Flamingos werden mit Exotik, Wärme, Strand und Paradies assoziiert. Diese Ideen stehen im krassen Gegensatz zu ihren unwirtlichen Lebensräumen. Sie halten sich dort auf, wo kaum Leben ist: in Salz-, Natron- und Sodaseen, in öden Salinen in Wüsten und in 4500 Metern Höhe bei minus 20 Grad Celsius. Sie haben sich Biotope ohne Konkurrenten erschlossen. Flamingos schaukeln auch in der Schweiz im Sommer übers Wasser von Seen und Flüssen – als beliebte Accessoires, denn Badeflamingos sind in Mode.

Rosaflamingos fliegen ab und zu tatsächlich auch in das Alpenland Schweiz ein und verursachen Schlagzeilen, nicht erst in neuster Zeit. In einer Ausgabe der Schweizer Zeitschrift «Ornithologischer Beobachter» aus dem Jahr 1933 werden Flamingo-Beobachtungen erwähnt, die bis 1777 zurückreichen. Am 28. Mai 1924 wurden bei Spiez am Thunersee an die 100 Flamingos gesichtet.

Weil die Rosaflamingos zum Teil ziehen, haben sie sich in einem sehr grossen Verbreitungsgebiet etabliert, das von Indien über Europa bis nach Afrika reicht. Aus Gruppen lösen sich kleine Schwärme, ziehen weg – und bleiben, wenn sie geeigneten Lebensraum finden. So zum Beispiel im Zwillbrocker Venn, einem Feuchtgebiet im deutschen Münsterland. Dort hat sich die nördlichste Flamingokolonie etabliert. Die Vögel fliegen an die Nordsee, um mit ihren besonderen, gebogenen Schnäbeln Nahrung aus dem Wattenmeer und den Salzseen zu filtern.

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Rosaflamingos ernähren sich zwar auch von Algen und Einzellern, die sie durchaus in Schweizer Sumpfgebieten finden, doch ihnen fehlen hier die Salinenkrebschen. Sie sind Hauptbestandteil ihrer Nahrung und leben beispielsweise in den seichten Brackwasserzonen der Camargue in Südfrankreich. Ein Tummelfeld für sehr grosse Schwärme Rosaflamingos. Um sie zu beobachten, ist keine aufwendige Pirsch notwendig.

Bereits während der Zugfahrt von Montpellier nach Sète sind sie meist zu sehen. Die Bahn rattert überDämme entlang von Brackwasserzonen, links das glitzernde Mittelmeer, rechts Lagunen und Salinen. Darin stelzen Hunderte von Flamingos herum, manche fliegen mit ausgestreckten Hälsen unter mediterraner Sonne. Doch viele strecken ihren Kopf ins Wasser und fahren mit dem Schnabel hin und her. Sie seihen die Salinenkrebschen heraus, das heisst, sie filtern ihr Futter aus dem salzhaltigen Wasser.

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Die Schnäbel der Flamingos sind an die besondere Nahrung angepasst. Sie sind grossteils mit Lamellen besetzt. Ein Knick in der Mitte sorgt dafür, dass der Oberschnabel beim Seihen dem Boden zugewandt ist. Der Spalt zwischen den beiden Schnabelhälften bleibt über die ganze Länge beim Öffnen klein. Äussere Lamellen verengen diesen Spalt. Darum können nur kleinste Teilchen mit dem Wasser in den Schnabel eingesogen werden.

Der Flamingo zieht bei nur leicht geöffnetem Schnabel seine dicke, fleischige Zunge zurück, sodass im Schnabel ein Unterdruck entsteht und das Wasser nach innen strömt. Nun schliesst der Flamingo den Schnabel und bewegt die Zunge nach vorn, sodass das Wasser wieder aus dem Schnabel herausgepresst wird. Die Nahrungsteilchen, wie eben die Salinenkrebschen, bleiben in den Lamellen hängen. Zieht der Flamingo die Zunge erneut zurück, werden sie von den hornigen, stachelartigen Zungenfortsätzen in die Mundhöhle befördert. Gleichzeitig strömt wieder Wasser ein.

Rote Federn dank Karotinoid

Salinenkrebschen, die auch Artemia genannt werden, leben in salzhaltigen Gewässern und ernähren sich von Algen und Nanoplankton. Sie vermehren sich unter günstigen Bedingungen massenweise. Ohne Salinenkrebschen kein hübsches rosa Gefieder.

Die Krebschen enthalten nämlich Karotinoide, die sich im Gefieder ablagern. Dass sie wichtig für die attraktive Gefiederfarbe sind, wurde durch die Zoohaltung bekannt. Das Gefieder von Vögeln unter Menschenobhut wurde mit den Jahren immer weisser. Die Salinenkrebschen und mit ihnen das Karotinoid fehlten. Heute wird der Farbstoff standardmässig der pelletierten Flamingonahrung zugesetzt, sodass die Gefiederfarbe natürlich bleibt.

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Es gibt sechs verschiedene Flamingoarten, manche kommen in den gleichen Seen vor, haben aber unterschiedliche Ausbildungen der Filtervorrichtung ihres Schnabels. Sie seihen damit andere Bestandteile aus dem Wasser. Arten mit gleicher Filtervorrichtung und damit im Zusammenhang stehender gleichartiger Nahrung konkurrenzieren sich so nicht. Ein Beispiel dafür sind die Rosa- und die Zwergflamingos, die gemeinsam in den ostafrikanischen Salzseen des Grabenbruchs vorkommen. Zum Trinken fliegen Flamingos zu Quellen oder nehmen gar das Regenwasser auf, das sich im Gefieder sammelt. Wenn sie sich auch mit Vorliebe im seichten Wasser auf ihren Stelzbeinen fortbewegen, so können sie sehr wohl bestens im Tiefwasser schwimmen.

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Schweizer Camargue

Wer sich nicht auf eine Zugfahrt durch die Camargue begeben möchte, reist nach Basel in den Zolli in die Schweizer Camargue. Gegen 130 Rosaflamingos schnattern in einer Weiherlandschaft zwischen dem Antilopen- und dem Etoschahaus. Der Zoo Basel ist weltweit bekannt für die Zucht von Flamingos. Im Jahr 1959 gelang nämlich dort die Welterstzucht des Rosaflamingos. Ein Jahr vorher schlüpften in Basel die ersten Chileflamingos in einem europäischen Zoo. Das war eine Sensation, denn damals war kaum etwas über das Leben der Vögel bekannt. Zum Erfolg führte, weil in Basel die Gruppe auf 44 Flamingos erhöht und ein Teil ihres Geheges künstlich überschwemmt wurde.

Bereits ab Februar vollführen die Basler Flamingos ihr Ballett.

Flamingos errichten am Rand von Inseln mitten in Salzseen Kegelnester aus Schlick, Steinchen und Muscheln. Wenn der Wasserspiegel steigt, bleibt der Kegel mit der Nestmulde trocken. Das eine weisse Ei wird während gut 28 Tagen von beiden Elternteilen bebrütet. Das Junge schlüpft als graues Flaumknäuel. Es wird von den Eltern mit einem Sekret gefüttert. Der Schnabel des Jungvogels ist gerade, die Beine sind dick und wirken glasig und angeschwollen.

Die Schwellung verschwindet ab dem zweiten Tag. Auch die Beinfarbe ändert sich nach bis zu zehn Tagen ins Schwarze. Der Schnabel verformt sich erst mit dem Älterwerden. Das Junge verlässt das Nest schon im Alter von sieben bis zehn Tagen. Die Eltern begleiten und beschützen es vor den anderen Vögeln. Bald wird das Junge öfters alleine gelassen. Es schliesst sich dann Gruppen von Jungvögeln an. Die Eltern erkennen ihr Junges anhand seiner Stimme.

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Mit etwa vier Wochen wachsen die ersten richtigen Federn. Der Filterapparat des Schnabels entwickelt sich langsam. Auch nach 70 Tagen, wenn das Junge schon flugfähig ist, sind die Filterlamellen nicht voll funktionsfähig. Darum ist der Nachwuchs bis dahin auf die Nährflüssigkeit der Eltern angewiesen, die mit der Milch von Säugetieren verglichen werden kann. Sie enthält Karotinoide. Mit eineinhalb Jahren mausern die Jungen und werden den Erwachsenen ähnlicher. Bis zur Geschlechtsreife dauert es sechs Jahre. Flamingos werden mehr als 40 Jahre alt.

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Bereits ab Februar vollführen die Basler Flamingos ihr Ballett. Sie sind in Brutstimmung und stelzen in Gemeinschaft synchron von einer Seite zur anderen. Normalerweise suchen sich Flamingos in jeder Saison wieder einen neuen Partner. Das ritualisierte Verhalten dient vermutlich dazu, die Brut zu synchronisieren. Die Anwesenheit von vielen Individuen stimuliert Flamingos zur Brut. Basel gilt weltweit als Kompetenzzentrum zur Flamingoforschung. Erst durch 65 Jahre Haltung und Zucht wurden viele Details zur Überlebensstrategie dieser Vögel in der Natur bekannt, die auch hilfreich beim Bau von Flamingoanlagen in Zoos weltweit sind.

SCHON GEWUSST?
Fossilfunde weisen darauf hin, dass die Flamingos. einer sehr alten Vogelgruppe angehören, die es schon vor etwa dreissig Millionen Jahren gab, noch bevor die anderen Vogelordnungen entstanden. Normalerweise wurden entwicklungsgeschichtlich alte Formen von jüngeren verdrängt. Da sich die Flamingos vom Lebensraum und der Ernährung her dermassen spezialisiert und an aussergewöhnliche Bedingungen angepasst haben, blieben sie wohl bis heute bestehen.