Schön - unauffällig - invasiv
Invasive Neophyten: Herausforderung für Natur, Garten und Gesetzgebung
Sie wurden vor Hunderten von Jahren als Gartenpflanzen eingeführt, verhielten sich lange unscheinbar, bis sie plötzlich alles überwucherten: invasive Neophyten. Sie entziehen einheimischen Arten die Lebensgrundlage und verursachen wirtschaftliche Schäden. Was führt dazu, dass die Wucherer überhandnehmen? Wie können sie bekämpft werden und was ersetzt Kirschlorbeer, Goldrute und Schmetterlingsflieder?
Ein Olivenbaum reckt seine Äste der frühlingshaften Sonne entgegen, Krokusse blühen im Gras, im nahen Treibhaus entfalten sich Sukkulenten tropischer Zonen, während Palmenwedel im nachmittäglichen Wind rascheln. Im März erwacht die Pflanzenwelt im Botanischen Garten Bern oberhalb der Aare zu neuem Leben. Viele Gewächse sind Exoten. Adrian Möhl spricht auf der Terrasse vor den Schauhäusern über Neophyten. Er stellt klar: «Die Bekämpfung von invasiven Arten hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun.» Das sei ein total falscher Diskurs!
«Die allermeisten eingeführten Pflanzen sind unproblematisch», betont der Botaniker. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Botanischen Gartens Bern ist auch bei InfoFlora tätig, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Ist man mit ihm in der Natur unterwegs, bleibt kein Gras, kein Blatt, keine Blüte unbestimmt. Er benennt nicht nur alles Grün mit volkstümlicher und wissenschaftlicher Bezeichnung, sondern hat auch gleich faszinierende Geschichten rund um die Pflanzen bereit. Feldexkursionen mit Adrian Möhl sind darum Entdeckungsreisen der besonderen Art. Der Pflanzenbegeisterte gibt für InfoFlora Kurse zu invasiven Neophyten. «So stiess ich auf ein sehr spannendes Thema», sagt er. Seine Ausführungen sind wie der Blick in ein Kaleidoskop. Das Thema ist bunt, wechselhaft, spannend.
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«Als Neophyten werden verwilderte Gewächse bezeichnet, die nach der Entdeckung Amerikas, also nach 1500, nach Europa gebracht wurden. Sie können aber auch aus Asien stammen», erklärt Adrian Möhl. Neophyt heisse «neue Pflanze». Die meisten Leute würden beim Wort Neophyt an invasive Pflanzen denken. «Es gibt aber auch ganz seltene Neophyten in der Schweiz.» Er merkt an, dass pro Jahr Hunderte, wenn nicht Tausende von fremden Arten in die Schweiz gelangen. «Nur ein Bruchteil etabliert sich hier. Von diesem Bruchteil ist es nochmals ein Bruchteil, der problematisch wird.»
Ein neueres Phänomen
Alles begann mit Freude und Erstaunen im 17. Jahrhundert im Gartenland Grossbritannien. Erste Goldruten wurden aus Kanada eingeführt. Die Blütenpracht begeisterte nicht nur Menschen. Auch Bienen wurden wie magisch davon angezogen. Heute gilt die Nordamerikanische Goldrute als der invasive Neophyt schlechthin. Adrian Möhl sagt: «Die Goldrute war während Jahrhunderten kein Problem.» Was aber löst es aus, dass sich eine Pflanze plötzlich so sprunghaft vermehrt, dass sie Schranken durchbricht, aus Gärten abhaut und sich neue Lebensräume weit draussen erschliesst? Der Botaniker vermutet, dass die Pflanze irgendwann mal mutierte und sich dadurch perfekt anpasste oder dass sie durch eine neue Gartenmode überall populär wurde. «Eine Mutation kann sich plötzlich besonders erfolgreich in einem neuen Gebiet durchsetzen. Von dem her sind Neophyten unglaublich spannend.» Es könne auch sein, dass später eine andere Varietät hinzugekommen sei, was den genetischen Switch ermöglichte.
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«Es ist wohl kein Zufall, dass gerade jetzt so viele Arten invasiv werden», betont Adrian Möhl. Er verortet den Klimawandel und den enorm zunehmenden Güterstrom als Probleme, denn was in den letzten 20 Jahren bezüglich Neophyten passiert sei, habe es vorher noch nicht gegeben. Die invasiven Neophyten seien seit etwa 25 Jahren ein viel grösseres Thema und somit ein neueres Phänomen. «Während meiner Studienzeit sprach man kaum davon. Einzig der Riesenbärenklau erregte Aufmerksamkeit, nicht aber, weil er das Ökosystem störte, sondern weil er allergische Reaktionen auslöst.»
«Wenn Konkurrenz und Fressfeinde fehlen, werden Neophyten invasiv.»
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Was aber ist nun konkret falsch an der Goldrute? «Ästhetisch finde ich sie wunderschön», sagt Adrian Möhl, fügt aber gleich an: «Sie verdrängt die einheimische Flora. Es ist nicht einfach ein kleines Problem. Es gibt Pflanzen, die wegen der Goldrute verschwinden, weil sie sich nicht durchsetzen können.» Als Beispiel nennt er die Borstige Glockenblume, die in lichten Wäldern vorkommt. «Es gibt eine Population im Forst», erzählt der Botaniker. Beim Forst handelt es sich um einen Wald bei Laupen westlich von Bern. «Als ich letztmals nach diesen Glockenblumen sah, fand ich noch eine bis zwei Pflanzen unter Goldruten, der Rest war verschwunden. Alles ist dicht zugewachsen durch die Nordamerikaner.»
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Invasive Neophyten verdrängen nicht nur einheimische Pflanzen. Sie können auch ein Riesenproblem für die Landwirtschaft darstellen. So wie das Südafrikanische oder Schmalblättrige Greiskraut, eine wie die Goldrute gelb blühende Pflanze, deren Wuchsform, Blüten und Samenstände entfernt an Löwenzahn erinnern. Diese Art, die versehentlich Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Wollhandel von Südafrika nach Europa und durch Strassenverkehr in die Schweiz gelangte, ist ein gutes Beispiel, dass sich invasive Neophyten lange schleichend und plötzlich sprunghaft vermehren. Adrian Möhl sagt: «Die Art breitete sich von Genf über Lausanne in die gesamte Schweiz aus.» Heute wachse sie überall, sogar bis über 2000 Meter über Meer. «Mit dieser Art haben wir ein doppeltes Problem! Sie ist invasiv, kompetitiv und sehr giftig für Vieh und Mensch.» Wenn sie in Trockenwiesen wachse, mache sie nicht nur die Artenvielfalt kaputt, sondern auch das Heu, betont Adrian Möhl. Er habe die Art bereits in Zermatt gesehen, ein Gebiet mit hoher Biodiversität. «Wenn sich das Greiskraut dort ausbreitet, ist das eine Katastrophe.»
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Ein gutes Beispiel, dass sofortige Massnahmen gegen invasive Neophyten wirken, sei die Ambrosie, das Aufrechte Traubenkraut. «Im umliegenden Ausland ist dieser nordamerikanische Neophyt ein Riesenproblem. In Frankreich habe ich beispielsweise ganze Äcker mit Ambrosien gesehen», sagt Adrian Möhl. In der Schweiz sei von Anfang an eine konsequente Bekämpfung durchgeführt worden. «Die Pflanze muss nicht nur ausgerissen und zerstört, sondern auch dem kantonalen Pflanzenschutzdienst gemeldet werden. Darum konnte sie sich hier nie richtig etablieren.» Die Ambrosie löst bei vielen Menschen starke allergische Reaktionen aus.
Verhindern, dass Pflanzen ausbüxen
Ambrosie, Goldrute und Südafrikanisches Greiskraut wurden schon 2006 und 2008 verboten, weitere Arten kamen hinzu, sodass ab dem 1. September 2024 gemäss dem Bundesamt für Umwelt nun total 22 Pflanzen auf einer Liste von Pflanzen stehen, mit welchen jeglicher Umgang verboten ist.
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Das hat der Bundesrat in einer Verordnung geregelt. Adrian Möhl erklärt, was das heisst: «Man darf sie weder verkaufen, verschenken, giessen, ins Zimmer oder den Garten nehmen nochSamen sammeln.» Wenn auf einem Grundstück eine solche Pflanze wachse, werde der Eigentümer nicht belangt. Nicht die Waldbesitzer hätten beispielsweise Goldruten ausgebracht. Wären sie gezwungen, sie aktiv zu bekämpfen, würde das ein grosses finanziellesEngagement erfordern. Es sei politisch zwar versucht worden, das zu fordern, doch die Lobby der Grundeigentümer habe sich dagegen gewehrt. Auf dieser Liste sind auch sehr seltene Arten aufgeführt wie etwa das Australische Nadelkraut oder die Karolina-Haarnixe, eine in der Aquaristik als Cabomba bekannte Wasserpflanze. «In etlichen Ländern hat die Karolina-Haarnixe grosse Schäden verursacht. Wir wollen vorbeugen, sodass sie sich hier gar nicht erst ausbreitet», sagt Adrian Möhl. Es sei nicht klar, wie sich das Klima in den nächsten zehn Jahren entwickle. Mit zunehmender Wärme und grossen Stickstoffeinträgen könnten sich auch weitere Arten etablieren. «Die meisten Pflanzen mögen Wärme und Nährstoffe.» Er gibt zu bedenken, dass Wasserpflanzen weltweit zu den schlimmsten Neophyten zählen. «Sie breiten sich durch vegetative Vermehrung aus und nehmen allen anderen Organismen dadurch jegliches Licht weg, sodass sie absterben.»
Keine Pflanzen der Natur entnehmenEinheimische Pflanzen im Garten sind zwar sinnvoll, aber es sollten keine seltenen, gefährdeten Arten sein. Das wäre gleich zweimal schädlich. Der Botaniker Adrian Möhl erwähnt als Beispiel das Adonisröschen, das in bestimmten Gebieten im Wallis blüht. «Durch eine Wildentnahme wird der natürliche Bestand geschädigt. Am neuen Ort, irgendwo in der Deutschschweiz, ausgepflanzt, fehlen die Bestäuber, dann könnte man gerade so gut auch Dahlien pflanzen. Zudem ist die Art auch rechtlich geschützt. Es ist also verboten, Pflanzen oder Samen der Natur zu entnehmen.» Es sei Auftrag von Bund und Kanton, seltene Pflanzen zu schützen. «Private Initiativen sind zwar gut gemeint, aber nicht nachhaltig», sagt Adrian Möhl. Er erwähnt auch gleich, warum: «Jemand pflanzt eine seltene Art im Garten. Nach 40 Jahren gehen Haus und Garten in anderen Besitz über. Der Nachfolger gestaltet den Garten um. 40 Jahre sind nichts im Leben einer Pflanzenart.»
Für weitere 31 Arten sind der Verkauf und das Verschenken verboten. Dazu gehört die bei Pflanzenliebhabern beliebte Tessiner Palme, die eigentlich Chinesische Hanfpalme heisst und deren wissenschaftliche Bezeichnung Trachycarpus fortunei lautet.
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Mitte des 19. Jahrhunderts erkundete der britische Gärtner und Pflanzensammler Robert Fortune die chinesische Provinz Chusan und fand dort die schmucke Palme vor, die in regenreichen, hügeligen Gebieten wuchs. Er brachte Samen nach England, die Palme etablierte sich in der Gartenkultur. Es wird vermutet, dass Einzelpflanzen erstmals im 19. Jahrhundert ins Tessin gelangten. Die Palme, Symbol für Sonne und Wärme, wurde in verschiedenen Gärten gepflanzt und gerne gesehen. «Vögel verbreiten ihre Samen», sagt Adrian Möhl. So hat sich die Chinesin aufgemacht in wilde Tessiner Gebiete, wo sie zwischenzeitlich ganze Wälder bildet. Da die Wedel immergrün sind, beschatten sie den Waldboden. Das verhindert das Wachstum der typischen Frühlingsvegetation laubabwerfender Wälder. Zudem ist eine natürliche Verjüngung der Wälder nicht mehr möglich, da es für Jungbäume schlicht zu dunkel ist, um aufzukommen. Die Palmen absorbieren sämtliches Licht. Da sie Flachwurzler sind, festigen sie die Hänge zu wenig. Macht es nun aber Sinn, eine Pflanze, die im Tessin Probleme bereitet, gesamtschweizerisch zu verbieten? «Auch in Basel, Genf und Zürich sind bereits ausgewilderte Populationen bekannt», gibt der Botaniker Adrian Möhl zu bedenken.
Der Pflanzenkenner und -liebhaber hat Verständnis für das Bedürfnis, exotische Gewächse auf dem Balkon und im Garten zu pflegen. «Das ist legitim und soll auch so sein. Das Wichtigste ist die Freude an den Pflanzen. Man kann den Leuten doch die Freude nicht wegnehmen!», ruft er. Wer eine Chinesische Hanfpalme auf dem Balkon oder im Garten habe, solle sich weiter daran erfreuen. «Die Früchte sollten allerdings abgeschnitten werden. So ist die Palme kein Problem.» Wer invasive Neophyten pflege, trage eine Verantwortung. Solange man sie wahrnehme, führe das kaum zu Schwierigkeiten. Adrian Möhl liefert ein Beispiel: «Ich mag beispielsweise Lupinen. Hätte ich einen Garten in der Stadt, würde ich mir erlauben, sie zu pflegen, in einem Chalet in den Bergen aber würde ich sie sicher ausreissen.» Lupinen stammen eigentlich aus Nordamerika, doch in Berggebieten der Schweiz haben sie sich teilweise stark ausgebreitet.
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Ist das Verkaufsverbot gewisser Pflanzen für den Gartenhandel ein Ärgernis? Othmar Ziswiler, Leiter gärtnerischer Handel bei Jardin Suisse, dem Unternehmerverband Gärtner Schweiz, sagt: «Es ist sinnvoll, dass der Verkauf einiger invasiver Neophyten verboten wurde.» Das sei wissenschaftlich abgestützt. Zudem seien die meisten der auf der Liste stehenden Pflanzen gärtnerisch nicht genutzt worden. Das Handelsverbot der wenigen Arten, die betroffen seien, führe langfristig nicht zu Umsatzeinbussen. «Der Kirschlorbeer beispielsweise war schon vorher negativ in den Medien, die Umsätze gingen schon lange zurück.» Es sei durchaus ein Trend zu einheimischen Arten festzustellen. Es habe im Gartenhandel einige behördliche Kontrollen gegeben, von Bussen habe er nie gehört. «Im Internet bieten allerdings ausländische Händler die in der Schweiz verbotenen Pflanzen nach wie vor an», gibt Othmar Ziswiler zu bedenken.
Dass der Kirschlorbeer einst so beliebt war, komme nicht von ungefähr. «Er ist nicht umsonst ein invasiver Neophyt. Die Art wächst halt einfach überall und stellt kaum Ansprüche.» Stechpalmen und Eiben als wintergrüne Gewächse würden nicht an allen Standorten gedeihen und bevorzugten eher Halbschatten. «Bei Stechpalmen ist gute Beratung wichtig, damit wirklich die richtige Sorte für den entsprechenden Standort ausgewählt wird», sagt Othmar Ziswiler.
Der Botaniker Adrian Möhl plädiert dafür, einheimische Pflanzen zu setzen. Es gebe zwar sehr viele exotische Pflanzenarten mit null Problem, doch er findet: «So viele einheimische Arten sind wunderschön, warum nicht vermehrt solche Arten im Garten kultivieren?»
Krugpflanze im WaadtlandUnterhalb von Les Pleiades hoch über dem Genfersee wuchern im Moor von Les Tenasses auf 1300 Meter über Meer nordamerikanische Krugpflanzen der Art Sarracenia purpurea. Diese fleischfressende Art wurde 1919 dort ausgebracht. Sie hat sich nicht nur gehalten, sondern fast über das gesamte Moor ausgebreitet. Das führt dazu, dass sie einheimische Arten wie den Sonnentau verdrängt.
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Was würde denn der Botaniker in seinem Garten pflanzen, wenn er einen hätte? «Ich würde ein Gemisch wählen. Ich mag auch gerne exotische Pflanzen, beispielsweise solche aus Südafrika. Auch Dahlien gefallen mir gut. Auf jeden Fall wäre es mir wichtig, dass dauernd etwas blüht.» Ganz bestimmt würde er auch viele einheimische Pflanzen setzen, schwärmt der Kenner und erwähnt da seine Balkonkistchen. «Was da alles an den Dost fliegt, da braucht man keinen Fernseher mehr!» Von Hummeln über Schwebfliegen bis zu Wildbienenarten, sie alle würden die Blüten besuchen. «Alle, die Action wollen, pflanzen Dost!», proklamiert Möhl.
Hätte er einen Garten auf dem Land, würde er praktisch nur einheimische Arten pflanzen. «Dort besteht die Gefahr eher, dass Pflanzen abhuschen, als in der Stadt oder auf einem Balkon, den man recht gut unter Kontrolle hat und der einen Mikrokosmos darstellt.»
In der Pionierphase verharren
Manche Fremdländer sind so alltäglich geworden, dass sie oft als einheimisch angesehen werden. Zum Beispiel der Schmetterlingsflieder. Kein Sommer, ohne dass die traubenartigen Blüten nicht Aufsehen erregen. Der Name ist Programm. Zahlreiche Schmetterlinge tun sich am Nektar gütlich. Doch die Pflanze ist nicht einheimisch. Sie stammt aus China und dem Tibet. Adrian Möhl hat auch zu ihr eine interessante Geschichte parat. «Jahrelang wurde der Schmetterlingsflieder in Gärten gepflegt, nichts passierte. Doch in den Trümmerhäufen nach dem Zweiten Weltkrieg fand sie ein ideales Klima, vermehrte sich massiv und wanderte ab in die Natur.» Zwischenzeitlich hat sie auch die Schweiz fest im Griff. Im Sundgraben am Thunersee wachse heute ausser dem Schmetterlingsflieder fast nichts mehr, gibt Möhl zu bedenken und weist auf den springenden Punkt hin: «Es gibt kein Insekt, das sich von den Blättern ernährt, und die Art dominiert so stark, dass sie alle anderen Pflanzen verdrängt.»
Neophyten haben hier praktisch keine Fressfeinde. Viele haben die Eigenschaft, auch in ihrer Heimat als Pionierpflanzen zu gedeihen. In ihrem Erbgut ist angelegt, sich rasch zu etablieren, bevor dies der Konkurrenz gelingt. Sie erschliessen sich so neue Lebensräume. «Wenn Konkurrenz fehlt und sogar die Fressfeinde ausbleiben, verharren sie in der Pionierphase. Darum werden sie invasiv», erklärt der Botaniker. Und noch etwas: Ein Schmetterlingsflieder produziert pro Jahr bis zu sechs Millionen Samen, ein enormes Potenzial. «Wer sich an Schmetterlingen im Gartenerfreuen möchte, pflanzt Wasserdost. Der blüht auch schön lila, Schmetterlinge lieben die Blüte und im Herbst stirbt die oberirdische Pflanze ab. Sie muss also nicht einmal zurückgeschnitten werden», sagt Möhl. Pionierpflanzen sind die ersten, die nach Waldrodungen wieder Fuss fassen oder entlang von Rückegassen in den Wald wandern. Darunter sind oft invasive Neophyten.
Problemzone StadtbegrünungIn Städten wird es im Sommer heisser. Einige einheimische Stadtbäume haben darum Mühe zu überleben. Deshalb werden jetzt Baumarten aus Süd- oder Südosteuropa, wie etwa der Zürgelbaum, als Gewächse propagiert und teilweise bereits angepflanzt. Sie vertrügen das Klima besser. Der Botaniker Adrian Möhl entgegnet: «Das ist eine Technokratenlösung. In Städten braucht es Bäume, aber sie benötigen genügend Wurzelraum, keinen Beton, keinen Mergel, sondern einen entsprechenden Unterwuchs, der ihre Wurzeln schützt. Solche Saumgesellschaften sind gleichzeitig gut für Bestäuber.» Es gebe auch in der Schweiz Ökotypen von Eiche und Ahorn, die mit trockeneren Bedingungen auskämen. «Es wäre viel sinnvoller, diese Arten zu pflanzen.»
Wie wird man ihnen Herr? Adrian Möhl: «Es gibt keinen Zauberstab, den man schwingen kann, bis sie verschwinden. Die einzige effektive Methode ist die mechanische Entfernung. Das ist Knochenarbeit! Es braucht Konsequenz, man muss möglichst früh beginnen, wenn das Problem noch nicht so schlimm ist. Einmal reicht nicht, sondern immer wieder.»
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Die Weltnaturschutzunion geht davon aus, dass die Ausbreitung gebietsfremder invasiver Arten heutzutage die fünftwichtigste Ursache für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt ist. Adrian Möhl sagt dazu: «In anderen Ländern gibt es Probleme unvorstellbarer Ausmasse mit invasiven Neophyten.» Der Pflanzenkenner räumt ein, dass in der Schweiz andere Faktoren mindestens so schlimm seien für die Biodiversität als die invasiven Neophyten, beispielsweise die Trockenlegung von Sumpfgebieten und die intensive Landwirtschaft. Das dürfe aber nicht dazu führen, nichts mehr zumachen. Denn: «Wie hoch ist der Preis, wie viele Arten verschwinden?»
PflanzenfinderWer die Biodiversität im Garten fördern möchte und ans Gebiet und den Boden angepasste Pflanzen sucht, ist nicht nur mit Fachliteratur, sondern neu auch mit dem Pflanzenfinder von Regioflora gut bedient. Regioflora ist eine nationale Beratungs- und Koordinationsstelle für die Erhaltung und Förderung der genetischen Ressourcen von Wildpflanzen und wurde 2012 von Pro Natura initiiert und in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt, dem Bundesamt für Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea, InfoFlora, der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaues sowie 15 Kantonen entwickelt. Unter Angaben von Standort im Garten oder auf dem Balkon, der Grösse des zur Verfügung stehenden Platzes, weiterer Spezifikationen und der Nennung der Postleitzahl werden mögliche geeignete einheimische Pflanzen genannt.
Ein Beispiel
- Eingabe verschiedener Angaben
- Gärtnerische Elemente: Töpfe und Kistchen; Grösse: 30 Zentimeter tief; Wohnort: 3053 Münchenbuchsee (BE); Klima, Boden: halbschattig, mässig trocken.
- Empfohlene Pflanzen:
Tollkirsche, Acker-Glockenblume, Schlaffe Segge, Maiglöckchen, Wald-Labkraut, Nickendes Perlgras, Echtes Seifenkraut, Rippenfarn, Nesselblättrige Glockenblume, Wirbeldost, Gelber Lerchensporn, Stinkende Nieswurz, Einblütiges Perlgras, WeissesVeilchen.
(Über jede Pflanzenart kann mehr erfahren werden, indem auf das Profilbild geklickt wird. Weiter folgt eine Liste mit Gärtnereien der Region, welche auf die Gebiete heruntergebrochene Pflanzenarten anbieten.)
Was bei Tieren schon lange bekannt ist, gelangt jetzt auch bei den Pflanzen ins Bewusstsein: Sie sind an ihren Standort angepasst. Ein Spitzwegerich aus dem Wallis sollte nicht in die Ostschweiz verpflanzt werden.
regioflora.ch
Wie Neophyten sinnvoll ausgetauscht werden können
Einjähriges Berufkraut wird zur Kamille
Das Einjährige Berufkraut überwuchert ganze Felder. Idealer einheimischer Ersatz ist die Kamille. Die bekannte Heilpflanze wächst gerne auf sandigen Böden und ist in den letzten Jahren immer seltener geworden. Ideal, wenn sie im Garten oder auf dem Balkon ein neues Refugium hat und mit ihrem typischen Duft betört. Die Kamille ist einjährig.
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Kanadische Goldrute wird zum Gemeinen Gilbweiderich
Die Kanadische Goldrute verdrängt auf Waldlichtungen einheimische Pflanzen. In der Schweiz gibt es eine einheimische Art, die Echte Goldrute (Solidago virgaurea), die ebenso schön blüht. Auch derGemeine Gilbweiderich (Bild) blüht zwischen Juni und August genauso attraktiv. Die mehrjährige Staude wächst bis 130 Zentimeter hoch. Zwei Wildbienenarten sind auf das besondere Blütenöl aus. DieKönigskerze, auch Wollblume genannt, blüht im zweiten Jahr ebenfalls gelb und wird drei Meter hoch. Auch das Echte Johanniskraut blüht gelb und wird einen Meter hoch. Ein einheimischer Gelb-Reigen!
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Lupine wird zum Wald-Weidenröschen
Die Lupine aus Kanada wuchert in vielen Alpgebieten. Der Blaue Eisenhut kann als Ersatz gepflanzt werden, ist aber eine alpine Art. Die Zier- und Medizinalpflanze beeindruckt mit den tiefblauen Blüten und gedeiht an kühlen, feuchten, nährstoffreichen Standorten. Sie ist wie die Lupine giftig. Einguter, unproblematischer Ersatz sind die Wald-Weidenröschen (Bild), die nicht nur wunderschön blühen, sondern auch Nahrung für zahlreiche Schmetterlingsraupen bieten.
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Schmetterlingsflieder wird zur Traubenkirsche
Der Schmetterlingsflieder verdrängt einheimische Pflanzen und bietet keiner Raupe Nahrung. Als Ersatz ist die Traubenkirsche ideal (Bild). Sie wächst als Baum, kann jedoch auch als Strauch geschnitten werden. Die weissen Blüten sind dekorativ und bei Insekten beliebt. Auch Schwarzer Holunder ist ein guter Ersatz. Blüten und Früchte sind eine Zierde. Weissdorn oder Schneeball sind weitere geeignete Ersatzsträucher.
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Japanisches Geissblatt wird zum Waldgeissblatt
Das Japanische Geissblatt verwildert leicht und bildet eine dicke Schicht, die einheimischen Arten das Aufkommen verunmöglicht. Das einheimische Waldgeissblatt wächst genauso schlingend und bildet attraktive Blüten aus. Der lianenähnliche Wuchs verleiht einer Garten-hecke tropisches Flair, macht Hausmauern attraktiver oder bildet einen Sichtschutz auf dem Balkon.
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Kirschlorbeer wird zu Eibe
Hecken mit Kirschlorbeer schirmen ab. Diese Funktion nehmen auch einheimische Gewächse wahr, beispielsweise eine Eibenhecke (Bild rechts) und Stechpalmen. Beide sind immergrün. Auch Hagebuche, zur Hecke geschnitten, erfüllt die Funktion, denn die im Herbst verdorrten Blätter bleiben bis im Frühling hängen, wenn die neuen Blätter spriessen. Liguster trägt im Herbst noch lange Laub. Wichtig ist auch, auf die regionale Herkunft der Sträucher zu achten.
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Götterbaum wird zum Vogelbeerbaum
Der Götterbaum mit den fächerartigen Blättern stammt aus China. Warum aber nicht einen Vogelbeerbaum anpflanzen anstatt des invasiven Gewächses, das oft in Stadtnähegedeiht? Die Blätter wachsen ebenfalls gefächert an einer Rippe, die Blüten sind weiss und die orange-roten Beeren ab Herbst wirken nicht nur dekorativ, sondern sind auch beliebtes Vogelfutter, das Kraft für den Winter oder Zug schenkt.
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