebitze brüten und Junge aufziehen. Einst war das Überflutungsgebiet im Grossen Moos so ausgedehnt, dass Füchse dort meist ausblieben. Wenn aber, so wie heute, rundherum ideales Fuchsgebiet mit trockenen Feldern liegt, dann schrecken wenige Hektaren Sumpf die Rotröcke nicht ab. «Ein Fuchs räumt ein einziges Feld in einer Nacht leer», sagt Lucas Lombardo. Der Zaun ist überlebenswichtig für die Kiebitze.
Der Ornithologe ist zuversichtlich, dass es mit der Brut und Aufzucht der Jungen in diesem Jahr klappen wird. Kiebitze bebrüten drei bis vier Eier um die28 Tage lang. Die Jungen sind Nestflüchter, trippeln also kurz nach dem Schlupf herum. «Darum ist es wichtig, dass sie ihre Nahrung ganz in der Nähe finden.» Das sind besonders Regenwürmer und andere Bodentiere. Bis Junge flügge werden, dauert es etwa 30 Tage.
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Kiebitzweibchen sind standorttreu. Die Männchen würden eher für genetischen Austausch sorgen, erklärt Lucas Lombardo. Kiebitze aus der Schweiz flögen im Winter an die französische Atlantikküste, manche blieben in der Schweiz.
Der kalte Wind fegt über die schutzlose Landschaft. Die Haubenspitzen der Kiebitze, die hier brüten, unterscheiden sich nicht von Grashalmen, die im Wind flattern. Die Schottischen Hochlandrinder blicken stoisch. «Wir hoffen, dass hier so viele Kiebitze gross werden, dass sie sich in ihrem Bestand auf eine weitere Fläche bei Witzwil ausdehnen werden», sagt Lucas Lombardo mit leuchtenden Augen.
Kiebitze in der SchweizDer Gesamtbestand in der Schweiz beträgt um die 200 Kiebitzbrutpaare. Die Hälfte davon konzentriert sich auf die Brutgebiete im Grossen Moos (BE), im Wauwiler Moos (LU) und im Nuoler Ried (SZ). Hochburgen des europäischen Kiebitzbestandes sind die Baltischen Staaten sowie osteuropäische Länder.
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