Der Jura ist anders. Er hebt sich geografisch, kulturell und politisch von der übrigen Schweiz ab und zieht sich durch verschiedene Kantone.

Vielseitige Wanderungen

Entsprechend vielfältig gestalten sich Wanderungen von Zürich nach Genf. Zürich? Den Jura verortet man nicht in diesem Kanton. Und doch beginnt ein Ausläufer dort, nämlich bei Dielsdorf. Die Lägern gehört bereits zum Juragebirge, das sich wie ein Halbmond über Genf hinauszieht. Wenn schon, dann von Stadt zu Stadt wandern. So beginnt die Tour im Hauptbahnhof Zürich ab Perron 33 Mitte April in aller Frühe.

Der Weg durch den Jura könnte vielseitiger nicht sein.

Die Flucht aus der Grossstadt gelingt rasch über den Bucheggplatz direkt in den stadtnahen Wald. Der Fussmarsch über den Hönggerberg, entlang den Katzenseen bis Dielsdorf dauert um die zehn Stunden. Dann beginnt der Jura. Vom Bahnhof aus geht es steil bergauf ins mittelalterliche Regensberg auf den Lägern. Der Blick von diesem länglichen Hügelzug reicht zurück bis Zürich mit dem glitzernden See und auf Autolawinen, die en miniature auf der Autobahn kriechen. Im Frühling blühen Knabenkraut-Orchideen am besonnten Hang, Mönchsgrasmücken jubilieren, ein Schwarzspecht pfeift.

[IMG 5]

Der gut zehn Kilometer lange Weg über den Höhenrücken der etwa 860 Meter hohen Lägern ist einzigartig auf der ganzen Jurawanderung. Weite Teile in Richtung Baden im Aargau führen über eine schmale Krete, kreuzen ist schwierig. Bis nach Brugg folgen flache stadtnahe Hügel. In der Ebene fliessen Aare, Reuss und die Limmat zusammen. Auf dem Weg nach Frick beeindruckt die über 800 Jahre alte Linde bei Linn. Was ist ein Menschenleben zu diesem Baum?

[IMG 6]

Der Jura ist keine schroffe Berglandschaft. Das wird beim Marsch nach Sissach ins Baselland deutlich. Liebliche Hügel mit blühenden Obstbäumen verwöhnen die Augen, im Wald leuchtet in feuchten Tälern hellgrün der Bärlauch. Immer wieder zeugen dunkle Burgruinen vom mittelalterlichen Leben und einstigen Verkehrswegen.

[IMG 4]

Sicht bis zur Alpenkette

Die Jurawanderung lässt sich je nach Lust, Zeit und Möglichkeiten gestalten. Die meisten End- und Ausgangspunkte sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Das bietet sich für Tagesetappen an. Wer am Stück wandern möchte, muss wegen Unterkünften enger planen. Die Dichte an Einkehrmöglichkeiten ist völlig unterschiedlich. In Teilen des Aargauer Juras fehlen sie fast ganz, im Solothurner Jura oder in den französischsprachigen Gebieten gibt es zwar immer mal wieder Restaurants oder Alphütten, doch sind sie nicht immer offen. Brot, Käse und Tee im Rucksack vermeiden einen Hungerast. Und wenn eine Sonnenterrasse lockt, lässt sich das Mitgenommene ja auch noch auf dem Nachhauseweg verspeisen.

[IMG 8]

Manchmal ist der Ort aber so spektakulär, dass man gerne verweilt und froh ist, bei fesselnder Aussicht Stärkung zu sich nehmen zu können. So etwa auf der Belchenfluh im Baselland. Die Sicht reicht im Süden weit über das Mittelland bis zur Alpenkette, im Norden über die Jurahügel bis zur im Dunst liegenden Stadt Basel.

Im Baselland ist der Aufstieg von Sissach schon anstrengender geworden. Die Belchenfluh liegt auf 1099 Metern über dem Meeresspiegel. Der umgebende Wald ist manchmal fast mediterran, dann wieder nördlich geprägt. In südexponierten Lagen wachsen Föhren, Flaum- und Traubeneichen, von Stechpalmen durchsetzt, in Nordlagen dominieren Ahorn, Buchen, Fichten und Weisstannen, so beispielsweise im Sagwald, bevor die Belchenfluh erreicht ist.

Der Jura ist besonders durch den Jurahöhenweg bekannt. Schön ist aber, auch den hinteren Jura zu durchstreifen. So führt der Weg nach dem Solothurner Balmberg, dem Weissenstein und der Hasenmatt, dem mit 1445 Metern höchsten Gipfel im Kanton, ins einsame Hinterland durch Wälder mit Feuchtwiesen und leuchtend gelben Sumpfdotterblumen über die Sprachgrenze über den Montagne de Graitery bis nach Moutier im Berner Jura. Hier beginnen sie, die Combes, etwas typisch Jurassisches. Dabei handelt es sich um Mulden, die durch Erosion entstanden sind und in der Längsrichtung einer Falte des porösen Juragebirges verlaufen. Die Tälchen sind häufig auf Jura-Wanderkarten verzeichnet.

[IMG 7]

Nicht nur die Landschaft hat sich mit dem Erreichen der Freiberge verändert, auch die Kultur ist anders als etwa im Aargauer Jura. Die weissen Mauern einzelner Jurahöfe leuchten abseits, Baumalleen führen über Felder. In Bellelay dann die Überraschung: Der eindrückliche Bau des ehemaligen Klosters mit Kirche, das auf 1136 zurückgehen soll, wirkt überwältigend.

[IMG 9]

Totaler Szenenwechsel beim Etang de la Gruère. Er liegt in der Juralandschaft mit Tannengruppen, Steinmauern, offenen Weiden und Pferden. Es könnte sich auch um einen Moorsee irgendwo in den Weiten Finnlands handeln. Ganz so einsam ist es am Etang de la Gruère allerdings meist nicht. Auf den Holzstegen rund um den See mit bernsteinfarbenem Wasser tummeln sich viele Touristen. Ein Bad im Hochsommer ist ein Abenteuer und zeigt, dass sich die Wasserschichten kaum mischen. Während es beim Schwimmen oben angenehm warm ist, wird es kalt, hält man die Beine gerade nach unten.

In die Schlucht des Doubs

Wieder allein ist man auf dem Weg über die Juraweiden in Richtung Les Bois und Doubs. Er startet in Les Reussilles, wo Mehlschwalben am alten Schulhaus nisten und ein Gimpel von einer Birke am Waldrand ruft. Mitten in einer Weide umfriedet eine alte Mauer mit zugekettetem, rostigem Tor den Pestfriedhof von 1636. Dann geht es steil bergab in die Schlucht des Doubs. Der Fluss zieht die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz. Die Welt im abgeschiedenen Tal mutet tropisch an. Hellgrün leuchten die Blätter der an den Kalkfelsen siedelnden Hirschzungenfarne. Dickes Moos umwuchert die Äste über dem glucksenden und murmelnden tiefgrünen Wasser des Doubs. Mit funkelndem Gefieder sticht ein Eisvogel ins Wasser und erbeutet einen kleinen Fisch.

[IMG 2]

Ein Gegensatz zum Doubs ist das symmetrisch angelegte La Chaux-de-Fonds, die Metropole hoch im Jura. Nichtsdestotrotz singt und brütet oberhalb des Bahnhofs der seltene Gartenrotschwanz. Nächster Höhepunkt: der Creux du Van. Vom eindrücklichen Talkessel aus reicht die Sicht bis zum Neuenburgersee. Über Kämme und Berge, durch Täler und Wälder zieht sich der Weg durch den Waadtländer Jura. Auf und ab ist das Motto der Wanderung.

[IMG 3]

Oberhalb des Lac de Joux dominiert lichter Tannenwald. Einzig ein Bauer flickt einen Zaun, sonst ist es menschenleer. Plötzlich ein geheimnisvolles Sirren. Ein Auerhahn fliegt durch von Farnkräutern und Heidelbeeren besetzten Tannenwald. Stunden danach folgt der kahle Mont Tendre. Mit 1679 Metern ist dies der höchste Punkt des Schweizer Juras. Zu Füssen liegt der Genfersee, dahinter im Dunst die Savoyer Alpen. Hier ziehen sich kilometerlang Steinmauern entlang von Weiden.

[IMG 10]

Der Dôle mit grasenden Gämsen am Steilhang ist der letzte Berg der Schweizer Jurakette, dann kommt die Grenze nach Frankreich. Wer in der Schweiz bleiben möchte, steigt durch dichten Wald bis in die Nähe des Genfersees ab und nähert sich entlang der Grenze der Rhonestadt. Dicke Eisentore verbergen üppige Villen oberhalb des Sees, riesige UNO-Verwaltungsgebäude künden von Internationalität. Der Weg durch den Jura könnte vielseitiger nicht sein.

[IMG 11]

Der Creux du Van ist ein kesselförmiger Einschnitt im Jura an der Grenze der Kantone Neuenburg und Waadt. Eine Jurawanderung führt, besonders in den Freibergen, immer auch quer durch Pferdeweiden.