Brombeeren wuchern, einzelne Farne bilden grüne Tupfer im braunen Laub, letzte gelbe Buchenblättern glitzern an Ästen in morgendlichen Sonnenstrahlen. Ende November in einem Wald bei Birrhard (AG). «Hier haben wir letztes Jahr 200 Kubikmeter Holz herausgeholt», sagt Markus Lüthy.

Der Förster steht in einem lichten Wald mit halbhohen Baumstümpfen voller Spechthöhlen, umgefallenen, verrottenden Baumstämmen, Jungwüchsen mit aufkommenden Buchen, einer Eiche, einzelnen Lärchen, vielen Weiss- und Rottannen. Keine Spur von Fahrrinnen auf dem Waldboden, keine Schneisen, keine kahl geschlagenen Flächen. «Das Ziel ist, dass nach einem Jahr nichts mehr von unserem Eingriff zu sehen ist», sagt der Förster, der den Forstbetrieb Birretholz im Birrfeld (AG) leitet. Fünf bis sieben Personen bewirtschaften und pflegen mehr als 750 Hektaren Wald, der den Einwohner- und Ortsbürgergemeinden gehört.

«Jeder Kubik Holz, der nicht von hier stammt, kommt aus der weiten Welt.»

Markus Lüthy, Förster, Birrfeld (AG)

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Erst in sechs Jahren würden hier wieder einzelne Bäume gefällt. «Wir versuchen, das meiste Holz von den Wegen im Wald aus herauszuholen. Wenn es nicht anders geht, schlagen wir Rückegassen durch den Wald.» In Lüthys Büro sind sie fein säuberlich auf Karten eingezeichnet. Es würden immer die gleichen Schneisen benützt. «Waldmaschinen mit grossen Rädern sind gut, denn sie verteilen das Gewicht, der Boden wird weniger beschädigt. Moderne Fahrzeuge haben den Vorteil, dass wir Bäume bis zu zwölf Meter weit aus dem Wald holen können, ohne dabei den Jungwuchs zu beschädigen.» Bei nassem Wetter müsse der Förster die Aktion sofort abbrechen.

Zu viele Rehe

Markus Lüthy erklärt: «Wir wollen eine dauerhafte Bestockung mit verschiedenen Baum- und Strauch-arten.» Darunter seien Fichten, Buchen, Eichen, Eschen, Berg- und Spitzahorn, Weisstannen, Birken, Pappelarten und auch Douglasien. Forstfachleute sprechen bei diesem System von Dauerwald. «Wir arbeiten mit den Arten, die selbst absamen und wachsen, und nehmen gezielt Eingriffe vor.» Wo etwa keine Eichen mehr vorhanden seien, würden sie welche setzen und sie bis zu einer überlebensfähigen Grösse schützen. «Ein solcher Wald ist vom genetischen Pool her breit aufgestellt.»

Ein Buntspecht ruft, irgendwo in der Ferne meldet sich ein Rotkehlchen mit seinem melancholischen Gesang, sonst ist es ruhig. Markus Lüthy blickt in die im Spätherbst fast kahlen Buchenkronen. Während er durch den Wald stapft und Bäume begutachtet, erklärt er eine früher gebräuchliche Methode der Waldnutzung. «Früher wurden ganze Flächen abgeholzt und wieder aufgeforstet. Es dauerte 80 Jahre, bis wieder Holz geerntet werden konnte.» Ein solcher Wald sei anfälliger, denn bei der Aufforstung würden Samen mit gleicher oder ähnlicher Genetik verwendet. «Fällt der Borkenkäfer ein oder tritt sonst eine Krankheit auf, sind gleich alle Bäume befallen.» Es sei falsch, den Borkenkäfer als Schädling zu bezeichnen. «Er korrigiert, was der Mensch falsch gemacht hat», betont der Waldspezialist. Im Dauerwald bereite der Käfer kaum Probleme.

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In der Schweiz sei Kahlschlag verboten, kleinflächige Abräumungen würden aber von manchen Forstbetrieben weiter praktiziert. Markus Lüthy merkt an: «Diese Methode ist nicht ganz naturfern.» Wenn ein Sturm über das Land fege oder Feuersbrünste ausbrächen, vernichteten sie auch ganze Waldflächen. Eine Abräumung fördere gewisse Arten. Das Problem: Bei Abräumungen bräche das Waldklima zusammen. «In heissen Sommern trocknet der Waldboden komplett aus, vielerorts gewinnen Farne und Neophyten den Wettlauf ums Licht und nicht einheimische Baumarten, die wir eigentlich fördern wollen.»

«In der sommerlichen Hitze gedeihen Jungbäume kaum. Im Halbschatten grosser Bäume aber wachsen sie sehr wohl», sagt Markus Lüthy. Er bückt sich, zeigt auf einen dünnen Zweig und kommentiert: «Hier, typische Verbissschäden an einer jungen Weisstanne.» Es gebe zu viele Rehe und Rothirsche. Der Waldkenner stellt klar: «Entweder, es werden Wolfs- und gleichzeitig mehr Rotwildabschüsse gefordert, oder man macht gar nichts.» Er habe Verständnis für jeden erzürnten Bauern, dem Nutztiere durch Wölfe abhandenkämen. Die Problematik im Wald müsse man aber genauso beachten. Jäger seien an einem grossen Rehbestand interessiert. Das sei höchst kontraproduktiv für den Wald, da der unnatürlich hohe Rot- und Rehwildbestand derzeit massiv zur Dezimierung der Baumartenvielfalt und damit zum Biodiversitätsrückgang im Wald beiträgt. In einem intakten System würden Raubtiere wie der Wolf regulierend eingreifen und die Baumartenvielfalt steigern. «Der Wald braucht den Menschen nicht», konstatiert der Förster.

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Reh und Hirsch frässen alle für den Wald wertvollen Bäume im Jungzustand komplett weg, ausser jungen Fichten und Buchen. Die letzten beiden hätten im heutigen, wärmer werdenden Klima Mühe. Da aber genau sie nicht abgefressen werden, setzen sie sich häufig durch. «Das macht den Wald artenarm und anfällig gegenüber dem wärmeren Klima.»

Im ruhigen, fast urtümlich wirkenden Waldstück, in welchem vor einem Jahr noch Holz geschlagen wurde, stehen auch mächtige Douglasien aus Nordamerika. Markus Lüthy schaut am borkigen Stamm empor, wiegt den Kopf und sagt: «Auch in sechs Jahren werden wir sie noch nicht fällen, sie wird noch umfangreicher.» Der Förster findet es vertretbar, gezielt im Wald auch Douglasien wachsen zu lassen, um sie zu nutzen. Sie würden trockene, heisse Sommer gut verkraften.

Markus Lüthy sieht Waldreservate kritisch. Er stellt eine Tendenz fest, vom Gedanken des Nutzwaldes zur Philosophie des Reservatswaldes zu wechseln. Für ihn sind es zwei Extreme. «Ich plädiere für eine Vollkostenrechnung. Totholzinseln sind gut, aber, wo kommt das Holz her, das wir in der Schweiz verbrauchen? Jeder Kubik, der nicht aus unseren Wäldern stammt, kommt irgendwo aus der weiten Welt.» Es sei ökologisch besser, wenn lokales Holz für den hiesigen Verbrauch verarbeitet würde. Holz wird zur Energiegewinnung, zur Herstellung von Papier, im Möbel- und Holzbau verwendet.

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Schonende Waldnutzung

Totholz findet aber auch der Förster Markus Lüthy wichtig. Es gehört zu seinem System der Dauerwaldbewirtschaftung. «Hier, diese Bäume lassen wir stehen, bis sie umfallen. Hier gefährden sie niemand, und sie bieten Insekten und Vögeln wertvolle Lebensräume», sagt er und zeigt auf zwei dürre Tannen. Auf dem Waldboden liegen langsam verrottende Stämme. Es könne 30 Jahre dauern, bis sie ganz zersetzt seien. Er achte darauf, dass in allen Wäldern ein Netzwerk aus solchen Biotopen bestehe.

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Markus Lüthy plädiert dafür, den Wald schonend zu nutzen. «Die Waagschale muss immer im Gleichgewicht bleiben.» Holten wir aus einem Wald alle Eichen, hätten wir einen sehr guten Jahresabschluss. «Der Waldwert würde sich dadurch aber beträchtlich vermindern. Vom Dauerwald aber haben wir einen steten Nutzen.» Beim Dauerwald sei der Aufwand geringer, als wenn aufgeforstet werden müsste. Zuwachsermittlungen hätten gezeigt, dass ein Wald mit grosser Baumarten- und Altersmischung der Bäume am meisten Holz produziere. Dem entspreche der Dauerwald. «Waldränder mit einer Strauchschicht und ein Wasserrückhaltesystem mit Teichen im Wald schaffen zusätzlich Struktur und sorgen für ideale Wuchsbedingungen.»

«Der Wald braucht den Menschen nicht.»

Markus Lüthy, Förster, Birrfeld (AG)

Markus Lüthy lebt für den Wald. Der ehemalige Forstwart, der sich zum Förster weitergebildet hat, besucht während seiner Freizeit Wälder in anderen Ländern, studiert Forstsysteme, analysiert. Er sagt: «Der Förster muss den Wald vor dem Markt schützen. Er ist die Stimme des Waldes.» Es lebten vom Waldarbeiter über den Säger bis zum Schreiner sehr viele Leute vom Holz. Auch darum sei es wichtig, dass die Kette am Laufen bleibe. Der Wald als Naturwert, Erholungsfaktor und als Schatz.

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Es ist still. Markus Lüthy schaut über den Jungwuchs zu einer Gruppe von Buchen. Er sagt: «Ich nehme die Aufgabe sehr ernst, Bäume anzuzeichnen, die gefällt werden.» Sähe er eine Spechthöhle, würde er den Baum stehen lassen. Sogenannte Biotopbäume, also alte, kapitale Exemplare, würden ihren Platz im Wald behalten. Markus Lüthy und seine Forstwarte verfolgen sprichwörtlich langfristige Strategien. Was sie heranwachsen lassen, wird sich in 150 Jahren so richtig entfalten.

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