Ein Park für Tiere
Das Tierparadies von Mervelier
Richard Marquis aus Mervelier im Jura hält seine Kaninchen, Gänse, Enten und Emus in einem grossen Gelände mit Wiese, Wald und Sträuchern. Zu Besuch bei einem unkonventionellen Tierhalter und -züchter.
Richard Marquis überlegt nicht lange auf die Frage, was ihm die Tierhaltung bedeute.«Vergnügen», antwortet der 65-Jährige spontan, lacht verschmitzt und setzt nach: «Tiere bestimmen mein Leben.» Er halte um die 350 bis 400 Pfleglinge. Warum er das nicht so genau weiss, wird sich bald zeigen. Kurz darauf: dumpfes, urzeitliches Trommeln unter Buchen. Ein Emu löst sich aus dem Lichtspiel der herbstlichen Sonnenstrahlen unter gelblichen Buchenblättern. Der australische Laufvogel schreitet würdevoll über braunes Falllaub, derweil weiter unten auf freier Fläche ein geschecktes Kaninchen über sonnenbeschienenes Gras hoppelt, beäugt von ruhenden Moschusenten und wachsamen Pommerngänsen. Willkommen im Tierparadies von Richard Marquis in Mervelier JU.
[IMG 2]
Seine Tiere tummeln sich in einem riesigen Park mit Blick auf das Hügelland um Delémont. «Mich interessiert dieses Haltungssystem ganz besonders», sagt der charismatische Romand. Der Mann mit Brille, gräulichem Haar und Schalk in den Augen zeigt über sein grosses Landstück für Emu, Ente und Co. Wo es endet, ist nicht so genau ersichtlich. «Der Wald dahinter und das Brombeerdickicht gehören auch dazu», fügt der Tierliebhaber an. Das gesamte Terrain sei ungefähr7000 Quadratmeter gross.
[IMG 3]
Die Idee zu einer solch ungewöhnlichen Anlage hatte er schon als Kind. Richard Marquis wuchs in Mervelier auf, am Fusse des Scheltenpasses. «Mir fehlte damals der Platz und das Material», erinnert sich der ehemalige Bauernbub. Vor zwölf Jahren dann setzte er seinen Kindheitstraum in die Tat um. «Ich nahm vier Monate unbezahlten Urlaub, um den Zaun zu errichten.» Das Drahtgeflecht reicht um die 60 Zentimeter tief in den Boden. Richard Marquis zeigt auf Drähte ausserhalb des Zauns und kommentiert: «Ohne diesen Elektrozaun würde es nicht gehen. Er schützt seine Kaninchen vor Fuchs und Marder aus dem angrenzenden Jurawald.
[IMG 4]
Die Diskussion der Gänse
Ein Kaninchen mit gelblichem Fell mümmelt Gras, ein weisses mit braunen Tupfen hoppelt in ein Dickicht, ein schwarzes schaut aus einem Bau unterhalb einer Strauchschicht. Da sie in selbst gegrabenen Höhlen Junge aufziehen, hat Richard Marquis nie so richtig den Überblick, wie viele es genau sind, die bei ihm leben. Er kommentiert. «Ich beobachte meist fünf Gruppen à etwa15 Individuen, die ihre Territorien haben.» In den Dämmerstunden seien sie besonders aktiv. Sie leben im Paradies, doch vor Feinden aus der Luft müssen sie sich wie ihre wilden Verwandten in Acht nehmen. 2023 habe sie der Uhu dezimiert. «Er hatte hier sein McDonald’s-Drive-in», sagt Richard Marquis, lacht und setzt nach: «Die Uhus haben mindestens 50 junge Kaninchen geholt und damit ihre Jungen gefüttert.» Der Tierhalter mit besonderen Ideen, regt sich nicht darüber auf. «Warum auch, der Uhu ist doch hier zu Hause, il habit ici», sagt er und schmunzelt.
[IMG 5]
Emus habe er ursprünglich angeschafft, weil er gehofft habe, dass Raubvögel vor den grossen, eigentümlichen Laufvögeln Angst hätten. «Das hat drei Wochen funktioniert», sagt der Tüftler lachend. «Ich lasse jetzt Brennnesselfelder stehen, so können sich Tiere verstecken, wenn ein Angriff aus der Luft droht. Zudem dienen die vielen verschiedenen Pflanzen auf dem grossen Grundstück mit Wald- und Strauchvegetation der Selbstmedikation. «Wenn ein Kaninchen an Durchfall leidet, frisst es Brombeerblätter.» Das helfe auch gegen grippale Infekte. Grundsätzlich seien die unterschiedlichen Häuschen und Futterstellen wichtig bei dieser Tierhaltungsform.
«Ah, das wäre aufschlussreich, die Sprache der Tiere zu verstehen.»
Richard Marquis, Tierliebhaber und -halter, Mervelier JU
Im Park von Mervelier leben auch viele weisse Moschusenten. Die Stammform dieses stattlichen Höhlenbrüters stammt aus Südamerika. Richard Marquis sagt: «Wenn die Küken schlüpfen, nehme ich sie mit der Ente für die ersten Wochen in ein geschütztes Gehege. In diesem Sommer führte eine Ente 27 Küken.» Wie Soldaten während der Parade stolzieren Indische Laufenten in Einerkolonne vom unteren Teil des Parks auf das Plateau, angeführt von einer Pommerngans. Mit wachsamem Blick aus markanten Augen schaut eine etwas abseitsstehende Gruppe von Gänsen zu Richard Marquis. Er betrachtet mit nachdenklichem Blick sein Geflügel und sagt: «Die Diskussion der Gänse, wie interessant das doch ist. Ich frage mich immer: reden sie über mich? Ah, das wäre aufschlussreich, die Sprache der Tiere zu verstehen.» Was genau sagen seine Cröllwitzer Puten mit ihrem eigentümlichen Blubbern? Auch sie sind Teil des Parks.
[IMG 6]
Separat leben Cayugaenten, eine Rasse aus den USA, sowie Chilepfeifenten. Sie haben eigene Teiche zur Verfügung, denn Richard Marquis fand, dass sie sich im Park nicht wohlfühlten. Der Tierhalter beobachtet seine Pfleglinge und deutet ihr Verhalten. Und er tauscht sich mit anderen über sie aus. «Tiere haben auch eine soziale Komponente», sagt er. Er diskutiere viel, und es erfülle ihn mit Stolz, seine Pfleglinge zu zeigen. «Dank Tieren habe ich überall Freunde!», ruft Richard Marquis glücklich. Er ist Präsident der Societé Ornithologique Fontenais-Porrentruy und Preisrichter für Rassetauben, eine seiner weiteren Passionen, denn er züchtet zwölf Taubenrassen in Volieren.
[IMG 7]
Der Humorvolle ist überzeugt: «Tiere helfen im Leben.» Bei seinen zwei Söhnen und der Tochter haben er und seine Frau Antoinette beobachtet, dass sie Probleme, die sie etwa in der Schule oder generell im Leben hatten, dank der Tiere lösten. Während seiner Arbeit mit psychisch Kranken bezog der ehemalige Forstwart und Sozialarbeiter Tiere mit ein. «Wenn nach 21 Tagen Brutzeit plötzlich Küken schlüpften, bewirkte das unglaublich viel. Dieses Ereignis war dann wochenlang Gesprächsstoff.» Er habe erlebt, dass Leute, die nie sprachen, plötzlich aus sich herauskamen, als sie mit Tieren zusammen waren. Mit manchen ehemaligen Patienten habe er bis heute Kontakt. «Wenn ich im beruflichen Leben nochmals neu beginnen könnte, würde ich einen kleinen Bauernhof für psychisch Kranke und körperlich Beeinträchtigte gründen», sinniert Richard Marquis. Auch ihm selbst würden schliesslich die Tiere guttun und durchs Leben helfen.
[IMG 10]
Die Verantwortung des Tierhalters
Als Tierliebhaber und -züchter wolle er seinen Pfleglingen vom Anfang bis zum Ende ein gutes Leben bereiten. Es gehöre aber auch zu seiner Aufgabe, Tiere zu töten. «Das ist nie gut und sehr schwierig», fügt er an. «Bevor ich ein Tier schlachte, entschuldige ich mich bei ihm.» Er habe nur Platz für eine gewisse Anzahl. Die geschlachteten Tiere würden der Ernährung dienen. «Ich tötete nie ein Tier, wenn meine Kinder nicht einverstanden waren.» Er habe viel mit ihnen darüber diskutiert, manchmal wochenlang. «Die Kommunikation ist wichtig.»
[IMG 8]
Als Erstes geht Richard Marquis am Morgen zu seinen Tieren. Seine Frau Antoinette betont: «Es ist seine Passion, er ist sehr enthusiastisch.» Jetzt, als Pensionierter, streife er sowieso praktisch den ganzen Tag über auf seinem Gelände herum. «Ich bin viel zu Hause», sagt er. Bald wird das Schnattern, Trommeln und Blubbern noch von Meckern ergänzt. «Meine Kinder haben mir zur Pensionierung zwei Pfauenziegen geschenkt. Sie werden nächstens im Park einziehen», sagt Richard Marquis in der goldenen Herbstsonne, während sein Emu um ihn stolziert und Trommelgeräusche von sich gibt.
[IMG 9]
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren