Auf der Mauer, auf der Lauer
Von Stinkwanze bis Raubwanze: Die faszinierende Welt der Wanzen
Die sechsbeinigen Tiere gelten selbst unter Insektenkundlern nicht als die populärsten Insekten. Dabei können Wanzen weit mehr als nur stinken. Entomologe Andreas Kopp gibt einen Einblick in die Welt der «Stinkkäfer» und erklärt, welche wichtige Rolle die Tiere in der Natur einnehmen.
Schlagzeilen über herbstliche Invasionen von Stinkwanzen in Wohnungen oder Schocknachrichten von Bettwanzen sind auf dem weltweiten Vormarsch – Wanzen gehören nicht zu den beliebtesten Tieren. Dabei bilden sie eine vielfältige Ordnung der Insekten, die beinahe jeden Lebensraum der Welt erobert hat. Selbst die Wasseroberfläche der Ozeane in Ufernähe wird von Meerwasserläufern besiedelt. «Nur extreme Kälte und im Meer unter Wasser zu leben, meiden Wanzen», erklärt Experte Andreas Kopp. Der Präsident des Entomologischen Vereins Alpstein beschäftigt sich seit 1997 mit den Tieren. Er weiss, dass es auch unter Entomologen nicht viele gibt, die sich für Wanzen begeistern. «Einerseits sind die Schmetterlinge und die Käfer sehr attraktiv für Insekten interessierte und andererseits gibt es kaum gute Bestimmungsliteratur über Wanzen. Gibt es wenig Literatur, fällt der Einstieg in das Thema schwer.» Auch Kopp selbst beschäftigte sich zuerst jahrelang mit den Schmetterlingen. Erst als er durch seine Tätigkeit im Entomologischen Verein auf die Wanzen aufmerksam wurde, packte ihn das Interesse. «Ich persönlich empfinde Wanzen als sehr schöne Tiere.» Er glaubt, dass viele Menschen die Insekten nicht sonderlich mögen oder gar meiden, weil sie durch die Stinkdrüsen der Sechsbeiner abgeschreckt werden.
Beinahe alle Wanzenarten weisen charakteristische Stinkdrüsen auf. Das bei Gefahr abgesonderte Sekret dient zur Abwehr von Feinden, aber auch dazu, einen Geschlechtspartner zu finden. Das Wort «Stinkdrüse» kann allerdings irreführend sein, wie Andreas Kopp weiss. Denn: «Nicht alle Wanzen stinken für uns Menschen. Die Amerikanische Kiefernwanze beispielsweise, die von Nordamerika nach Europa eingeschleppt wurde, riecht zitronenartig. Richtig wohlriechend.» Für den Menschen sind die Sekrete, abgesehen vom teils unangenehmen Geruch, völlig harmlos.
Verwechselt werden Wanzen gerne mit Käfern, insbesondere dadurch, weil sie umgangssprachlich auch als «Stinkkäfer» bezeichnet werden. Mit den Käfern sind sie allerdings nicht näher verwandt. Der Experte erklärt den Unterschied: «Alle Wanzenarten haben einen Rüssel, mit dem sie Nahrung saugen, während Käfer sogenannte Mandibeln haben, Mundwerkzeuge, die zum Kauen und Zerbeissen dienen.» Im Ruhezustand ist der Wanzenrüssel oftmals unter dem Körper eingeklappt und auf den ersten Blick nicht ersichtlich.
Eine kaum erforschte Welt
Wie viele Wanzenarten in der Schweiz leben, ist kaum untersucht. «Es gibt eine Liste der europäischen Arten», erklärt Andreas Kopp. «Ich habe die Arten, die auch in der Schweiz nachgewiesen wurden, extrahiert und komme somit auf etwa 830 Arten.»
Die artenreichste Familie der Wanzen mit über 400 Arten machen dabei die Weichwanzen aus. «Und die können sehr klein und unscheinbar sein», erklärt der Wanzenexperte. «Unter den Weichwanzen gibt es eine Gruppe, die ausschliesslich an Gräsern lebt und selbst aussieht wie ein Grashalm.» Viele Wanzen sind Meister der Tarnung und vor dem menschlichen Auge gut versteckt. Besonders kreative Überlebenskünstler sind dabei die Staubwanzen. Deren Nymphen, die Jungtiere, bedecken ihren Körper mit Staub und Schmutzpartikeln, die dank klebriger Ausscheidungen haften bleiben. Somit werden die Tiere so für Feinde beinahe unsichtbar.
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Auffällig dagegen sind die Arten, die sich dank ihrer bunten Warnfärbung nicht zu verstecken brauchen. Die grellen und auffälligen Farben signalisieren Fressfeinden Ungeniessbarkeit. So wie die leuchtend roten Feuerwanzen, denen wohl jeder schon einmal begegnet ist. Teilweise findet man sie insbesondere im Frühling in riesigen Ansammlungen. Laut Andreas Kopp gibt es das Phänomen des Massenauftretens nur bei den Feuerwanzen und bei den Malvenwanzen. «Das ist ganz speziell bei diesen beiden Arten. Vor allem zur Überwinterung schliessen sich die Tiere zu grossen Gruppen zusammen.» Feuerwanzen sind jedoch keine Schädlinge. Vielmehr ernähren sie sich von Pflanzensamen, abgestorbenen Pflanzenresten und toten Insekten und gehören somit zum Aufräum-Kommando der Natur.
Unter den Wanzen finden sich unterschiedlichste Ernährungsweisen. Arten wie die Fichtenzapfenwanze, die Birkenwanze oder die Platanennetzwanze sind, wie ihr Name bereits verrät, wahre Nahrungsspezialisten und saugen nur an Teilen einer bestimmten Pflanzenart. Andere Wanzen wiederum sind keine Kostverächter und ernähren sich von ganz verschiedenen Pflanzen und, wenn sich die Gelegenheit bietet, auch von toten Tieren. Rein räuberisch lebende Vertreter wie die Familie der Raubwanzen lähmen oder töten ihre Beutetiere, vor allem andere Insekten, mit einem Stich, bevor diese ausgesaugt werden.
Wegen ihrer Ernährungsweise entpuppen sich viele Wanzen als wahre Nützlinge im Garten, wie Andreas Kopp erklärt: «Raubwanzen können gegen unerwünschte Insekten im Garten und bei Zierpflanzen eingesetzt werden.» Auch Blumenwanzen erweisen sich als fleissige Helfer für Gärtnerinnen und Gärtner, denn sie saugen Blattläuse aus. In der Natur spielen Wanzen also eine wichtige Rolle im Ökosystem. Sie verzehren nicht nur Pflanzenteile und andere Insekten, sondern dienen selbst als Nahrung für Vögel, Amphibien und weitere insektenfressenden Tierarten.
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Ein Garten für Wanzen
Der Gefährdungsgrad der Wanzenarten in der Schweiz ist eine grosse Unbekannte. Eine Rote Liste für Wanzen gibt es nicht. Auch Museumssammlungen der Insektenordnung sind selten, weshalb kaum Daten darüber vorliegen, wie es um die Insekten bestellt ist. Doch Andreas Kopp ist überzeugt, dass auch Wanzen von Lebensraumzerstörung und dem Einsatz von Pestiziden betroffen sind. «Werden Lebensräume und mit ihnen Pflanzenarten zerstört, verschwinden auch die Arten, die sich von diesen Pflanzen ernähren.»
Wanzen lassen sich jedoch durch einfache Massnahmen auch im eigenen Garten fördern. «Eine grosse Vielfalt an heimischen Stauden und krautartigen Pflanzen hilft vielen Insekten», erklärt der Entomologe. «Ganz wichtig ist es, Pflanzenstängel nach dem Verblühen nicht sofort wegzuschneiden, sondern sie über den Winter stehenzulassen.» In den Stängeln überwintern verschiedene Wanzenarten, aber auch Wildbienen und andere Insekten. «Möchte man die Stängel im Frühling entfernen, sollte man diese noch mindestens zwei Monate an einem geschützten Standort wie an einer Hauswand lagern, damit die Insekten in Ruhe aufwachen können», gibt der Experte als Ratschlag.
Kommt es einmal vor, dass eine Pflanze im Garten von Wanzen überfallen und ausgesaugt wird, gilt es, tolerant zu sein, Ruhe zu bewahren und nicht voreilig zu Gift zu greifen. «In dem Moment, in dem eine Pflanze von Wanzen angesaugt wird, mag das für den Menschen tragisch wirken», erklärt Andreas Kopp. «Pflanzen erholen sich jedoch problemlos wieder.» Und sollten sich beispielsweise Beerenwanzen über die Beerenernte im Garten hermachen, kann man die Tiere einzeln ablesen und an einem anderen Ort platzieren. «Ein vielfältiger und naturnaher Garten befindet sich nach nur wenigen Jahren in einem natürlichen Gleichgewicht», erklärt Andreas Kopp. «Es lohnt sich also, Geduld zu haben.» Ganz besonders, wenn man bedenkt, welch wichtige Rolle Wanzen in der Natur einnehmen.
Exotische Pflanzen führen zu InvasionenIn einer Studie schlussfolgert ein Forschungsteam der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, dass sich gebietsfremde Insektenarten durch eingeführte oder verschleppte Pflanzen erfolgreich ausbreiten können. Als Beispiel dafür gilt die Marmorierte Baumwanze (Abb. unten), die 2004 erstmals in Zürich nachgewiesen wurde. Die aus Ostasien stammende Wanze kann durch ihre Saugtätigkeit zu massiven Verlusten im Obst- und Gemüseanbau führen. Privatpersonen ist sie vor allem als «Stinkwanze» bekannt, die im Herbst auf der Suche nach Überwinterungsmöglichkeiten in Wohnungen und Häusern erscheint. In der Schweiz fühlt sie sich unter anderem deshalb so wohl, da sie hierzulande ihre bevorzugten Wirtspflanzen vorfindet. Dazu gehören der ebenfalls aus Ostasien stammende Götterbaum sowie der Sommerflieder, beides beliebte Gartenpflanzen. Das Forschungsteam warnt, dass sich Invasionen von gebietsfremden Insekten durch den interkontinentalen Pflanzenhandel weiter verschlimmern könnten und rät Gartenbesitzern, einheimische Pflanzen zu bevorzugen, um die Ausbreitung von invasiven Insekten zu verhindern.
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