Sumpftour in Florida
Mit nassen Füssen durchs Reich der Alligatoren
Wer nach Florida kommt, denkt an lange weisse Strände, Muscheln und Sonnenschein. Es gibt jedoch noch eine andere Seite - das Reich der Sümpfe, in dem Alligatoren und Florida Panther daheim sind.
«Willkommen im Land der Alligatoren», begrüsst uns Rangerin Lisa Andrews, als wir uns auf dem Parkplatz vor dem Büro des Big Cypress National Preserve im Süden Floridas treffen. Wir sind verabredet zu einer Wet Swamp Tour – einem Sumpfspaziergang, bei dem es, wie der Name bereits sagt, recht nass zugeht.
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Lisa Andrews ist seit 28 Jahren Rangerin im Naturreservat Big Cypress National Preserve. Ursprünglich stammt sie aus Indiana, aber schon als Kind hat sie mit ihrer Familie in Südflorida Ferien gemacht und dabei die Sümpfe entdeckt. «Wenn ich das Big Cypress National Preserve in wenigen Worten beschreiben müsste, so würde ich sagen es ist eine Leidenschaft, die mich vor vielen Jahren gepackt hat und einfach nicht mehr loslässt», schwärmt Lisa Andrews.
Für sie gibt es keinen faszinierenderen Ort auf dieser Welt. Wieviel Sumpfspaziergänge sie in ihrer Zeit als Rangerin bereits absolviert hat weiss sie nicht mehr, nur dass sie alle Menschen, die sie mit in den Sumpf nahm, auch wieder herausgeführt hat. Das gibt uns Hoffnung, denn ehrlich gesagt, ein bisschen mulmig ist uns schon. Wir wissen nämlich, dass sich Alligatoren in den Sümpfen Floridas sehr wohl fühlen. Früher war das Big Cypress National Preserve beiJägern sehr beliebt. Reiher, Krokodile und Alligatoren wurden fast bis zur vollständigen Ausrottung gejagt. Zudem zerstörte die Holzindustrie das Gebiet, indem sie Unmengen an Sumpfzypressen abholzte.
Im Herzen des Sumpfes
1974 wurde endlich etwas unternommen und das Reservat errichtet. Das Naturreservat hat sich zu einem beliebten Ausflugsziel für Einheimische und Touristen entwickelt. Wegen seiner Nähe wird es oft mit den Everglades verwechselt, hat aber mit dem berühmten Sumpfgebiet im Süden wenig gemeinsam, denn das Big Cypress National Preserve liegt etwas nördlicher und ist daher biologisch vielfältiger als die Everglades.
Das Süsswasser des Big Cypress Swamp wirkt wie eine Lebensquelle für das Reservat. Es hält und verbreitet eine Fülle von Mineralien und lässt so eine Vegetation mit Bromelien, Spanisches Moos und Farnen wachsen.
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«Manche Leute haben ein bestimmtes Bild im Kopf. Sie hören das Wort ‹Sumpf› und denken an einen dunklen, unheimlichen Ort», sagt Lisa Andrews. Dass dem nicht so ist erfahren wir am eigenen Leibe, nachdem wir mit der Rangerin den Startpunkt für unsere Tour erreicht haben. Anstelle eines dunklen, matschigen Feuchtgebietes empfängt uns ein klares, sauberes und angenehm kühles Gewässer.
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Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren tasten wir uns mit einem grossen hölzernen Wanderstab in der Hand anfangs noch sehr vorsichtig vorwärts. Wir befinden uns jetzt auf dem Wasserpfad durch einen unberührten Zypressenwald – und stehen knietief im Wasser. Nur wenig Licht fällt durch das Dickicht und wir waten im Gänsemarsch durch eine mysteriöse, grünliche Atmosphäre.
Ein Geräusch im Unterholz lässt uns kurz erstarren. Könnte es einer der ältesten Bewohner dieser surrealen Naturwelt sein? Dann ist wieder alles still und wir bewegen uns weiter durch das Wasser, unsere Umgebung aufmerksam im Blick. Es scheint, als seien unzählige Augen auf uns gerichtet und doch sehen wir selbst keinen der Sumpf-Bewohner, die uns zu beobachten scheinen. Rangerin Lisa beruhigt uns und erklärt: «Im Allgemeinen meiden Alligatoren Menschen. Sie sind Jäger aus dem Hinterhalt, und das Letzte, auf das sie stossen wollen, sind durch den Sumpf stapfende Menschen.» Die einzig gefährliche Begegnung mit einem Alligator sei, wenn ein Weibchen sein Nest bewacht oder ein Männchen territorial werde.
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Rangerin Lisa Andrews führt uns weiter durch den Sumpf und je tiefer wir in das Gebiet vordringen, desto tiefer wird das Wasser und irgendwann finden wir uns an einem «Alligatorloch» wieder. In diesem nisten Alligatoren während der Wintersaison, normalerweise von Januar bis März, wenn der Wasserstand sinkt und die flachen Bereiche des Sumpflandes austrocknen. «Alligatoren benutzen ihre Schnauzen, um Schlamm beiseite zu schieben und so nach Nahrung zu suchen.
Dies vergrössere das Loch immer mehr», erklärt uns Lisa die Entstehung der Vertiefungen. In diesen Bereichen sollte man etwas vorsichtig sein, denn die Chance hier auf einen Alligator zu treffen sei recht gross. «In ihrer natürlichen Umgebung hatte ich jedoch niemals Ärger mit Alligatoren, sie gehen immer auf Distanz. Nur in Gebieten, in denen sie gefüttert werden, gibt es manchmal Probleme», versucht uns Lisa unsere Besorgnis zu nehmen.
Sie selbst habe keine Angst vor den Tieren der Sümpfe, sie möge nur keine Schlangen, aber auch diese hielten zum Glück immer genügend Abstand. Das Gefährlichste im Big Cypress National Preserve seien wahrscheinlich die hinterhältigen Zypressenwurzeln über die man stolpern könne und dann der Länge nach im Wasser lande. Da wir jedoch inzwischen hüfthoch im Wasser stehen wäre das auch nicht mehr allzu schlimm.
Die Schönheit des Sumpfes
Die Sümpfe der Big Cypress National Preserve sind kein Ort der Eile. Es gibt viel Schönes und Interessantes zu sehen – vieles davon ist klein. Hier taucht ein Käfer ab, dort hat eine Schnecke ihre Eier abgelegt. An der rauen Rinde der Zypressen wachsen, Farne, Luftpflanzen und seltene Geisterorchideen. Schwimmende Herzen, Pfeilspitzenpflanzen, Portierkraut und Blasenkraut bereichern die Botanik, während ein Schlangenhalsvogel vergeblich versucht einen Fisch zu fangen.
Lisa Andrews weist uns auf die vielen kleinen Wunder des Sumpfes hin und vermittelt dabei nicht nur viel Wissen, sondern auch jede Menge Respekt für dieses fragile Ökosystem. Eine der wichtigsten Regeln lautet: Finger weg von den Bäumen! Die Luftpflanzen oder Epiphyten wie einige Farne, Orchideen und Bromelien, die nicht parasitär auf den Bäumen wachsen, sind empfindlich, wenn sie berührt werden. Letztendlich weckt ein Sumpfspaziergang starke Gefühle.
«Viele Leute haben ein wenig Angst, ehe sie den Sumpf betreten, und wenn sie herauskommen, heben sie jubelnd ihren Wanderstock. Anfangs sehe ich die Anspannung in den Gesichtern, aber diese verfliegt nach spätestens zehn Minuten», meint Lisa Andrews und grinst breit in unsere Richtung. Und sie hat vollkommen recht! Auch wir merken, wie wir inzwischen völlig relaxt sind und neugierig den Sumpf erkunden.
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Doch dann zeigt sie plötzlich hinter uns und deutet uns an still zu sein. Wir drehen uns langsam um und starren in den Zypressenwald. Keine zehn Meter von uns entfernt treibt etwas im Wasser – ein Alligator. «Oh, ein richtig grosser Bursche – da haben wir aber Glück gehabt», freut Lisa sich, uns doch noch einen Alligator aus nächster Nähe zeigen zu können. Die Länge des Tieres, das im klaren Wasser fast schwarz wirkt, bestimmt sie anhand des Abstands seiner Augen.
Den Alligator schätzt sie auf 3,5 bis vier Meter. Sehr wahrscheinlich ein ausgewachsenes Männchen, das sein Verdauungsschläfchen macht und daher keinerlei Interesse an uns hat. Mit grossem Respekt und überglücklich nach so vielen unvergesslich schönen Eindrücken im Sumpf steuern wir langsam wieder auf unseren Ausgangspunkt zu.
Ein Happy End für den Florida-Panther?
Ein Tier, das wir bei unserem Ausflug in das Big Cypress National Preserve nicht gesehen haben, ist der Florida-Puma (Puma concolor coryi), in den USA «Panther» genannt. Er war einst über weite Teile des Südostens der Vereinigten Staaten verbreitet. Heute gehört dieses Wappentier Floridas jedoch zu einer der meist bedrohten Tierarten unseres Planeten.
In den Everglades und den umliegenden Sümpfen gibt es nur noch eine kleine Population von zirka zweihundert Tieren. «Verglichen mit den Siebzigerjahren ist das jedoch viel», meint die Rangerin und ergänzt: «Damals gab es aufgrund aggressiver Bejagung nur noch weniger als 30 Exemplare, sodass sie durch Inzucht stark gefährdet waren und beinahe ausgestorben wären.»
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Wissenschaftler erdachten damals einen beispiellosen Rettungsplan: In Texas fing man acht Pumaweibchen ein und liess sie im Süden Floridas wieder frei. Fünf der Tiere pflanzten sich fort. Die neu hinzugekommene genetische Vielfalt kehrte den Niedergang der Pumas um. Die meisten Exemplare leben heute in einem weitläufigen zusammenhängenden Landstreifen südlich des Caloosahatchee River, der von Fort Myers aus ostwärts verläuft. «Gesichert ist die Zukunft des Florida-Panthers jedoch längst nicht.
Wir finden immer wieder tote Tiere. Haupttodesursachen sind vor allem Zusammenstösse mit Autos», erklärt Lisa Andrews. Auch die Landerschliessung setze den Tieren stark zu – und pro Tag ziehen rund 900 weitere Menschen nach Florida. Wo Mensch und Raubtiere aufeinanderstossen, gibt es immer Konflikt-Potenzial. Eine Studie besagt, dass die Raubkatzen inzwischen drei Prozent aller jungen Rinder töten. «Wie genau diese Studien sind ist fragwürdig, denn häufig macht man Pumas für tote Tiere verantwortlich, die von Kojoten, Bären oder sogar Bussarden gerissen wurden», kritisiert Lisa Andrews und weisst besorgt darauf hin, dass der Verlust von Kälbern häufig zu Vergeltungsaktionen führt.
Riesenschlangen als Widersacher
In den letzten Jahren wurden zudem vermehrt deutlich unterernährte Tiere gesichtet. Wissenschaftler haben eine neurologische Erkrankung entdeckt: die betroffenen Tiere stolpern häufig oder haben Schwierigkeiten beim Gehen, in schweren Fällen können Lähmungen auftreten. Die Opfer verhungern. Allein im Big Cypress National Preserve sind inzwischen mindestens vier Panther an der Krankheit gestorben.
Die Ursache ist unbekannt. Infrage kommen giftige Chemikalien oder ein Virus. Und wäre das nicht bereits genug gibt es noch einen Widersacher. «Die vielfältigen Ökosysteme des Big Cypress National Preserve und der Everglades sind leider mittlerweile auch die Heimat einer unglaublichen Anzahl invasiver Pflanzen-, Insekten- und Wildtier-arten, insbesondere der Burma-Python», sagt Ranger Lisa, während wir zurück zum Auto laufen.
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Im Bereich des Big Cypress National Preserve sind Weisswedelhirsche eine der wichtigsten Nahrungs-quellen des Florida Panthers. Diese Hirsche und andere Beutetiere der Raubkatze stehen jedoch auch auf dem Speiseplan der Burmesischen Pythons. Die aus Südostasien stammende Art der Schlange wurde vermutlich in den 90er Jahren als exotisches Haustier nach Florida eingeführt und in den Feuchtgebieten der Everglades ausgesetzt.
Um den Puma erneut zu retten, zerstört man inzwischen die Nester der Pythons. Ein durchschnittliches Gelege hat 50 Eier, grosse Weibchen können jedoch bis 130 Eier legen. «Die Wildtierbehörde Floridas zahlt Jägern ein recht hohes Kopfgeld, um die Schlangen zu fangen. So wurde erst kürzlich ein über 5,20 Meter langes und fast 100 Kilo schweres Exemplar gefangen», berichtet die Naturliebhaberin.
Lisa Andrews hofft, dass man das Schlangenproblem so in den Griff bekommt. Wie viele Pythons in den Sümpfen leben ist ungewiss, die Schätzungen schwanken zwischen 35 000 und 300 000. Wir sind somit nicht traurig, dass wir auf unserem Sumpfspaziergang keiner Schlange begegnet sind. Ebenso wenig wie Rangerin Lisa, die sich vor nichts in den Sümpfen fürchtet, ausser vor Schlangen.
EingepacktFür eine Wet-Tour sind unbedingt eine lange Hose sowie feste, geschlossene Schuhe, die nass werden können, erforderlich. Zudem sollte man genügend Wasser, Sonnenschutz, Insektenschutzmittel und wenn möglich ein Fernglas im Gepäck haben. Für weniger Mutige werden Airboot- oder Broadwalk Touren angeboten, bei denen die Füsse trocken bleiben.
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