Als Katharina Vlcek durch den Mittelmeerraum reiste, war ihr Notizbuch immer gezückt. Ihre scharfen Beobachtungen sind in Text und Illustration des neuen, soeben im Berner Haupt-Verlag erschienenen Buches «Mittelmeer» eingeflossen.

Beim Wort Mittelmeer tauchen im Gedächtnis Ferien am sonnenbeschienenen Strand, Bummel über Fischmärkte, Rosa Flamingos, antike Stätten oder Olivenbäume auf. Auch wer noch nie im Mittelmeergebiet war, kann nun dorthin reisen und wird nachher sogar mehr wissen als jemand, der in Italien oder Südfrankreich am Strand lag – dank des Buches der Autorin und Illustratorin Katharina Vlcek.

Wer weiss schon, dass vor der Küste des Libanons die Palmeninseln liegen, dass 60 Jahre vergehen, bis sich Tiefsee- und Oberflächenwasser des Mittelmeeres einmal komplett ausgetauscht haben oder was Neptunbälle sind und wie sie entstehen? All dies entschlüsselt die deutsche Künstlerin. Mit Katharina Vlceks Buch lässt es sich wunderbar an den Gestaden des uralten Kulturraums reisen.

Schon in der Steinzeit haben sich an den Rändern des Mittelmeers Menschen niedergelassen. Davon zeugen beispielsweise Felszeichnungen in der Grotte Chauvet im südfranzösischen Département Ardèche. Die reichen Felsmalereien, die Höhlenlöwen, Wildpferde und Auerochsen darstellen, werden auf ungefähr 37 000 Jahre vor Christus datiert. Viel mehr als von diesen ersten Menschen ist von den antiken Kulturen bekannt, wie den Ägyptern, die von 3032 vor Christus an das Land am Nil prägten, den Phöniziern entlang der Levanteküste, den antiken Griechen, die damals noch nicht als geeintes Volk auftraten, und schliesslich von den Römern, die den gesamten mediterranen Raum dominierten.

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Menschen begannen früh damit, die Wälder, bestehend aus Eichen, Erdbeer-, Johannisbrot- und Lorbeerbäumen rund ums Mittelmeer abzuholzen. Allein der Bedarf an Holz für den Schiffsbau war enorm. Dies ist ein Grund, warum die heutige Mittelmeervegetation oft nur noch aus einer Strauchschicht besteht. Auf europäischem Boden am Mittelmeer gedeihen mit der Zwergpalme im westlichen Mittelmeerraum und mit der Kretischen Dattelpalme gar zwei Palmenarten. Während der gelb blühende Meerfenchel und der Mastixstrauch typische mediterrane Pflanzen sind, die in Strandnähe wachsen, sind die hübsch lila blühenden Mittagsblumen und die Feigenkakteen mit ihren rundlichen Blättern wie Ohren eingeführte Arten. Die Mittagsblume, die wie ein Teppich über den Sand wuchert und in der Hitze blüht, stammt ursprünglich aus Südafrika, Feigenkakteen oder Opuntien kommen aus Zentralamerika.

Verborgene Welt unter Wasser

Kaum eine Pflanze wird so sehr mit dem Mittelmeerraum in Verbindung gebracht wie der Olivenbaum. Älteste Exemplare dieses knorrigen Baumes, der gar auf felsigem, trockenem Boden wächst, stammen aus dem Libanon an der Levante. Sie werden auf 6000 Jahre geschätzt. Bereits im ägyptischen Pharaonenreich wurde Olivenöl verwendet, und im Alten Testament der Bibel sendet Noah eine Taube aus der Arche, die mit einem Olivenzweig zurückkehrt. Ein Zeichen, dass wieder Land vorhanden war nach der Sintflut. Das Mittelmeer galt lange Zeit als gefährlich, obwohl Fische seit jeher die Menschen in diesem geographischen Raum ernährten. Antike Schiffe hielten sich bei der Navigation eher an Küstenbereiche und fuhren nur bei Notwendigkeit über das offene Wasser. Immer wieder verschlang das Meer Schiffe und Handelsgut, wovon versunkene Amphoren und Statuen zeugen. Und bis heute wird das Mittelmeer zur Todesfalle für viele Flüchtlinge, deren Reise in schlechten Booten misslingt.

Zur verborgenen Welt unter Wasser gehören etwa die Seegraswiesen. Sie zählen zu den wichtigsten Lebensräumen, weil sie zur Lebensmittelversorgung beitragen, Küsten sichern, das Wasser reinigen, Kohlenstoffdioxid binden und unzählige Arten und auch Jungfische beherbergen. Während des Sommers siedeln so viele Aufsitzer auf den Seegrashalmen, dass die Blätter abgeworfen werden. Im Winter treiben neue aus. Die alten aber formen sich im Meer zu Bällen, werden an Strände geschwemmt und über den Sand geweht. Sogenannte Neptunbälle. Etwa 1200 Algenarten sind allein aus dem östlichen Mittelmeer bekannt. Daneben pflügen Seegurken über den Sand, Korallen klammern sich an Felsen und Grüne Mittelmeer-Krabben machen sich über Aas her.

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An der Küste schillert das Wasser azurfarben, worauf etwa der Name Côte d’Azur in Südfrankreich hindeutet. Weit draussen im Meer aber wirken die Fluten schwarz – das Tor zur Tiefsee. Mit 5109 Metern unter dem Meeresspiegel bildet das Calypsotief den tiefsten Punkt im Mittelmeer. Es liegt im Hellenischen Graben vor Griechenland. Zweimal sind bereits Menschen mit Tauchboten in diese lichtlose Welt vorgestossen, wo Fangzahnfische schwimmen und sich Pottwale Kalmare holen.

Dämmrig ist es hingegen an den felsigen Abhängen. Im diesigen Licht gedeiht eine grosse Gemeinschaft aus Algen, Schwämmen, Schnecken, Krabben, Garnelen und Muscheln, die von verschiedenen Fischarten besucht werden. Seit sich Menschen an den Gestaden des Mittelmeers angesiedelt haben, ernähren sie sich von Meerestieren. Heute ist das Mittelmeer komplett überfischt. Zwischenzeitlich werden aber gewisse Meeresbereiche geschützt. Fangquoten und saisonale Fangverbote haben ebenfalls dazu beigetragen, dass sich die Fischbestände wieder etwas erholen.

Hauptwasserzufluss bei Gibraltar

Der Schutz der sensiblen marinen Mittelmeerwelt ist dringend nötig. 20 bis 30 Prozent aller im Wasser lebenden Arten kommen nur im Mittelmeer vor. Das gibt es sonst nirgendwo in einem Meer. Obwohl das Mittelmeer recht gut abgeschlossen ist von den Weltmeeren, schwimmen vom Finnwal über den Schwertfisch bis zum eigentümlichen Mondfisch, von der Unechten Karettschildkröte bis zum Orca ganz unterschiedliche Meeresbewohner darin. Das Plankton steht am Anfang der marinen Nahrungskette, am Ende der Weisse Hai.

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Wichtige und besondere teilaquatische Lebensräume am Mittelmeer sind die Flussdeltas. Mit der Rhone fliesst auch ein Gewässer, das in der Schweiz entspringt, ins glitzernde Mittelmeer. Im Rhonedelta in Südfrankreich leben über 10 000 Rosa Flamingos und seihen mit ihren besonderen Schnäbeln aus den Salinen kleine Krebschen. Das bedeutendste Delta bildet der Nil in Ägypten. Das Gebiet mit Papyrussümpfen ist rund 24 000 Quadratkilometer gross. Während in Flüssen etwa 10 000 Kubikmeter Süsswasser pro Sekunde ins Mittelmeer fliessen, strömen um die 70 000 Kubikmeter pro Sekunde vom Atlantik her durch die Strasse von Gibraltar. Somit handelt es sich hier um die wahre Lebensader des Mare Nostrum, wie das Mittelmeer von den Römern genannt wurde. Auf dem Felsen von Gibraltar sitzen derweil die Berberaffen und blicken auf das schillernde Wasser und auf die zahlreichen Frachtschiffe, die dort unterwegs sind, während der Wind durch Zwergpalmen säuselt.

Das Mittelmeer, uralter Kulturraum und Lebensraum einer grossen Pflanzen- und Tiervielfalt. Warum ihn nicht mal per Buch vom Sessel aus erkunden, dabei in Erinnerungen schwelgen, Pläne schmieden oder sich ganz einfach mit dieser Welt vertraut machen.

SchmökereckeDas grossformatige, durchgehend farbig illustrierte Buch bietet nicht nur eine Reise rund ums Mittelmeer, sondern auch einen Tauchgang in die unterschiedlichen Wasserschichten und einen Überblick zu geschichtlichen Ereignissen, Städten, Ferienorten und zum gesamten Naturraum der mediterranen Welt. Eine Entdeckungsreise mit erstaunlichen Fakten rund um das Mittelmeer, einzeln in zahlreichen Detailillustrationen und wunderbaren, ganzseitigen Gemälden aufbereitet. Ein Buch für Kinder und Erwachsene. Die Autorin und Illustratorin lebt im Umland Hamburgs in Deutschland und studierte Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.  
«Mittelmeer – Tauche ein in die mediterrane Welt», Katharina Vlcek, Haupt Verlag Bern, 80 Seiten

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