Rabenvögel haben viele Gemeinsamkeiten mit Menschen und fordern deshalb zum Nachdenken über das Leben auf. Ob hoch am Himmel über den schwarzen Tannen des einsamen Jurawaldes oder inmitten der lebhaften Stadt – die Schwarzfräcke und ihre bunten Verwandten sind omnipräsent. Sogar in der Politik. Am Bundeshaus in Bern hat ein Kolkrabenpaar zwischen den Köpfen von zwei steinernen Adlern sein Nest gebaut. Kolkraben sind die grössten Rabenvögel der Schweiz. Ihre Jungen bleiben mit rund 40 Tagen am längsten im Nest, bevor sie ausfliegen. Sie sind vorsichtig, halten den Menschen auf Distanz. Das Misstrauen ist aus jahrhundertelanger Erfahrung entstanden. Menschen wollen ihnen nichts Gutes. Dabei sind sie ihnen so nah. Etwa in ihrer Paarbeziehung, die sie auch im atemberaubendem Flug demonstrieren, beispielsweise im Wallis.

[IMG 2]

Die kärglichen Flaumeichen an den Felshängen oberhalb von Leuk wispern im Wind, der von den Bergen her durch die Schlucht pfeift. Eine mittelalterliche Steinbrücke verbindet die beiden Bergflanken, weit unten tost der Bach. «Krah-krah», ruft es dunkel hoch am stahlblauen Himmel. Ein Kolkrabenpaar im Liebestaumel. Nun schiessen die beiden wie schwarze Pfeile blitzschnell am Firmament entlang, steigen auf zu Punkten, stürzen herab und gewinnen an Konturen. Plötzlich legt sich ein Vogel im Flug auf den Rücken, winkelt die Flügel an, der andere knapp über ihm, so dass sich die Krallenfüsse berühren. Lebensfreude pur.

[IMG 3]

Szenenwechsel: Tosender Verkehr an einer Ausfallstrasse Berns, alle paar Minuten spukt der Bus Pendler aus, von Ruhe keine Spur. Weit oben in den Kronen alter, hoher Platanen krächzen, flattern und schnäbeln Saatkrähen rund um ihre Reisignester. Schon Ende Februar werkeln sie daran. Unterhalb des dichten Gezweigs, am dicken, gefleckten Stamm, dort, wo einst ein Ast abgebrochen ist, hüpft plötzlich aus einer Baumhöhle ein weiterer schwarzer Vogel auf den Rand, sträubt die Nackenfedern, ruft melodiös «kia-kia» und fliegt davon. Eine sprachbegabte Saatkrähe? Nein, es ist eine Dohle, ebenfalls ein Rabenvogel, und sie brütet in der Baumhöhle. Dohlen sind denn auch die einzigen reinen Höhlenbrüter unter den Rabenvögeln, die die Stadtplatanen bevölkern: die Mehrfamilienhäuser für Rabenvögel.

Warten auf das Rotlicht

Rabenvögel leben unter Menschen. Sie machen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise bemerkbar. So klackt im Herbst plötzlich etwas auf die Strasse. Es scheint, als sei es aus dem Himmel gefallen. Der Gegenstand entpuppt sich als Baumnuss, doch weit und breit ist kein Baum zu sehen. Die Auflösung des Rätsels folgt auf der Stelle. Eine Rabenkrähe landet auf dem Asphalt, hüpft, hält das Köpfchen schräg und scheint befriedigt festzustellen, dass ihr Vorhaben geglückt ist: Die Schale der Nuss, die sie hinuntergeworfen hat, ist angebrochen. Ein Leichtes nun, mit festem Schnabel die leckeren Nussstückchen herauszuholen. Doch, wie stellen es die Krähen in grossen Städten auf den viel befahrenen Strassen an, wenn sie nicht von einem Auto überfahren werden wollen? Kein Problem für die sehr intelligenten Vögel: Als gute Beobachter des menschlichen Lebens stellten sie fest, dass bei den Fussgängerstreifen der Verkehr immer mal wieder anhält, dann nämlich, wenn die Ampel auf Rot steht und die vielen Menschen über die Strasse strömen. Also werfen sie die Nüsse dort ab, warten, bis die Fussgänger Grünlicht haben, und nutzen den Moment ohne Verkehr, um sich die aufgebrochenen Nüsse zu holen.

Auch Alpendohlen mit den leicht gebogenen gelben Schnäbeln sind auf die Menschen ausgerichtet, wenn es um Nahrung geht. Wer die Bergbahn auf der Spitze verlässt, ist überwältigt von der Aussicht und macht es sich vielleicht zuerst auf der sonnenbeschienenenTerrasse des Restaurants gemütlich.

[IMG 4]

Spätestens wenn die Pommes frites serviert werden, stellt sich plötzlich gefiederter Besuch ein. Hohe, pfeifende und zirpende Pfiffe verraten die Alpendohlen, die auch schon mal Leckereien vom Tisch stibitzen. Wenn der erste Schnee gefallen ist und die Bergbahn den Betrieb eingestellt hat, sind sie unten im Tal, denn es ist ja nichts mehr zu holen auf dem Gipfel.

«Menschen und Rabenvögel sind seit Jahrtausenden miteinander verbunden.»

Ein Verräter lebt im Wald. Plötzliches Rätschen und Krächzen aus der Kronenschicht im herbstlichen Jurawald zeigt an, dass ein Eichelhäher den Menschen längst erspäht hat, der da den Hang hinaufkeucht.

Nun wissen alle anderen Tiere: Es ist jemand im Anmarsch, Achtung! Ein nützlicher Hinweis beispielsweise für Rehe während der Jagdsaison. Eichelhäher mit den blau schillernden Flügelfedern leben nicht nur in Wäldern, sondern auch in Parks. Auch sie gehören zu den Rabenvögeln.

[IMG 5]

Obwohl sie so aufgeweckt sind – auch Rabenvögel werden zu Opfern. Auf einer winterlichen Zugfahrt von Olten in Richtung Sursee kurz vor Wauwil LU: Raureif liegt auf den Feldern und klebt an den Zäunen. Eine Elster flattert auf einen Pfosten, wippt aufgeregt mit dem langen Schwanz, schlägt mit den Flügeln. Drei Pfosten weiter zappelt ihr Partner in den Fängen eines Raubvogels, vermutlich eines Sperbers. Der Kopf des Greifs beugt sich vor, hackt zu, erste Federn fliegen, der Zug braust vorbei. «Sie plündern die Nester der Kleinvögel!», jammern Leute in Vororten, wenn sie den kecken schwarz-weissen Vogel mit langen Schwanzfedern sehen. Dies kommt wohl vor. Doch viel mehr noch verschlingen diese Vertreter der Rabenvögel Abfall und Aas – oder werden selbst zum Opfer.

[IMG 6]

Menschenähnlich

Rabenvögel sind mit vielen Vorurteilen behaftet. Vielleicht, weil sie dem Menschen so ähnlich sind? Sie sind fähig, gefährliche Situationen von ungefährlichen zu unterscheiden. Sie können nach Jahren der Trennung wahre Freunde wiedererkennen, haben ein komplexes Sozialleben, benutzen Werkzeuge, lieben sich unter Paarpartnern innig, bleiben meist lebenslang zusammen. Zudem scheinen sie grosse Freude an Neckereien zu haben, sogar gegenüber Tieren, die ihnen gefährlich werden könnten. Ihr komplexes Stimmrepertoire sorgt für gute Kommunikation. Wenn sie die Federn am Kopf sträuben, ihn leicht schräg halten, gravitätisch umherschreiten, hüpfen, tänzeln, glucksen und krächzen, scheinen sie wie befiederte Menschen – ihre Absichten und Stimmungen lassen sich lesen.

Thomas Bugnyar von der Universität Wien forscht intensiv an Raben. Im Labor des Zoologieprofessors leben rund 30 Kolkraben in verschiedenen Gruppen. Die Kolkraben könnten auch noch drei Jahre nach einer Trennung bei Wiederzusammenführung zwischen Freunden und Gruppenmitgliedern unterscheiden, mit welchen sie auf Distanz leben. «Sie erinnern sich an den Wert einer Beziehung», sagt Bugnyar. Die Raben wüssten auch über andere genau Bescheid und kennten deren Beziehungsstatus. Sie würden einen Freund weniger betrügen als einen Nicht-Freund. Das Rabengehirn sei nur so gross wie eine Nuss, sagt Bugnyar über seine Forschung. Doch er streicht den entscheidenden Aufbau und die hohe Dichte an Nervenzellen heraus. «Das ist gleich wie bei modernen Computern, die immer kleiner und trotzdem leistungsfähiger werden.»

«Kolkraben erinnern sich an den Wert einer Beziehung.»

Professor Thomas Bugnyar

Menschen und Rabenvögel sind seit Jahrtausenden miteinander verbunden. In der Frühzeit zeigten Raben den Wölfen oder Menschen an, wo Kadaver liegen. Wenn sich der Mensch auch in erster Linie daran gütlich tat – die Schwarzfräcke bekamen immer etwas davon ab. Ausser Reptilien und Insekten können sie kaum Tiere jagen und sind darauf angewiesen, dass der Mensch oder ein Tier die feste Haut eines verendeten Säugers aufreisst. Entsprechend spielen die Kolkraben in der Mythologie eine wichtige Rolle.

In den nördlichen Wäldern wurden ihnen übernatürliche Kräfte zugeschrieben. In Grossbritannien gilt die Sage, wenn keine Raben am Tower of London anwesend sind, zerfällt das Land. Um sicher zu gehen, werden dort heute Raben mit gestutzten Schwingen gehalten, betreut vom Ravens Master. Im Gelände befinden sich Gräber bekannter Raben.

[IMG 7]

Als der Mensch ganz sesshaft wurde, damit begann, Burgen zu bauen und Kriege zu führen, um seinen Besitz zu verteidigen, liessen sich Raben am Gemäuer nieder und tauchten auf Schlachtfeldern und beim Galgen auf, um sich über Leichen herzumachen. So wurden sie zu Boten einer unheimlichen Welt, zu Totenvögeln. Obwohl: In der Bibel sind sie in sehr positiven Rollen zu finden. So hat Noah während der Sintflut als ersten Vogel einen Raben ausgesandt. Von ihm wird berichtet, dass er «immer hin und her flog, bis die Wasser vertrockneten auf Erden.» Ebenfalls im Alten Testament steht die Geschichte des Propheten Elia, der am Bach Krit von einem Raben mit Nahrung versorgt wurde.

Rabenvogelliebe ohne Vorbehalt

Der schlechte Ruf scheint den Rabenvögeln allerdings bis heute anzuhaften. «Auch im 21. Jahrhundert erlebe ich es noch, wie Menschen bei uns an der Volierentüre klingeln und uns lautstark beibringen möchten, dass wir doch allen schwarzen Vögeln den Hals umdrehen sollten», sagt Elisabeth Schlumpf. Sie leitet die Voliere am Mythenquai in Zürich und zieht jährlich weit über 1500 Wildvögel auf, die ihr von Passanten, der Polizei oder auch vom Tierrettungsdienst gebracht werden. Darunter sind auch junge und verunfallte Rabenvögel, meist Rabenkrähen. Gesund gepflegte Tiere werden wieder in die Natur entlassen. Bis auf die Alpenkrähe habe sie alle Schweizer Vertreter der Rabenvögel schon gepflegt, sagt Schlumpf. In der Voliere am Mythenquai werden alle Vögel aufgezogen, ob rare oder alltägliche Arten. «Wir euthanasieren nur solche, die irreparable Schäden haben, die beispielsweise nicht mehr fliegen können.» Manchmal würden verletzte Rabenkrähen gebracht. «Sie tragen untereinander Kämpfe aus.»

Besonders im Frühling erlebt Elisabeth Schlumpf frühmorgens um 6 Uhr in der Voliere Überraschungen: «Wenn ich die Vogelklappe öffne, weiss ich nie, was mich erwartet», sagt die Vogelexpertin. Tatsächlich können Passanten bei der Voliere am Mythenquai über Nacht anonym in einer Klappe Vögel abgeben, die sie gefunden haben. So äugen ihr im Frühling immer auch junge Rabenkrähen entgegen. «Wir zogen im letzten Jahr 64 auf», sagt Schlumpf. Sie füttere die Jungen mit einer Mischung aus kommerziellem Insektenfutter für Vögel, Rindsgeschnetzeltem und Keimfutter. «Wenn wir keinen Brei aus diesen Komponenten mischen, picken sie sich nur die Besonderheiten heraus.» Wenn sie älter würden, reiche sie ihnen manchmal Cashewnüsse als Leckerbissen. «Sie sind so scharf darauf, dass sie sie gleich als Vorrat verstecken wollen.» Wenn sie das Gehege reinige, klemmten sie oft zwischen den Wänden und kämen unter den Zeitungen zum Vorschein. Rabenkrähen, die Vorräte anlegen. Elisabeth Schlumpf macht auf das alljährliche Problem aufmerksam: «Leider sammeln die Leute junge Rabenkrähen, die sie vermeintlich allein herumsitzen sehen, ein und bringen sie uns.» Dies sei zwar gut gemeint, aber schlecht umgesetzt. «Junge verlassen das Nest, wenn sie noch nicht richtig fliegen können. Das ist normal.» Sie würden von den Altvögeln angewiesen, am gleichen Ort zu bleiben. Dort würden sie von den Eltern weiter mit Futter versorgt. Von wegen Rabeneltern! Vielleicht entstand dieser Ausspruch, weil die Menschen bis heute das Verhalten der Krähen falsch deuten. Sie meinen, die Rabeneltern würden ihren Nachwuchs aus dem Nest werfen. Schon wieder ein Missverständnis.

[IMG 8]

Elisabeth Schlumpf stellt grosse Unterschiede bei der Entwicklung, der Entwöhnung und auch der Selbstständigkeit innerhalb der Familie der Rabenvögel fest. Alle jungen Rabenvögel werden in Gemeinschaft mit Artgenossen oder aber mit anderen Rabenvögeln aufgezogen. «Wir wollen vermeiden, dass sie zu sehr auf den Menschen geprägt sind», sagt die Adoptiv-Vogelmutter. Sie hat beobachtet, dass sich die Elster fast zwei Wochen schneller als die Rabenkrähe entwickelt. «Während junge Krähen lange von den Eltern lernen, werden junge Elstern schneller selbstständig und schliessen sich zusammen.» Elstern legen vier bis acht Eier, die sie während 18 Tagen bebrüten. Die Jungen bleiben 24 Tage im Nest. Im Vergleich dazu legen Rabenkrähen bis zu sechs Eier, bebrüten sie gleich lange, die Jungen verlassen das Nest mit 32 Tagen.

[IMG 9]

Elisabeth Schlumpf ist stets aufs Neue erstaunt über die Intelligenz und Pfiffigkeit der Elster. «Sie kann sich gar selbst im Spiegel erkennen.» Die Vogelziehmutter streicht die unterschiedlichen Charaktere der Individuen heraus. Während sich etliche nach der Auswilderung sofort zurückzögen, würden andere weiterhin zur Volierentüre zurückkehren und um Futter betteln. Diebisch sind Elstern nicht, wie ihnen der Volksmund nachsagt. Die Männchen möchten lediglich Brautgeschenke machen und haben es dabei auf Glitzerndes abgesehen. So wurden schon Kaffeelöffel und Alufolie in den Nestern gefunden. Und vielleicht entwendeten Elstern auch mal einen Ring, der draussen auf einem Tisch lag, weil er so schön glänzte.

Ganz eigentümlich sei der Eichelhäher in seinem Verhalten bei der Aufzucht. Diese Art gehöre zu den Vögeln, die Passanten im Frühling ganz zuletzt bringen würden, sagt Schlumpf. «Er hat seine Überlebensstrategie der Singvogelaufzucht angepasst und brütet dann, wenn viele andere Jungvögel schon den ersten, zaghaften Flugversuch unternehmen.» Eichelhäher bebrüten ihre bis zu sechs Eier während 16 Tagen, die Jungen bleiben 20 Tage im Nest. Um seinen Nachwuchs gut zu füttern, erbeutet der Eichelhäher die Jungen anderer Singvögel. «Bei der Handaufzucht verhält er sich sehr speziell», erzählt Schlumpf. Plötzlich wolle er nichts mehr von der menschlichen Pflegerin wissen und verhalte sich scheu. «Er bettelt, nimmt Futter an, zehn Minuten später frisst er selbstständig und greift an, als hätte er die letzten vier Wochen der intensiven Aufzucht vergessen.» Die Art könne, dank dieses Verhaltens, problemlos ausgewildert werden.

Verbreiter von Bäumen

Der Eichelhäher in Parks und Wäldern ist bunt und fällt auch durch sein lautes Rätschen auf. Er hilft aber auch wesentlich bei der Verbreitung der Laubbäume wie Buche, Stiel- und Traubeneiche, indem er seine Vorräte vergräbt – und nicht alle wieder findet. Dass diese Eigenschaft bei Hähern überlebenswichtig für Bäume ist, zeigte sich in Tamangur im Graubünden. Dort liegt der höchstgelegene Arvenwald. Die Arve bildet kleine Nüsschen aus, die früher von den Einheimischen gesammelt, geröstet und zu einer feinen Süssspeise verarbeitet wurden. Doch sie hatten Konkurrenz durch den Tannenhäher. Der schwarze Vogel mit weissen Tropfen im Federkleid hatte es ebenfalls auf die Nüsschen abgesehen. Darum wurde er bejagt – bis er in der Region ganz selten wurde. Erst nach Jahrzehnten wurde festgestellt, dass sich die Arven nicht mehr ausbreiteten und weniger wurden. Seit der Tannenhäher geschützt wird, wachsen Arven auch wieder weitab bestehender Bestände und bilden lichte Wäldchen.

Rabenvögel und ihre Verwandten
Rabenvögel (Corvidae) gehören zur Ordnung der rund 6000 Sperlingsvögel und zur Unterordnung der Singvögel. Der Kolk- und der äthiopische Erzrabe sind die grössten Vertreter der Singvögel. Rabenvögel umfassen rund 120 Arten in 25 Gattungen. Die Geschlechter unterscheiden sich äusserlich kaum. Näher verwandt mit den Rabenvögeln sind die Paradies- und Laubenvögel aus dem papuanisch-australischen Raum. Zoologisch gesehen sollen die Rabenvögel von den Timalien oder aber – gemäss neueren Erkenntnissen – von den Würgern abstammen. Es wird angenommen, dass das Entstehungszentrum in Südostasien liegt, da dort auch heute noch eine grosse Vielzahl von Gattungen anzutreffen ist. Weitere Rabenverwandte sind neuseeländische Lappenvögel, australische Schlammnestkrähen, Schwalbenstare und Flötenwürger.

Heute ist nur noch ein Vertreter der Schweizer Rabenvögel bedroht, die Alpenkrähe. Sie kommt im Wallis ab einer Höhe von 2000 Metern an zerklüfteten Felsen mit vielen Höhlen vor. Der deutsche Name suggeriert, dass es ein reiner Alpenbewohner sei. Dem ist aber nicht so, denn der Vogel kam beispielsweise auch entlang der Küsten Cornwalls in Grossbritannien vor – wo er 1973 ausstarb. Dank Zucht und Wiederauswilderung durch den Paradise Park in Hayle, Cornwall, fliegt die Art nun wieder entlang der Felsen Cornwalls. Zahlreiche Junge wurden bisher erfolgreich ausgewildert, die sich zwischenzeitlich wieder fortpflanzen. So schlüpften 2021 66 Junge in Nestern in der Natur. In England hat der attraktive pechschwarze Vogel mit korallenrotem Schnabel und Füssen die lustige Bezeichnung Chough (sprich «Cosch»). Zwischenzeitlich brütet die Art sogar wieder auf den Kanalinseln und taucht vermehrt an der französischen Atlantikküste auf. Alpenkrähen sind punkto Nahrung weitaus weniger opportunistisch als ihr Pendant, die Alpendohle. Sie picken verschiedene Insekten und sollten darum kurzrasige Wiesen und Weiden zur Verfügung haben.

In den Bergen, an Meeresküsten, ausser in der Antarktis, sind Krähenvögel überall zu Hause. Wer nach Afrika südlich der Sahara reist, sieht beim Blick aus dem ovalen Flugzeugfenster die schwarz-weissen Schildraben am Pistenrand bereits bei der Ankunft. Auch entlang der Besucherwege bei den imposanten, weltbekannten Iguaçu-Wasserfällen im Dreiländereck Argentinien, Brasilien und Paraguay hüpfen Rabenvögel auf von Epiphyten überwucherten Ästen, nämlich die Kappenblauraben. Auch dort spähen die farbenfrohen Vögel zu den Touristen. Denn wenn etwas Essbares zu Boden fällt, sind sie schnell zur Stelle.

[IMG 10]

Um einen tropischen Vertreter der Rabenvögel zu sehen, ist keine weite Reise notwendig. Der farbenfrohe Inkablaurabe fliegt im Jungle Treck des Papiliorama in Kerzers FR, einer Imitation des Regenwaldes des zentralamerikanischen Landes Belize. Und in der Stadtvoliere Zug, direkt am See, keckern Rotschnabel-Schweifkittas, Elsternverwandte aus dem tropischen Asien. Ob am Strassenrand im Schneematsch, in der brütenden Hitze Afrikas, am tosenden Wasserfall von Iguaçu oder im Zoo, überall zeigen die Rabenvögel ihr typisches Verhalten: Sie sind neugierig, aufgeweckt, vorsichtig, lauernd, verspielt, keck, je nach Laune und Situation.

«Rabenvögel sind mir ans Herz gewachsen», sagt Elisabeth Schlumpf. Sie und ihr Arbeitskollege reichen den beiden Vögeln, die um die Voliere fliegen, Cashewnüsse. «Bei uns hüpfen die Krähen herbei, sonst fliegen sie davon. Sie erkennen Gesichter genau.»