Zwergmäuse wuseln durch Schilfhalme in einem Terrarium, ein präparierter Luchs steht in einer Vitrine, als würde er bald davonspringen, und ein ausgestopfter Auerhahn sieht aus, als stolziere er balzend durch den Jurawald. Der Klassenraum im Zoo La Garenne in Le Vaud (VD) schafft Verbindung zur Schweizer Natur.

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Clémence Le Lay klebt Federn des Gänsegeiers in richtiger Reihenfolge auf ein Poster, sodass sich ein eindrückliches Bild ergibt. Die Verantwortliche für Pädagogik und Kommunikation konstatiert: «Tiere sind im Leben von Kindern sehr wichtig. Hier lernen sie diese besser kennen.» Bis zu 3000 Schülerinnen und Schüler pro Jahr werden im grossen Naturschulzimmer mit Fakten zu Tieren konfrontiert. Hinzu kommen Ferienpass-Veranstaltungen und Kindergeburtstage. «Die Kinder sind meist sehr aufmerksam und fasziniert», sagt die Zoopädagogin.

«Dreizehn unserer Bartgeier wurden ausgewildert.»

Oscar Gillard, Cheftierpfleger, Zoo La Garenne, Le Vaud (VD)

Was heute professionell in einem geräumigen Schulungsraum durchgeführt wird, nahm einst in einem Garten eines Hauses in Le Vaud seinen Anfang. Der 2001 im Alter von 74 Jahren verstorbene Erwin Meier realisierte 1965 seinen Traum eines kleinen Zoos in seinem Wohnort Le Vaud an den Hängen des Waadtländer Juras. Er gab seinen Posten als Gefängniswärter auf und kümmerte sich fortan mit seiner Familie um Tiere, die ihm zur Gesundpflege gebracht wurden oder die von ihren Besitzern nicht mehr gehalten werden konnten. Wildtiere, die nicht mehr wieder in die Natur integriert werden konnten, blieben in Gehegen in seinem Garten. Erwin Meier war es ein Anliegen, Kindern zu zeigen, was in den Jurawäldern lebt. Dieser Mission folgt der Zoo La Garenne bis heute.

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Eine 1998 gegründete Stiftung führe die Arbeit Meiers weiter, sagt Clémence Le Lay. «2016 konnte der Zoo an seinem heutigen Standort eröffnet werden.» Das gelang dank Spenden, besonders auch von Stiftungen. Das neue, drei Hektaren grosse Gelände biete den Tieren mehr Platz als der ehemalige 6100 Quadratmeter grosse Garten Meiers. Ein moderner Unterrichtsraum mit Ausstellung und eine Pflegestation für Wildtiere, die Hilfe benötigen, ergänzen den neuen Zoo. Der Direktor, Dr. Michel Halbwax, amtet auch als Tierarzt. «Bei uns übt jeder mindestens zwei Tätigkeiten aus», sagt Clémence Le Lay.

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Vom Gehege in die Alpen

Unter den abgegebenen Tieren seien Igel besonders häufig. «Manchmal erhalten wir vier pro Tag», sagt Le Lay. Es handle sich um verletzte oder abgemagerte Tiere. «Wir behandeln sie gegen Parasiten, verarzten ihre Wunden. Sobald es ihnen gut geht, werden sie wieder dort ausgewildert, wo sie eingesammelt wurden, denn Igel sind an ihren Standort gebunden.» Weitere häufige Pfleglinge seien Singvögel, doch auch Milan und Mäusebussard gelangten als Patienten nach Le Vaud. «Wir pflegen jährlich um die 400 Wildtiere», sagt Clémence Le Lay. Um die 40 Prozent könnten wieder in die Natur integriert werden. Damit dies gelinge, werde der Kontakt zwischen Tier und Pfleger kurzgehalten, gesprochen werde nicht, damit die Tiere nicht auf Menschen geprägt würden. «Wie einst, bleiben Tiere, die nicht wieder ausgewildert werden können, bei uns im Zoo. Nur wenn wir keine Heilungschancen sehen, euthanasieren wir sie», erklärt Clémence Le Lay.

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Die Rotmilane und der Mäusebussard in der begehbaren Voliere im Zoo gehören beispielsweise zu denjenigen, die lebenslanges Pflegerecht geniessen. Sie können nicht mehr richtig fliegen. Der Cheftierpfleger Oscar Gillard erklärt, dass um die 50 Arten und ins-gesamt 150 Tiere im Zoo leben. Der Tierkenner ist seit 2015 im Zoo La Garenne tätig und seit 2023 Cheftierpfleger. «Einzig die Waschbären sind Exoten», sagt er zum Tierbestand. Sie würden zu didaktischen Zwecken gehalten, weil diese amerikanische Art in Europa auf dem Vormarsch sei. Gillards Arbeit ist vielfältig. Von Weinbergschnecken im Terrarium bis zu Bartgeiern in der Grossvoliere reicht das Artenspektrum des Jurazoos. Er sagt: «Wir spielen bei der Wiederansiedlung des Bartgeiers im Alpenraum eine grosse Rolle.» Bisher seien 26 Bartgeier im Zoo geschlüpft. «13 davon wurden wieder ausgewildert.» Das erste Weibchen, das in der Natur seit dem Aussterben der Art im Jahr 1913 wieder Junge aufzog, schlüpfte im Zoo La Garenne und wurde 1989 in die Natur integriert.

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Athos, das alte Zuchtmännchen, lebte 47 Jahre in La Garenne und ist heute präpariert in einer Vitrine im Schulungsraum zu sehen. «Unser jetziges Paar stammt von 2018; es sind blutsfremde Tiere aus dem europäischen Erhaltungs-Zuchtprogramm.» Sie würden bald geschlechtsreif. Oscar Gillard hofft, in den kommenden Jahren mit dem jungen Paar an die alten Zuchterfolge anknüpfen zu können.

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Das Wildschwein aus dem See

«Ich habe schon Annäherungen der beiden beobachtet», sagt er lächelnd. Er erklärt, dass sich die Art im Oktober paare und dass im Dezember Eier gelegt würden. «Die Brutzeit dauert um die 55 Tage. Wenn sie Junge haben, reichen wir rotes Fleisch von Ziegen und Schafen. Die Eltern können es gut verdauen.» In der Natur würden im Winter im Schnee Gämsen und Steinböcke verunglücken oder überlebten die harschen Bedingungen nicht. «Die Geier finden während ihrer Aufzuchtszeit vielfältige Nahrung.» Als erwachsene Vögel würden sie Knochen verschlingen.

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Direkt angrenzend leben Gänsegeier und Waldrappe mit Steinwild zusammen. Ein Beweis, dass die Aasfresser völlig harmlos sind. Durch die Grossvolieren führt der Besucherweg. Gitterloser Kontakt mit Tieren der Alpen. Oscar Gillard findet Raubtiere wie den Luchs wichtig für Schweizer Wälder, damit der Wildbestand in Grenzen gehalten werde. Er sieht einen wichtigen Auftrag des Zoos darin, den Menschen auch Raubtiere nahezubringen. Der Mensch habe den Lebensraum der Raubtiere stark eingeschränkt. Auch darum käme es zu Rissen von Nutztieren. Er habe aber Verständnis für Bauern, die deswegen verzweifeln würden. Er rät zu Schutzmassnahmen mit Elektrozäunen und Hunden.

«Wir füttern unsere Luchse mit ganzen Tieren», sagt Oscar Gillard vor ihrem Waldgehege. Da das Fleisch vorher meist gefroren werde, würde er Vitamine zufügen. Die Luchse leben in Gehegen in einem Waldkorridor. «Er reicht von den Jurahöhen bis zum Léman», kommentiert der leitende Tierpfleger. Ein Steg führt durch die Kronenschicht. Dort, wo er beginnt, suhlen sich Wildschweine.

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«Der Keiler wurde von Fischern aus dem Genfersee gezogen», sagt Oscar Gillard. Das Tier habe sich offenbar dabei übernommen, das Gewässer schwimmend zu durchqueren. Im Zoo La Garenne fungiert dieser Abenteurer fortan als Botschafter seiner Art. Bis zu 60 000 Besucherinnen und Besucher streifen jährlich an ihm vorbei und lernen so die Fauna der Juralandschaft kennen.

Dieser Rotmilan kann nicht mehr richtig fliegen und hat in La Garenne ein Zuhause gefunden. Steinböcke leben zusammen mit Gänsegeiern. Die ersten Bartgeier, die ausgewildert wurden, stammen aus dem Zoo La Garenne in Le Vaud. Storch und Wildschwein geniessen die Sonne.

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Zoo La GarenneDas Postauto 820 fährt vom Bahnhof Nyon aus in knappen 45 Minuten nach «Le Vaud, Zoo». Die Öffnungszeiten: 9.30 bis 18 Uhr (Sommer), im Winter bis Dämmerung. Der Zoo La Garenne ist Mitglied des Schweizer Zooverbandes Zoo Schweiz sowie des europäischen Zooverbandes EAZA und kooperiert an Schutzprojekten.
lagarenne.ch