Du wirst dich bestimmt zu Tode langweilen», lacht meine Freundin, als ich ihr von meinem Plan erzählte: fünf Stunden lang im Wald sitzen, still sein und einfach nur beobachten. Ohne Handy, ohne Buch, ohne iPad oder Zeitung, ohne jegliche mediale Ablenkung.

Aber der Entschluss ist gefasst. Mit einer Thermoskanne Tee, einer Decke und einer grossen Portion Optimismus bewaffnet, mache ich mich frühmorgens auf den Weg in die «Wildnis». Die Wildnis fängt fünfhundert Meter hinter unserem Haus an und ist am Wochenende ein relativ gut besuchter Stadtwald der Stadt Zürich.

Der Tag beginnt kühl, die Luft ist frisch, und ein leichter Nebel hängt zwischen den Bäumen. Mein Abenteuer beginnt bereits bei der Platzsuche. «Such dir eine gute Stelle, von der aus du alles sehen kannst», hatte ich mir vorher gedacht. Na ja, einfacher gesagt als getan. Der erste Baumstumpf ist zu wackelig, der zweite von Ameisen bevölkert, und beim dritten ist, dem Geruch nach zu urteilen, die öffentliche Toilette einiger Wanderer nicht weit. Schliesslich lande ich an einer kleinen Lichtung, die perfekt zu sein scheint: ein sonniger Fleck, geschützt von Bäumen, mit einem guten Blick auf das Geschehen ringsum.

Die ersten 45 Minuten verlaufen zäh. Sie sind geprägt von einer inneren Unruhe. Mein Blick wandert hin und her, die Geräusche des Waldes scheinen unzusammenhängend. Doch nach und nach passiert etwas: Mein Atem wird ruhiger, meine Bewegungen werden sparsamer. Und ich merke, wie die Tiere mich wahrzunehmen scheinen. Ein neugieriges Rotkehlchen hüpft über den Boden und bleibt in meiner Nähe, pickt auf dem Boden nach Insekten und fliegt dann wieder in den sicheren Schutz der Äste. Weiter entfernt höre ich das Klopfen eines Spechts, während einige Meisen fröhlich zwitschernd von Ast zu Ast hüpfen.

Teil des Waldes

Nach etwa drei Stunden habe ich fast das Gefühl, ein Teil des Waldes zu sein. Ich bin nicht mehr der Fremdkörper, sondern ein Baumstumpf mit Augen. Dieses neue Gefühl der Zugehörigkeit zeigt sich besonders, als eine Maus, kaum grösser als ein Korken, beschliesst, meine Schuhe zu inspizieren. Sie huscht hin und her, schnuppert kurz und verschwindet, offenbar enttäuscht darüber, dass es keine Brotkrumen gibt.

Die letzten beiden Stunden vergehen wie im Flug, auch wenn sich ausser einem Eichhörnchen über mir im Baum kein grösseres Tier mehr blicken lässt. Als ich mich schliesslich von meinem Platz erhebe, fühle ich mich wie nach einem sehr guten Buch oder einem spannenden Film, der mich völlig in eine andere Welt entführt hat. Der Wald hat mich in diesen fünf Stunden aufgenommen und gezeigt, wie wertvoll es sein kann, einfach still zu sein und die Welt um sich herum wahrzunehmen. Und langweilig war es ganz und gar nicht.