Sie lassen brüten
Grossfusshühner nutzen Erdwärme zum Brüten
Grossfusshühner haben das Brüten ausgelagert. Die Arten aus dem australischen Raum benützen zum Ausbrüten ihrer Eier die Wärme von Laub- und Erdhügeln sowie von Vulkanen. Doch auch das ist nicht immer einfach.
Brüten und Junge aufziehen ist nicht jedes Vogels Sache. Die Vertreter der Familie der Grossfusshühner foutieren sich darum. Sie lassen brüten – und nutzen dazu die Erdwärme, die entsteht, wenn organisches Material verrottet. Oder sie bedienen sich der Bodenwärme in der Nähe aktiver Vulkane. Eine effiziente Vorgehensweise: Denn, ohne dass die Vogeleltern auf den Eiern sitzen, schlüpfen Küken, arbeiten sich aus dem Erdreich empor und suchen sofort selbst Nahrung. Ihre Eltern kennen sie nicht einmal. Grossfusshühner sind sehr speziell. Sie kommen in 23 Arten in Australien, Neuguinea und auf indonesischen Inseln vor. Wie es der Name andeutet, fallen die grossen Füsse und kräftigen Zehen auf.
Das Herausragende ist das eigenartige Brutverhalten dieser Hühnervögel. Es fordert auch Forscher heraus. Die Frage stellt sich: Handelt es sich bei den Grossfusshühnern nun um eine besonders primitive Form von Vögeln, die das Nist- und Brutverhalten noch nicht entwickelt haben? Ihre Brutmethoden erinnern auf den ersten Blick an diejenigen von Reptilien. Da die Wissenschaft davon ausgeht, dass sich Vögel aus den Reptilien entwickelt haben, leuchtet diese Idee ein. Zwischenzeitlich gilt aber die folgende Auffassung: Grossfusshühner haben in ihrer Stammesgeschichte sehr wohl ein Brut- und Aufzuchtverhalten entwickelt. Im Lauf der Evolution hat es sich offenbar aber wieder zurückgebildet.
Die eingangs salopp angedeutete Nachlässigkeit beim Brüten wird längst nicht allen Grossfusshühnern gerecht. Das männliche Australische Buschhuhn oder Talegalla beispielsweise baut aus Pflanzenmaterialien einen Hügel. Die enorm kraftanstrengende und zeitraubende Aufgabe nimmt ganze elf Monate im Jahr in Anspruch. Das Männchen hält sich während dieser Zeit immer um den Hügel auf, scharrt Material weg, gibt es wieder hinzu, je nach Temperatur im Hügel.
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Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Vertreter der Grossfusshühner aus Australien Thermometerhuhn genannt wird. Das Männchen dieser Art kontrolliert nämlich mit einem Sinnesorgan im Schnabel die Bruttemperatur. Dabei steckt es den Schnabel in den Bruthügel. Entsprechend dem Ergebnis scharrt es Material weg oder zu. Die Temperatur im Innern sollte immer etwa bei 33°C liegen, damit sich die Embryonen in den Eiern gut entwickeln. Das Männchen lässt das Weibchen erst zur Eiablage zum Hügel, wenn alles stimmt. Das Weibchen kann bis zu 34 Eier legen, die nach einer Spanne von 49 bis 96 Tage zum Schlupf gelangen. Die Altvögel kümmern sich nicht um die Jungen, die vom ersten Tag an flugfähig und nach eineinhalb Jahren ausgewachsen sind.
Der Vulkan regelt’s
Während die australischen Thermometer- und Buschhühner gut erforscht sind, geben die Arten der Südseeregion viele Rätsel auf. Dr. Ann Göth machte sich in den Jahren von 1991 bis 1993 auf der Tonga-Insel Niuafo’ou auf die Suche nach dem exklusiv vorkommenden Tonga-Grossfusshuhn. Die Forscherin verbrachte insgesamt 17 Monate auf der Insel, die einen Durchmesser von acht Kilometern hat und rund 800 Insulaner beheimatet. Heute lebt die Österreicherin im australischen Sydney und wurde an der diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Tropenornithologie (GTO) im deutschen Bindlach bei Bayreuth per Video zugeschaltet. Sie erzählte von ihren Beobachtungen auf der Insel in den Weiten des Ozeans. Sie habe die Tonga-Grossfusshühner an einem schwer zugänglichen Ort auf der Insel gefunden: im Innern des Kraterrands. «Der derzeit schlafende Vulkan brach neunmal während den vergangenen 200 Jahren aus», erzählte die österreichische Forscherin. Tonga-Grossfusshuhn-Paare würden auch lebenslang zusammenbleiben und ihre Territorien verteidigen. Das sei erwähnenswert, denn normalerweise leben nur Vogelpaare monogam, die eine aufwendige Jungenaufzucht zu bewerkstelligen hätten. Grossfusshühner aber kümmern sich gar nicht um ihre Jungen.
«Die Weibchen der Tonga-Grossfusshühner graben einen Kanal in vulkanische Erde, der gerade gross genug für sie ist. Sind sie dort angelangt, wo die Bruttemperatur stimmt, also bei 31 bis 33° C, legen sie ihre Eier.» Mit dem Temperatursensor im Gaumen sind sie gut ausgerüstet. Und da sie sich nicht um ihre Jungen kümmern, legen sie wesentlich mehr Eier als normale Hühner. Zudem legen viele verschiedene Weibchen ihre Eier in die gleiche Höhle. Ann Göth fand bis zu 50 Eier in einer Höhle und erklärte: «Es gibt nicht viele Stellen mit weichem und konsistentem vulkanischem Boden, wo die Vögel Höhlen graben können.» Es dauere 50 bis 80 Tage bis zum Schlupf der Küken. «Die Eier enthalten einen sehr grossen Dotter. Das stärkt die Embryonen vor dem Schlupf, damit sie genug Kraft haben, sich aus dem Erdreich an die Oberfläche zu arbeiten.» Ganze 40 Stunden benötige ein Küken, um sich aus dem Erdreich zu befreien. Offenbar beeinflusst die Temperatur das Geschlecht der Jungen. Die Forscherin klärte auf: «Nach warmen Jahren hat es mehr Weibchen, nach kälteren mehr Männchen gegeben.»
Das Leben auf der Insel mit den Tonga-Grossfusshühnern weitab von allem war speziell. Schiffe langten nur alle paar Monate an. «Wir waren auf die Inselbewohnerinnen und -bewohner angewiesen.» Ann Göth und ihr damaliger Partner wurden gut von den Familien aufgenommen und konnten sich innerhalb kurzer Zeit ins Leben der Tonganer integrieren. Dazu gehörten sonntägliche Gottesdienstbesuche und das andere Zeitgefühl der Menschen dort. Sie habe auf den Tongainseln bald erfahren, dass Zeit, wie sie in Europa gelebt werde, relativ sei. Der Tonganer sage, dass er entweder in Kürze, in langer Kürze oder in sehr langer Kürze komme.
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Auf mehreren ozeanischen Inseln sind Grossfusshühner ausgestorben, da ihre Eier von Einwohnern begehrt, ausgegraben und gegessen werden. Sie sind wegen des hohen Anteils an Eidotter sehr nahrhaft. Trotzdem gibt es auch Regionen, wo die Eier seit Hunderten von Jahren vernünftig genutzt werden. Etwa auf den südlichen Molukken oder auf Neubritannien. Grundsätzlich geht der Bestand des Thermometerhuhns drastisch zurück, während das Australische Buschhuhn sogar in Gärten und Parks vorkommt. Ein Vertreter der Grossfusshühner ist mit dem Australischen Buschhuhn im Zoologischen Garten Basel zu sehen und baut dort sogar am Bruthügel – vor Besuchern.
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