Künstliche Brutstätten für Schwalben
Der Retter einer Mehlschwalbenkolonie
Paul Leupp widmet sein Leben dem Vogelschutz. Bereits als Kind streifte er auf der Suche nach Vögeln durch die Wälder. Während 50 Jahren engagierte er sich als Obmann im Ornithologischen Verein Kerzers. Zum Beispiel für Mehlschwalben.
«Gleich zwei schauen heraus, die zweite Brut, das ist wunderbar!» Paul Leupp freut sich über junge Mehlschwalben, die keck ihre Köpfchen aus einem Nest strecken. Ihre Behausung ist ungewöhnlich. Sie befindet sich unter einer Plattform, die einige Meter über dem Boden an einer Eisenstange befestigt ist. «Die Nester können zur Reinigung wie Schubladen herausgeschoben werden», erklärt der Vogelschützer das System des Schwalbenturms.
Dass die Mehlschwalben auf dem Gelände der Stiftung Tannenhof im bernischen Gampelen solch besondere Behausungen haben, ist auch Paul Leupps Initiative zu verdanken. Sein Name ist untrennbar mit dem Ornithologischen Verein Kerzers und mit der Vogelwelt im Grossen Moos verbunden. Der 84-Jährige war 50 Jahre Vogelschutz-Obmann des Vereins und ist immer noch als Beisitzer im Vorstand aktiv. Mehlschwalben beobachtete er seit Anbeginn auf dem Gelände des Tannenhofs, einer Heim- und Wiedereingliederungsstätte für Frauen und Männer mit psychischen und sozialen Problemen. Doch als die Gebäude 1995 saniert wurden, mussten auch die Mehlschwalbennester weg, die überall unter den Dächern klebten.
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Paul Leupp initiierte zusammen mit dem verstorbenen Ornithologen Ruedi Studer die Idee der Schwalbentürme – und rettete damit die Kolonie. Eine Mehlschwalbe fliegt das Nest an, krallt sich wenige Sekunden an den Nestrand, stopft den herausschauenden Jungen Insekten in die Schnäbel und flitzt wieder davon in den heissen Augusthimmel. Die Plattformen und Nester werden bis heute in den Werkstätten des Tannenhofs gefertigt und auf Bestellung geliefert. «Sie sollten dort montiert werden, wo es bereits Mehlschwalben hat», betont Paul Leupp. Sonst blieben die Nester meist leer.
«Der Vogelschützer spricht leise, kaum von sich, sondern lieber von der Vogelwelt.»
Die Kunstnester bestünden aus einem Betongemisch. «Die Öffnung ist auf die Mehlschwalben zugeschnitten», erklärt der Ornithologe. Bei Nestern, welche die Schwalben selbst aus Schlick und Lehm gefertigt hätten, würden oft Spatzen die Eingänge aufbrechen, um sie zu übernehmen.
Gewölle unter den Nistkästen
Die Mehlschwalbenkolonie auf dem Tannenhof in Gampelen prosperiert. 2023 waren 85 Nester besetzt. Offenbar haben die Nistmöglichkeiten in den drei Schwalbentürmen nicht mehr ausgereicht. In einem lang gezogenen Kuhstall haben die Mehlschwalben selbst Nester an die obersten Balken geheftet. Auch dort wurden Junge aufgezogen. Und auch unter den Hausdächern werden teilweise wieder Nester gebaut. «Heute ist das zum Glück kein Problem mehr», sagt Paul Leupp. Es sei ihm ein Anliegen, dass Vögel Nahrungs- und Brutmöglichkeiten hätten, sagt der Vogelkenner. «Die Mehlschwalben fliegen über die Schilfbestände des Fanel und suchen dort im Flug Insekten.» Der genaue Beobachter weiss: Um den 1. Mai sind sie zurück aus dem tropischen Afrika, ab Mitte September bis Mitte Oktober ziehen sie wieder ab. «In der ersten Brut haben sie vier bis fünf Junge, in der zweiten zwei bis drei.»
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Eine Angestellte des Tannenhofs winkt, ein Mitarbeiter setzt sich kurz auf die Steinmauer zu Paul Leupp, tauscht mit ihm einige Neuigkeiten aus, während die Mehlschwalben am Turm die Nester anfliegen. Der Vogelfreund kommt seit Jahrzehnten auf den Tannenhof, beobachtet die Mehlschwalben und reinigt im Winter mit Vereinsmitgliedern die Nistkästen. Die Mehlschwalbe ist eine von vielen Arten im Grossen Moos, die dank seiner Hilfe prosperiert.
Paul Leupp widmet sich auch dem Schutz von Schleiereulen und Turmfalken. Er erzählt: «Wir betreuen 91 Nistkästen der beiden Arten.» Er blättert in einem Ordner. Auf einer Karte sind alle Daten dazu vermerkt: Eigentümer der Gebäude mit den Nistkästen, Kartenausschnitte, Koordinaten und die Meter über Meer. «In Kasten 89 wurden 2023 acht junge Schleiereulen aufgezogen», sagt Paul Leupp. Die Turmfalken würden die gleichen Kästen benützen. Darum würden sie meist zwei Nistkästen montieren, damit jede Art Brutmöglichkeiten habe. Paul Leupp verhandelt mit Bauern, an deren Scheunenwänden die Nistkästen befestigt werden und kontrolliert am Boden die Gewölle. Das sind kugelförmigen Speiballen, bestehend aus Fell und Knochen. «Schwarze, grosse Gewölle unter einem Kasten stammen von Schleiereulen. Turmfalken würgen kleine braune Gewölle hervor.»
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Ehrenmitglied Birdlife Schweiz
Paul Leupp wohnt mit seiner Frau Vreni in Kerzers (FR) in einem Mietshaus. Dort liest er abends in seinen Vogelbüchern, im «Ornis» oder der «TierWelt». Vögel lernte er allerdings ohne Fernglas und Bestimmungsbuch kennen. Er wuchs im schaffhausischen Klettgau zusammen mit sechs Geschwistern auf einem Kleinbauernbetrieb auf. «Wir arbeiteten noch mit Kühen auf den Feldern», erinnert er sich. Am Sonntag aber verschwand er regelmässig in den Wald und beobachtete Vögel. Wenn er im Frühling einen Vogel singen hörte, liess er nicht locker, bis er den Sänger auch sah. Er prägte sich das Aussehen ein. «Am Montag zeigte ich dann der Lehrerin auf der grossen Farbtafel mit einheimischen Vögeln, die im Schulzimmer hing, welchen Vogel ich beobachtet hatte.»
Kurz nach 20 zog Paul Leupp nach Kerzers, heiratete und trat dem Ornithologischen Verein bei. Nach drei Jahren wurde er Obmann. Nebst der Familie – er hat drei Kinder – und der Arbeit als Gipser widmete er sich intensiv dem Vogelschutz. Mit sichtbarem Erfolg, auch im Freiburger Dorf. Im Hochsommer schiessen Mauersegler wie Pfeile um den Kirchturm. Er freut sich, dass es, nach seinem Vorstoss, sofort möglich gewesen sei, Löcher in den Turmdachstock für die Seglernester zu bohren. Der Vogelfreund erinnert sich: «1997 hatte es sechs Bruten, 2023 wurden in 65 Bruten 150 Junge aufgezogen.»
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Dass Dohlen im Grossen Moos fliegen, geht ebenfalls auf Paul Leupp zurück. «Wir fertigten und befestigten Nistkästen für diesen bedrohten Rabenvogel an Strommasten», erzählt er. Die 432 weiteren Nistkästen, die durch Mitglieder des Vereins betreut werden, erwähnt er nur nebenbei. Bis heute hat er eine Werkstatt im Papiliorama und flickt dort im Winter Nistkästen. Wenn ein Vereinsmitglied eine Tour zur Nistkastenkontrolle übernehme, gehe er während zwei Jahren mit, um zu helfen. Sorge bereite ihm, dass die Bestände der Kleiber abnähmen. «Blau- und Kohlmeisen zählen heute noch zu den häufigsten Nistkastenbrütern.» Paul Leupp überwacht auch eine Uferschwalben-Kolonie in einer Kiesgrube. «Dort hat es um die 400 Nisthöhlen», sagt er.
Der Vogelschützer spricht leise, kaum von sich, sondern lieber von der Vogelwelt. Da taut er auf, strahlt, wenn er von prosperierenden Kolonien erzählen kann. Was er verschweigt: Er ist auch Ehrenmitglied von Birdlife Schweiz. Das will etwas heissen, dass die grosse, anerkannte Organisation ihn für sein Lebenswerk geehrt hat. Und es gibt im Papiliorama-Garten eine Paul-Leupp-Beobachtungshütte.
Paul Leupps Einsatz geht weiter. Jetzt, wenn die Mehlschwalben zurück aus Afrika über dem Tannenhof fliegen und die Nistgelegenheiten prüfen, erspähen sie wieder den kleinen Mann mit grauen Haaren, der zu ihnen emporblickt. Wird es ein gutes Schwalbenjahr? Paul Leupp wird es wissen.
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