Unterwegs
Kartause Ittingen: Kraftort mit alter Gartenkunst
Die Gartenanlage der Kartause Ittingen im Thurgau ist während Jahrhunderten entstanden. Inmitten der Rebberge verbinden sich Kloster-, Rosen-, Gemüse- und Kräutergärten zu einem einzigartigen Ganzen. Ein Ausflug in eine verwunschene Welt.
Ein Fenster in eine andere Zeit? Ein Hort der Ruhe? Wer möchte nicht ab und zu der Hektik entfliehen, sich vielleicht gar in eine andere Rolle denken? In den Gärten der Kartause Ittingen fällt das laute Äussere ab. Ein Vorhang in die Geschichte lüftet sich, Harmonie auf Schritt und Tritt.
Nördlich von Frauenfeld im Kanton Thurgau, oberhalb der Thur bei Warth, liegt die Kartause Ittingen. Wo sich einst Kartäusermönche in ihren abgeschotteten Gärten der Kontemplation widmeten, ranken Kletterrosen, blüht Lavendel und summen Insekten. Die Mönche mussten das Kloster 1848 aufgrund staatlicher Repression verlassen. Seither wurden die Anlagen entsprechend verändert. Darum befinden sich vor den einzelnen Häuschen der Mönche nicht mehr umfriedete Gärten, sondern offene, terrassierte Anlagen. Die Kartäuser pflegten eine radikale Gottessuche, indem sie isoliert lebten und arbeiteten, sich nur zu den Gebetszeiten sahen und nur sonntags miteinander redeten.
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Anreise und Details zur Kartause IttingenVom Bahnhof Frauenfeld fährt das Postauto 819 stündlich direkt zur Kartause Ittingen. Die Gärten sind frei zugänglich, die Klosterkirche, das Kunstmuseum und das Ittinger Museum mit den Mönchszellen sind kostenpflichtig und von Mai bis September während der ganzen Woche von 11 bis 18 Uhr, von Oktober bis April von Montag bis Freitag, 14 bis 17 Uhr, und Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet.
Ihre kleinen Häuschen mit Spitzdächern und Butzenscheiben stehen noch da, so als würden sie darin wirken. Die Gärten davor sind besonders berührend. Da ist beispielsweise der Thymianteppich mit dem Vermerk, dass sich die Mönche bei Sonnenschein darauflegten und den sich entfaltenden Duft des ätherischen Öls einatmeten. Ein geruchliches Erlebnis mit Pflanzen.
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In den Gärten vor den ehemaligen Mönchshäuschen entfalten sich viele weitere Heilpflanzen, wie beispielsweise der Alant, seit der Antike ein Heilkraut. «Alantwurtz benymt den zorn und trurikeyt / und stercket den magen und treybt us die überlüssig feuchtigkeyt mit dem harn», ein Zitat auf einer Tafel im Klostergarten aus «Hortus sanitatis», einem Kräuterbuch, das 1491 erstmals gedruckt wurde. An den Kalkwänden der Klostergebäude reifen Birnen und an den Blüten des Muskatellersalbeis summen Insekten, darunter bläulich schillernde. «Die Blaue Holzbiene! Ich bin noch nie so vielen davon wie in diesem Jahr begegnet», ruft ein älterer Mann, der versucht, das Insekt zu fotografieren. Der ehemalige Ingenieur schwärmt: «Ich hatte ein Leben lang mit Technik zu tun, aber wirklich glücklich macht mich nur die Natur.» Er komme hier immer wieder hin, um die Ruhe und die Pflanzen in den Gärten zu geniessen.
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Die über 500-jährige Gartenkultur in der Kartause Ittingen ist nicht nur für Insekten ein Anziehungspunkt, sondern sie tut auch Menschen gut. Die Pflanzenwelt korrespondiert mit den alten Gebäudekomplexen. Der Nutzgarten war für die Kartäuser immer auch ein Ziergarten. Es ist bekannt, dass sie ein durch den Bologneser Juristen Pietro de Crescenzi um 1300 verfasstes Traktat zur Landwirtschaft in deutscher Übersetzung von 1518 besassen. Darin ist auch ein Kapitel zu den «grünen und lustbarlichen Gärten» enthalten. Schon damals wird der Garten als Ort sinnlicher Erfahrungen beschrieben, Nutzpflanzen werden mit Blumen kombiniert. Auch heute noch werden in der Klostergärtnerei über 130 Kräuter vermehrt und verkauft.
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Im Rosenparadies
In den historischen Gebäuden der Kartause Ittingen finden sich auffallend viele Rosendarstellungen, denn diese Blume spielt in der christlichen Symbolik eine wichtige Rolle. Sie bildet denn auch im Garten einen Schwerpunkt. In Zusammenarbeit mit den Rosenfreunden Winterthur wurde die Idee eines historischen Rosengartens umgesetzt. Spuren von einigen Rosenzüchtungen können bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden. Als alte oder historische Rose gilt, wenn ihre Klasse vor 1867 bestand, wie etwa die Sorten Galicia, Damascener, Centifolien, Moos und Romontant. In Ittingen blühen jeden Frühsommer Hunderte von Wild-, Strauch- und Kletterrosen in mehr als 200 verschiedenen Arten und Sorten. Sie treten in Kontrast mit Allium, Salbei, Mohn, Echinacea, Wollblumen und Gräserarten.
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Die abgeschiedene Welt der Innengärten war einst nur den Mönchen vorbehalten. Wer heute das Museum besucht, kann auch durch sie wandeln. Und auch dort ranken alte Rosen, beispielsweise über den Gartenpavillon im grossen Kreuzgarten. In der Mitte plätschert Wasser im Brunnen, Obstbäume spenden Schatten, eine stille, verwunschene Welt. Die Stiftung Kartause Ittingen bietet heute ein vielfältiges Angebot, von Landwirtschaft über Gärtnerei bis zur Gastronomie, Hotellerie und Tagungsmöglichkeiten. In den Gärten arbeiten viele fleissige Hände, denn die Kartause ist auch Arbeits- und Wohnort für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Und: «Ohne einen Blick in die eindrückliche Klosterkirche zu werfen, sollten Sie die Kartause Ittingen auf keinen Fall verlassen», sagt Corinne Rüegg, Leiterin Kommunikation der Kartause.
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KARTAUSE ITTINGEN – VON DER FLEDERMAUS BIS ZUM HOPFENGARTEN
Ittinger Waldrundgang
Auf einem zweieinhalb Kilometer langen Spaziergang kann der Wald der Kartause Ittingen vom Kloster aus erkundet werden. Von den rund32 Hektaren sind heute 14 Hektaren als Waldreservat ausgeschieden. Das schätzen auch zahlreiche Tierarten, darunter allein sieben Fledermausarten. Dazu gehört das Kryptische Mausohr, eine Fledermausart, die in Baumhöhlen nistet. In der Kartause Ittingen selbst wohnen gar acht Arten von Fledermäusen, so wie etwa auch die Bartfledermaus (Bild). Weitere Arten sind Zwergfledermäuse und Abendsegler. Teilweise ruhen sie tagsüber hinter Fensterläden.
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Natur und Kunst aus dem Thurgau
Im Kunstmuseum, das Teil des Klostermuseums ist, werden Werke von Ernst Kreidolf gezeigt. Kreidolf, der in Tägerwilen am Bodensee aufwuchs, wurde bekannt durch seine besonderen Tier- und Blumenzeichnungen. Seine Blumenmärchen werden auch heute noch geschätzt. Ein weiterer Maler von Tier- und Pflanzenmotiven war Adolf Dietrich. Auch ein Teil seiner Werke wird ausgestellt. Dietrich malte beispielsweise auch viele Vogelmotive (Bild). Er wuchs in grosser Armut auf, konnte nur am Sonntag malen, wurde dann durch einen deutschen Kunsthändler entdeckt, der seine Werke ab 1925 verkaufte.
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Hopfengarten
Neben der Klosteranlage liegt der Hopfengarten. Die Hopfenpflanzen ranken an einem sieben Meter hohen Gerüst empor. Dank gutem Sonnenlichteinfall bleibt das Blatt- und Fruchtverhältnis optimal.Hopfen wird bis zu 50 Jahre alt, die Ranke wächst jedes Jahr neu, bis sieben Meter hoch. Mit bis zu 30 Zentimeter Wachstum pro Tag gilt Hopfen als Kletterweltmeister. Die Pflanze ist zweihäusig, das heisst, die Blüten einer Pflanze sind entweder männlich oder weiblich. Nur aus den weiblichen Hopfen wird Bier gebraut, da nur sie aromatisch sind.
Samengarten Hortiplus
Neben dem Kloster werden alte Gartenpflanzen kultiviert. Das Saatgut der Pflanzen im Garten wird geerntet und wieder gesät. Die traditionellen Kulturpflanzen aus dem Klostergarten wurden über Generationen weitervererbt. Sie sind an das lokale Klima angepasst. Darum handelt es sich um ein kostbares Kulturgut. In Zusammenarbeit mit der Organisation Hortiplus werden die alten Gartenpflanzen kultiviert und vermehrt. Hortiplus setzt sich für souveräne Saatgutsysteme ein. Alte Sorten sind geeignet für die Eigenversorgung und den kleinstrukturierten, handarbeitsintensiven und wenig mechanisierten Gemüsebau.
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