Schillernde Federn, Gurren und Glockenklang
Wie die Berner Stadttauben betreut und kontrolliert werden
Tauben gehören zu Städten wie der Schlag der Uhr. Sie werden gefüttert und gehasst. Oft fliegen zu viele um historische Gemäuer. Bern aber hat den Taubenbestand im Griff, dank dem Management durch den Tierpark Bern.
Tauben trippeln über Kiesel um eine Bank und picken gierig nach Brotkrümeln. Sie sind untrennbar mit Städten verbunden. Das führt zu Problemen, so einst auch in Bern. In der Hauptstadt lebten weit über 10 000 Tauben, verunreinigten Häuser mit ihrem Kot, brüteten in Dachstöcken und auf Gebäudesimsen. 2011 beschloss der Gemeinderat, die Stadttauben dem Tierpark Bern anzuvertrauen. Dank eines beispielhaften Konzepts des Berner Zoos lebt heute konstant ein Bestand von 1000 bis 1500 Tauben in der Hauptstadt.
Meret Huwiler, Kuratorin für Vögel und Huftiere, sagt: «Es ist einzigartig, dass sich ein Zoo um die Stadttauben kümmert.» In anderen Städten sei dieser Bereich der Wildhut angegliedert. Der Tierpark Bern gehöre zur Stadtverwaltung. Es sei sehr sinnvoll, dass die Stadttauben in die Kompetenz des Tierparks fallen. «Wir kennen uns mit dem Management von Tierbeständen aus, verfügen über die Infrastruktur, auch für veterinärmedizinische Eingriffe», betont die Biologin.
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Warum sich in Bern die Stadttauben konstant auf einem Bestand von gut 1000 Vögeln halten, zeigt sich an einem grauen Wintervormittag in einem unscheinbaren Raum hinter dem Vivarium des Berner Tierparks. Dort beugen sich Dr. Stefan Hoby und Iris Baumgartner über eine Taube. Sie liegt bewegungslos auf einem Behandlungstisch. Mit einem Endoskop schaut der Veterinär ins Innere des Vogels, die Tierpflegerin hält sie fest. Das Taubenköpfchen liegt in einer Plastikglocke und inhaliert ein Anästhetikum. Vorher hat der Tierarzt dem Vogel seitlich wenige Federn ausgerissen und ein Schmerzmittel verabreicht. «Aha, es ist ein Männchen», murmelt er. Der Veterinär durchtrennt den Samenleiter und näht mit wenigen Griffen die kleine Wunde zu. Die Tierpflegerin nimmt den Täuber vorsichtig in die Hand, während der Tierarzt an einem Fuss einen Ring mit einer Nummer, am anderen einen weissen Plastikring überzieht. Der weisse Ring weist den Täuber künftig als Bewohner des Schlags Nydeggkirche aus. Meret Huwiler trägt die Angaben in ein Buch ein. Sie sagt: «Jede Taube, die wir untersuchen und beringen, ist hier vermerkt.» Als der Täuber auf der Waage liegt, zuckt er mit den Flügeln, kurz darauf wacht er in seiner Boxe auf und blickt verwundert zum Gittertürchen hinaus. «Ein Riesenexemplar», kommentiert Stefan Hoby das Gewicht von 394 Gramm.
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In historischen Gebäuden
Zum Taubenkonzept des Tierparks Bern gehört, dass Täuber sterilisiert werden. Meret Huwiler betont:«Anders als bei einer Kastration bleiben die Täuber so sexuell aktiv, werben um ihre Weibchen, begatten sie.» Paare, die normalerweise lebenslange zusammenbleiben, leben ihr Paarverhalten aus und besetzen so weiterhin Nischen. Manche Tauben bauten nur ein liederliches Nest, andere konstruierten ein kunstvolles Gebilde, erzählt Huwiler. Tauben legen immer zwei Eier. Beide Partner bebrüten sie während 17 bis 18 Tagen, die Jungen bleiben rund vier Wochen im Nest. In den Schlägen des Tierparks kommt allerdings kein Nachwuchs auf. Befruchtete Eier werden mit Kunsteiern ausgetauscht. Es komme trotz den Sterilisationen vor, dass Eier befruchtet sind, sagt die Kuratorin. Der Schlag ziehe neue Tauben an, was Sinn der Taubenunterkunft sei. So komme es vor, dass Weibchen sich mit neu hinzugeflogenen Männchen paarten, wenn sie feststellten, dass aus ihrem Gelege nie Junge schlüpften.
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Tauben sind in ihrer Brutlust kaum zu stoppen. Sie würden das ganze Jahr Junge aufziehen, hätten sie die Möglichkeit. «Im Schlag lassen wir keine Bruten zu», stellt Meret Huwiler klar. Der Berner Taubenbestand wird durch die Kombination von Sterilisation und Eierkontrolle gemanagt. Die Statistik zeigt die Wirksamkeit der Massnahmen: 2019 wurden 635 Eier gezählt, davon waren 200 befruchtet, 2020 wurde wegen Corona gar keine Sterilisation durchgeführt. Damals waren von 473 Eiern 329 befruchtet. «Wir müssen immer dranbleiben», betont Meret Huwiler. Darum werden im Tierpark Bern an mehreren Tagen pro Jahr Sterilisationen durchgeführt.
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Damit die Tiere unter kontrollierten, hygienischen Bedingungen brüten können, unterhält der Tierpark Bern in der Stadt ein ganzes Netz an Taubenschlägen. Das zeigt: Die Stadt Bern meint es gut mit den Tauben. «Das Ziel ist ein gesunder, dauerhafter und zahlenmässig limitierter Taubenbestand», sagt Meret Huwiler.
Dies gelingt dank den Schlägen. Die Tauben haben so einen sicheren, sauberen und gut geschützten Ort, werden veterinärmedizinisch betreut, erhalten artgerechtes Futter und Grit. Im Muskelmagen der Tauben werden die Körner zermalmt. Dazu benötigen die Vögel kleine Steinchen, den Grit.
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Der Tierpark Bern hat eine Tierpflegerin extra für die Betreuung der Stadttauben angestellt. «Das ist ein total spannendes Revier», schwärmt Meret Huwiler, deren Augen glänzen, wenn sie über die Stadttauben spricht. Sie ist ab und zu mit der Tauben-Tierpflegerin Iris Baumgartner in Bern unterwegs. «Wir haben einen dicken Schlüsselbund», sagt sie lachend. Die beiden gelangen in Dachstöcke von Gebäuden, die Hunderte von Jahren alt sind, wie dem Münster, der Nydegg-, der Heiliggeistkirche und des Zytgloggeturms. Der Tierpark Bern hat die historischen, ehemals verwinkelten Schläge erneuert. Den Tauben werden in der Stadt Bern schon sehr lange Schläge zur Verfügung gestellt. Neu ist, dass ihr Bestand kontrolliert wird. Heute bestehen die Schläge aus beschichteten Platten, die gut sauber zu halten sind. Einmal wöchentlich werden sie komplett gereinigt. In den Nistzellen befinden sich Legeschalen aus Karton. Sind sie verschmutzt, werden sie ausgetauscht. Den Tauben werden Tabakstengel zum Nestbau angeboten. Sie wirken auch prophylaktisch gegen Ungeziefer. Tauben sind an den Schlag gebunden. Sind sie einmal eingewöhnt, fliegen sie dorthin zurück und ziehen auch neu hinzugeflogene Tauben an.
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Tauben polarisieren
Da sich die Stadttauben Berns auf diverse Schläge konzentrieren, kann ihre Gesundheit regelmässig überprüft werden. Gittervorrichtungen bei den Einfluglöchern können so eingestellt werden, dass die Tauben nicht mehr entweichen können. Einmal jährlich werden sie gegen die Taubenpest geimpft, mit einem oral eingegebenen Mittel entwurmt, mit einem Sprühmittel gegen Parasiten im Gefieder und über das Trinkwasser gegen Kokzidien behandelt. Kranke Tauben werden weggefangen, euthanasiert und untersucht. Gesunde Stadttauben sind das Resultat all dieser Aktionen. «Das fällt auch der Bevölkerung positiv auf, wir erhalten regelmässig gute Rückmeldungen», sagt Meret Huwiler. So fliegen in Bern kaum Tauben mit verkrüppelten Füssen. Die Vogelfreundin denkt, dass dies von den Vergrämungsaktionen durch Dornen, Stacheln oder Netzen mit zu grosser Maschenweite kommt, die manchmal auf Gebäudesimsen angebracht werden. «Leute sollten nicht selbst etwas basteln, sondern Hilfe bei einer Schädlingsbekämpfungsfirma anfordern», so Huwiler. Da die Tauben mit auf sie abgestimmtem Körnerfutter ernährt werden, ist ihr Kot kompakt und trocken. Werden sie falsch gefüttert, wird er dünnflüssig. Das führt zu Problemen an Hausfassaden. Es sei unsinnig, ihnen Brot, Spaghetti oder gar Pommes Frites anzubieten, betont Meret Huwiler. Die Stadttauben stammen von Felsentauben (Columba livia) ab. Die Angewohnheit der Stammform, an Felsvorsprüngen zu nisten, setzen die Stadttauben fort. Darum konstruieren sie ihre Nester auf Mauersimsen oder Balken. Im Schlag bieten die Zellen Ersatz.
«Manche Leute fordern uns auf, die Tauben abzuschiessen.»
Meret Huwiler, Kuratorin Tierpark Bern
Die Stadttauben sterben wegen den Sterilisationen und dem Eiertausch nicht aus. «Es fliegen immer wieder neue Tauben ein», sagt Meret Huwiler. Durch den Zuzug kommt es zu wilden Bruten. Manchmal erhält der Tierpark darum Anrufe von Privatpersonen oder Liegenschaftsverwaltungen, die sich wegen Tauben am Gebäude beklagen. «Wir stellen dann Lebendfallen auf.» Gesunde Tauben werden nach dem Fang in Quarantäne gesetzt, die Männchen werden sterilisiert, veterinärmedizinisch behandelt und an einen Schlag gewöhnt. Manchmal müssen ganze Schwärme gefangen werden, wenn es zu ständigen Ansammlungen auf Plätzen kommt. «Das machen wir mit Palettenfallen», sagt Meret Huwiler. Die Tauben werden mit Futter angelockt. «Wenn sie sich daran gewöhnt haben, können wir so auf einmal viele von ihnen fangen.» Sie würden dann euthanasiert und den Raubtieren verfüttert.
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Dass Tauben polarisieren, erfahren die Tierpark-Mitarbeiterinnen ganz besonders bei solchen Aktionen. «Manche Leute schimpfen und fordern uns auf, die Tauben abzuschiessen, andere sind entsetzt, dass wir sie fangen, und wollen sie frei fliegen lassen.» Wenn sie den Leuten das Taubenkonzept erkläre, zeigten sie sich meist verständnisvoll. Tauben haben in Bern nun eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Sie gehören zur Stadt und ihren historischen Sandsteingebäuden.
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