Essbare Heimat
Wildkräuter sammeln und geniessen – Tipps von Expertin Maja Vogt
Bei Maja Vogt in Mandach (AG) blühen die Wildblumen-Wiesen. In ihrem Chrüterstübli bietet dieWildkräuterexpertin Wanderungen und Kochkurse an – wir waren dabei.
Es ist ein windiger Frühsommertag in Mandach. Die noch nicht gemähten Wildblumenwiesen rund um das kleine Dorf im Aargau werfen wogende Wellen. Sie wirken wie ein grünes, duftendes Stängel- und Blüten-Meer. Maja Vogt (53) bückt sich, pflückt eine rosafarbene Rotkleeblüte vom Wegesrand und beisst hinein: «Süsslich, blumig, rosig und ein Hauch von Zimt – probieren Sie mal», sagt sie kauend und streckt mir die zarte Blüte entgegen. Die Konsistenz erinnert an Kopfsalat; der Geschmack ist neu.
Maja Vogt ist nicht nur Ökobäuerin mit zehn Hektaren biologischer Wildwiesenfläche, sondern auch Wildkräuterfachfrau. Seit über 25 Jahren nimmt sie Interessierte mit auf Streifzüge durch den Jurapark Aargau, bietet Kräuterexkursionen, Kochkurse und allerlei Selbstgekochtes, Getrocknetes und Fermentiertes in «Maja’s Chrüterstübli» an. Heute nimmt sie uns mit. Wir spazieren über Wiesen, probieren hier eine süsse Gänseblümchenblüte und da ein Zaunwicken-Blatt, welches überraschenderweise nach Erbse schmeckt. Die Wildkräuterexpertin entdeckt einen von winzigen lila Blüten übersäten Fleck im Gras, den wir ansteuern. Ein leises «Ratsch» ist zu hören, dann duftet es plötzlich wie beim Lieblingsitaliener um die Ecke: «Das ist Feldthymian – er schmeckt herrlich mediterran, ist aber fast überall in der Schweiz zu finden», sagt Maja Vogt. Weiter oben am Waldrand finden wir knallrote Walderdbeeren, die noch etwas sauer schmecken.
«Was ich so faszinierend finde und vermitteln möchte: In unserer Heimat sind mehr Pflanzen essbar als ungeniessbar. Hunderttausende Jahre haben sie unsere Vorfahren genährt», sagt Maja Vogt, während wir weiter durch die Natur streifen. Sie lässt die Arme schweifen, deutet auf Haselnuss- und Weissdorn-, Hagebutten- und Schlehensträucher im Gebüsch, die allesamt im Herbst üppige Früchte tragen werden und ergänzt kritisch: «Wir modernen Menschen haben leider verlernt, diese wertvollen Naturgeschenke zu nutzen, greifen heute oft lieber zur Supermarkt-Variante.» Das müsse aber nicht sein: «Wie beim Feldthymian gibt es für fast alle exotischen oder mediterranen Kräuter auch Schweizer Varianten, die vor der Haustüre wachsen», weiss die Expertin.
Dost, der von Juli bis September lila blüht, gilt als wilder Majoran, Geissfuss oder Giersch erinnert im Geschmack an Petersilie oder Sellerie, der Alpen- und der Scharfe Mauerpfeffer bringen Pepp in Menüs – und selbst Wiesensalbei und Schweizer Bergminze gibt es, die beide einen betörenden ätherischen Duft verströmen und in Maja Vogts kleinem Vorgarten wachsen. Sie rät: «Diese heimischen Kräuter sind pflegeleicht, winterhart, kommen jedes Jahr wieder und sind wahre Geschenke der Natur, die sich auch im Garten gut kultivieren lassen.» Auch Bienen und Hummeln lieben diese heimischen Blühpflanzen. Deshalb tun bewusste Hobbygärtner auch der Artenvielfalt etwas Gutes.
Aus wilden Zutaten Kulinarisches zaubern
Nach der kleinen Wildkräuterexkursion betreten wir nun die Küche von Maja’s Chrüterstübli. Riesige Gläser, in denen klebrig-süsser Holunder-Mohn-Sirup, würzige Wildblumen-Kapern oder Kräuter-Essige reifen, erinnern ein bisschen an eine Hexenküche. Daneben stehen kleinere Gläser voller mit Süssmost eingemachter Vogelbeeren, Behälter mit Wildkräutersalzen, Pasten, Pestos und jede Menge Kartons voller trocknender Kräuterbüschel.
«Ich bringe von jedem Mini-Spaziergang wilde Zutaten mit und koche fast jeden Tag mit dem, was die Natur uns schenkt», sagt Maja Vogt. Im Frühjahr liebt sie den kleinen Wiesenknopf mit seinem Gurkengeschmack besonders, aber auch den nach Karotten schmeckenden Storchenschnabel, Gänseblümchen und Löwenzahn, Bärlauch und Giersch. Im Sommer folgen wilde Genüsse wie Him- und Walderdbeeren, Dost und Feldthymian, die Wurzeln und Blätter der wilden Pastinake oder Wiesensalbei. Im Herbst ist der wilde Tisch in der essbaren Heimat noch reicher gedeckt: Dann sind nicht nur Pilze, Nüsse und Samen reif, sondern auch Holunder- und Brombeeren, Schlehen, Hagebutten, Vogel-, Weissdorn- und rote Schneeballbeeren – die sie allesamt in Konfitüren verarbeitet. «Blätter, Wurzeln und Stängel verschiedener Pflanzen verwerte ich gerne in Misch-Gemüsepfannen oder Quiche – besonders im Frühling schmecken junge, zarte Blätter und Blüten auch im Salat», sagt Maja Vogt, «die wilden Zutaten machen den Geschmack nicht nur vielfältiger, sondern das Menü auch gesünder: Ein einziges Gänseblümchen hat zum Beispiel mehr Vitamin C als ein kompletter Kopfsalat.»
Haltbar macht sie viele ihrer selbstgesammelten heimischen Kräuter durch Trocknen: «Ich lege die Kräuterzweige mit Geduld an heissen Tagen grossflächig auf dem Estrich aus, so bleiben sie aromatisch», sagt die Expertin, «Waldmeister, Dost und Feldthymian entfalten sogar erst getrocknet ihren ganzen Geschmack.» Wenn das Kraut knuspert, ist es fertig getrocknet. Danach friert sie die Kräuter einen Tag lang ein, um sie vor Lebensmittelmotten zu schützen und verstaut die Kräuter vor Licht geschützt in kleine Baumwollsäcke. «Damit verfeinere ich dann portionsweise Pastasaucen, Salate oder Pestos», sagt sie. Eine andere Methode für lange haltbaren Gebrauch sind Kräuteröle oder -essig, die Maja Vogt herstellt.
Vier Tipps zum Sammeln von Wildkräutern
Erkennen: Eine Wildpflanzenwanderung unter fachkundiger Anleitung bietet für Neulinge eine erste Orientierung. Aber auch ein Bestimmungsbuch mit Detailaufnahmen und Hinweisen zu Textur, Geruch und Verwechslungsgefahren kann helfen. Maja Vogts Tipp: Die Gratis-App Flora Incognita. Sie bietet Bilder von Blättern, Blüten, Stielen und jede Menge Informationen. Wichtig: «Immer nur verwenden, was Sie sicher bestimmen können!»
Gesetz beachten: Abgesehen von Naturschutzgebieten, ist das Pflücken an Waldrändern und im Wald für den Eigenbedarf in der Schweiz erlaubt. Auf Wiesen und landwirtschaftlich genutzten Flächen ist es verboten. «Am besten den Landbesitzer fragen, ob Sie pflücken dürfen», rät Maja Vogt.
Den Ort wählen: «Gassirouten und stark befahrene Strassen sollten gemieden werden», so die Expertin. Ihr Tipp: «Trauen Sie sich im eigenen Garten auch einfach einmal, das vermeintliche Unkraut wachsen zu lassen – ganz oft sind dies Geschenke der Natur. Giersch, Brennnesseln, Taubnesseln und Co. sind zum Beispiel essbar.»
Respektvoll ernten: «Wildpflanzen in der freien Natur gehören allen. Wir sollten mit Respekt und nur so viel ernten, wie wir gerade selbst verwerten möchten», sagt Maja Vogt. Man solle nie die gesamte Fundstelle abernten und darauf achten, Wurzeln nicht herauszureissen. Ein kleines Sackmesser oder eine Schere kann hilfreich sein.
Rezept-Tipps
Kräuteressig: Vier Tassen trockene Kräuter nach Belieben grob hacken und mit einem Liter erwärmtem Weissweinessig übergiessen, dann einen Monat in einer verschlossenen Flasche im Kühlschrank ziehen lassen. Die Kräuter können je nach Geschmack abgesiebt oder in der Flüssigkeit gelassen werden.
Kräuteröl: Vier Tassen trockene Kräuter nach Belieben grob hacken und mit einem Liter Öl übergiessen. Für Schweizer Kräuter verwendet Maja Vogt Schweizer Rapsöl. Je länger man es bei Raumtemperatur ziehen lässt, desto intensiver ist der Geschmack.
Kräutersalz: Einen Drittel frisch gepflückte Kräuter mit etwa zwei Dritteln Salz mischen und in der Küchenmaschine mixen. Etwa einen Monat ziehen lassen.
Kräuterpaste: Frische Wildkräuter, wie Dost oder Feldthymian, mit Salz mixen, in ein Glas füllen und die fertige Kräuterpaste nach Belieben zum Verfeinern und Würzen von Speisen verwenden. Wenn die oberste Schicht stets mit Öl bedeckt ist, ist die Paste auch bei Zimmertemperatur ewig haltbar.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren