Pipo, Zara, Maja und Nyla sollen ihren Kopf selbstständig in die geöffnete Hand ihrer Vertrauensperson legen. Dort soll der Hundekopf mit Gewicht und möglichst lange ruhen. So erklärt Flavia Purtschert die erste Übung, die an diesem warmen Sommerabend im Clubhaus des Kynologischen Vereins Luzern eingeübt wird. Vier Hundehalterinnen und Hundehalter mit ihren Vierbeinern haben sich zum Medical-Trainings-Kurs zusammengefunden. Einerseits, um Massnahmen der ersten Hilfe kennenzulernen, andererseits vor allem auch, um zu erfahren, mit welchen eingeübten Tricks sie medizinische Kontrollen oder Eingriffe so gestalten können, dass sie ihrem Hund möglichst wenig Stress bereiten.

Damit Labradordame Maja ihren schwarzen Kopf dauerhaft auf der Hand ihres Herrchens Cédric platziert, wird mit Leckerli gearbeitet. Langsam zieht Cédric das Hundeguetzli von seiner Hand Richtung Unterarm hoch. Und siehe da, andächtig legt Maja ihr Kinn in die Hand und fixiert mit den Augen die Leckerei. Eine Übung, die allen vier Hunden leichtfällt und nützlich sein kann, wenn dem Vierbeiner beispielsweise Augentropfen verabreicht werden müssen.

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Keine Grenzen überschreiten

«Das Vertrauen und die Selbstbestimmung des Hundes stehen für mich im Zentrum, der Hund darf bei allen Übungen selbst bestimmen, wann es ihm zu viel wird», erklärt Flavia Purtschert (flaviafürallefelle.ch) ihren Ansatz. Die quirlige junge Frau, die mit ihrer Art Mensch und Tier sofort in ihren Bann zieht, ist gelernte Tierpflegerin und arbeitet seit ihrer Lehre, die sie 2013 begann, im Tierheim Paradiesli in Ennetmoos (NW). 2017 absolvierte die Hundebesitzerin zudem den Kurs zur Gruppenleiterin bei der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft. «In meinem Leben dreht sich so ziemlich alles um Tiere», sagt Flavia Purtschert und ergänzt, sie sehe ihre Aufgabe darin, sich für das Wohl der Tiere einzusetzen und ihnen eine Stimme zu geben.

«Bei meiner Arbeit komme ich oft in Kontakt mit Hunden, die grosse Gegenwehr zeigen, nur schon, wenn ich ihnen eine Zecke entfernen möchte», erzählt die junge Frau. Und andererseits erlebe sie in der Wildtierpflege, wie dem Menschen kräftemässig weitaus überlegene Tiere sich ohne Probleme medizinisch versorgen lassen, weil mit ihnen die Behandlungsschritte, auf Freiwilligkeit basierend, eingeübt wurden. Dies zeige, dass dank gutem Training weder das Anlegen eines Verbandes, noch die Ohrkontrolle oder das Krallenschneiden zum hysterischen Kampf ausarten müssen.

«Was der Hund selber ausprobiert, bleibt ihm besser im Gedächtnis.»

Die nächste Übung bildet dann auch die Basis zum problemlosen Scheiden der Krallen. Der Hund soll die Pfote auf Kommando in die Hand legen und in einem zweiten Schritt wird diese sanft und langsam geschlossen, um die Pfote festhalten zu können. Auch hier wird mit vielen Leckerli positiv unterstützt und belohnt. Die angehende Blindenhündin Zara zeigt sich ziemlich verwirrt, das Kommando «Pfötli» kennt sie nämlich noch nicht und es bedarf also noch etwas Training zu Hause, bis auch sie versteht, was von ihr verlangt wird. «Waren dies relativ einfache Aufwärmübungen, wird es nun einen Ticken schwieriger», kündigt die gelernte Tierpflegerin an. Aus dem «Platz» heraus soll sich der Hund seitlich hinlegen, damit beispielsweise Bauchuntersuchungen vorgenommen oder Röntgenbilder hergestellt werden könnten. Cédric entweicht bereits bei der Ankündigung der Übung ein tiefer Seufzer. Das habe er mit Maja oft versucht, sie folge dem Leckerli, das er über ihren Kopf hinweg nach hinten führe, auch interessiert, kurz bevor sie sich aber seitlich hinlegen müsse, ziehe sie immer die Notbremse. Selbst mit der sachkundigen Unterstützung der Kursleiterin ist Maja von der Position, die ein grosses Vertrauen verlangt, noch nicht ganz zu überzeugen. Auch für dieses Paar steht zu Hause noch etwas Training auf dem Programm, während sich der kleine Pudel Pipo ohne zu zögern und ganz entspannt hinlegt. «Jeder Hund ist einzigartig, deshalb ist es wichtig, dass wir verschiedene Ansätze anwenden und den Tieren genügend Zeit lassen, unsere Anweisungen auch verstehen zu können», mahnt Flavia Purtschert.

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Die Bedrohlichkeit nehmen

Zum Tierarztbesuch gibt sie einen weiteren Tipp mit auf den Weg: Es ist sinnvoll, eine bekannte Kuschel-decke mitzunehmen, auf welcher der Hund zu Hause, natürlich immer mit Vorankündigung, an den verschiedensten Körperstellen berührt wurde.

«Das Vertrauen und die Selbstbestimmung des Hundes stehen für mich im Zentrum.»

Leidet ein Hund unter extremen Schmerzen und will sich nicht berühren lassen oder während einer Zugfahrt, beispielsweise in unserem Nachbarland Italien, muss ein Maulkorb aufgesetzt werden. Ein erster Schritt beim Maulkorbtraining besteht darin, dass der Vierbeiner Leckerli daraus fressen darf. Klappt dies schon gut, kann das Leckerli von aussen durch den Maulkorb hindurch angeboten werden, sodass der Hund seine ganze Schnauze hineinsteckt. «Alles, was der Hund selbstständig ausprobiert hat, bleibt ihm besser im Gedächtnis», so Flavia Purtschert. Es macht keinen Sinn, das Hilfsmittel einfach schnell überzustreifen. Auch beim anschliessenden Umlegen des Befestigungsbandes um den Kopf, muss Schritt für Schritt und ganz ohne Druck vorgegangen werden. Weder Nyla noch Maja, Pipo oder Zara waren allerdings an diesem ersten Kursabend schon für dieses Unterfangen bereit.

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Die kleine, wuschelige Zara zeigte sich auch für die abschliessende Übung noch nicht wirklich willens. Eine Rampe kann hilfreich sein, wenn der Hund etwa wegen einer Operationsnarbe nicht hochgehoben werden soll. Der schwarzen Hündin kam dieses dunkle Ding aber äusserst suspekt vor, auch eine Leckerlispur konnte sie nicht davon überzeugen, all ihre vier Pfoten darauf zu setzen. Das ist aber nicht weiter schlimm, die nächsten Kursabende bieten noch genügend Zeit zum Üben. Und wie Flavia Purtschert eingangs erwähnt hat, wird von jedem Hund akzeptiert, wenn er aufzeigt, dass seine individuelle Grenze bei einer Aufgabenstellung überschritten wird.

 

Übungen, um den Hund für den Tierarztbesuch vorzubereiten
Dem Hund angewöhnen, dass seine Pfote festgehalten wird.
Den Hund daran gewöhnen, dass er an allen Körperteilen angefasst wird.
Den Hund lehren, seinen Kopf für längere Zeit in die Hand einer Person zu legen.
Den Hund lehren, sich seitlich hinzulegen.
Den Hund daran gewöhnen, über eine Rampe zu gehen.
Den Hund an das Anziehen und Tragen eines Maulkorbes gewöhnen.
Dem Hund beibringen, dass er seinen Mund offen hält.
Den Hund trainieren, dass er sich tragen lässt.