Köpfe der Urzeit
Faszination Reptilien der Welt, im Terrarium und Freiland
Reptilien faszinieren. Neugierde und Angst mischen sich beim Betrachten. Die Kriechtiere mit ruhigem Blick und wachen Augen besiedeln die Erde seit Urzeiten. Die Tropen gehören zum Hauptverbreitungsgebiet, doch auch in der Schweiz leben einige Arten.
Reptilien wecken eine Mischung aus Neugier, Furcht und Sensationslust – sei es hinter Glas im Zoo oder in freier Natur. Doch schnell wandelt sich das anfängliche Staunen in echtes Interesse und schliesslich in Faszination. Genau dieses Gefühl vermittelt das neue Buch «Reptilia». In kunstvollen Schwarz-Weiss-Fotografien rückt es die Vielfalt der Reptilien ins beste Licht: Jede einzelne Schuppe, jeder Höcker und die glänzenden Körperpartien treten beeindruckend hervor. «Es sind Porträtköpfe, Köpfe der Urzeit, mit einer extrem spannenden Anatomie», schreibt Fotograf Tom Krausz. Die langsamen Bewegungen vieler Reptilien – oder ihre Fähigkeit, fast reglos zu verharren – kamen ihm entgegen. Doch oft sind sie Meister der Tarnung und schwer zu entdecken. Viele der eindrucksvollen Aufnahmen entstanden daher in Zoos, einige aber auch in freier Wildbahn, etwa auf den Galapagosinseln, der Heimat der berühmten Riesenschildkröten und Meerechsen.
[IMG 2]
Es bleibt nicht bei den Bildern von Feuersalamander, Kreuzotter, Chuckwalla oder Leistenkrokodil. Die wechselwarmen Tiere werden zoologisch korrekt in interessanten und unterhaltsamen Texten beschrieben, dies durch Heiko Werning. Der Redaktor der Zeitschrift «Reptilia» analysiert die allgemeine Wahrnehmung von Reptilien in der Gesellschaft. Er stellt fest, dass Kinder normalerweise die Schlangen unvoreingenommen betrachten würden. «Erst die kulturelle Prägung sorgt für späteres Wegspringen», schreibt er in seiner Einleitung und fragt sich, angesichts der Tatsache, dass viele nicht einmal mehr eine harmlose Ringelnatter richtig bestimmen können, ob es nicht an der Zeit wäre, darüber nachzudenken, wieder Grundlagen wie Artenkenntnis der heimischen Fauna zu lehren, anstatt mehr IT- oder Ökonomiekenntnisse zu fordern.
[IMG 3]
Obwohl Schlangen in Mitteleuropa im täglichen Leben praktisch keine Rolle spielen, haben sie einen schlechten Ruf. Eidechsen, die an Mauern Sonne tanken, stossen auf Sympathie, doch spätestens, wenn sie in der nächsten Mauerritze verschwunden sind, geht man weiter. Grössere Echsen werden im Zoo mit einer Mischung aus Faszination und Furcht betrachtet. Von Schlangen wollen die meisten nichts wissen.
In tropischen Ländern sind Reptilien wesentlich häufiger, dies, weil es wechselwarme Tiere sind. Das heisst, dass sie kaum dazu fähig sind, durch das Verbrennen von Nahrung ihre Körpertemperatur zu generieren. Viel mehr nutzen sie dazu die Umgebungstemperatur und tanken Sonnenstrahlen.
Wie in der Gesellschaft, betrachten auch im Buch Reptilia verschiedene Menschen Reptilien aus unterschiedlicher Sicht. Während der Fotograf die Ästhetik der Tiere in den Vordergrund rückt und Heiko Werning sie fachlich korrekt beleuchtet, wirft die Schriftstellerin Elke Heidenreich einen allgemeinen, interessierten Blick auf die Kriechtiere. Sie verfasste die Einstiegs-texte zu den Reptilien der verschiedenen Weltgegenden. Bei Europa erinnert sie sich an ihren Helden der Kindheit, Lurchi, den Feuersalamander. Heidenreich gehört in der Fernsehsendung «Literaturclub» seit vielen Jahren zum Kritikerteam.
[IMG 4]
Geduld zahlt sich aus
Der glänzende Kopf der Königskobra, die lauernden Augen und der grimmige Blick sind furchteinflössend. Oder gar heimtückisch? Diese Beschreibungen sind anthropomorph. Menschliche Eigenschaften in Tiere hineinzuinterpretieren, ist nicht professionell. Und doch, die Königskobra wird vielen immer wieder zum Verhängnis. Etwa 50 000 Menschen im Jahr sterben allein in Indien an Schlangenbissen, weltweit sind es bis zu 138 000. Weitere 400 000 Menschen erleiden nach Schlangenbissen bleibende Schäden. Zahlen aus Australien oder den USA, wo Giftschlangenarten auch reichlich vorhanden sind, zeigen, dass es keineswegs so sein müsste. Der Autor Heiko Werning ortet als Problem für die hohen Opferzahlen in manchen Ländern des Südens die Armut der Bevölkerung, mangelhafte Bildung und fehlende medizinische Versorgung. Meist fehle diesen Menschen Gegengift.
[IMG 5]
Bells Winkelkopfagame aus den Regenwäldern im südlichen Thailand, West-Malaysias und Borneos schaut keck mit Stachelkamm und schuppiger Haut. Ihr Aussehen hat etwas von einem kleinen Dinosaurier. Das Verhalten hingegen vergleicht Heiko Werning mit den Worten Margaret Thatchers, der ehemaligen britischen Premierministerin, die als eiserne Lady bezeichnet wurde und einst sagte: «Ich bin ausserordentlich geduldig, vorausgesetzt, ich kriege am Ende, was ich wollte». Bells Winkelkopfagame sitzt stunden-, mitunter tagelang bewegungslos an einem Baumstamm oder auf einem Ast und wartet. Dieses Verhalten spart Energie, denn das Erhoffte kommt irgendwann mal vorbei – Wirbellose wie Käfer und Tausendfüssler auf ihrem Weg in die Baumkronen. Bis sie an der klebrigen Zunge des kleinen Drachens hängen bleiben.
Zu diesen Fabeltieren schreibt Elke Heidenreich, dass sie schlimme Gesellen seien: «Sie lagern in Berghöhlen ausserhalb friedlicher Ortschaften, und damit es friedlich bleibt, muss man ihnen ab und zu eine Jungfrau opfern. Das haben wir schon als Kinder in unseren Märchenbüchern gelesen. Was machen die mit diesen Jungfrauen? Sie verführen? Heiraten? In die Küche schicken? Auffressen?» Mit Drachen sei nicht zu spassen. Weltweit gibt es wohl über 12 000 Reptilienarten mit einer Konzentration in den wärmeren Gebieten. In der Schweiz leben 16 Arten, von der Blindschleiche bis zur Kreuzotter. Im Winter fallen sie in die Starre, irgendwo in Erdspalten, unter Wurzelstöcken und Steinplatten.
[IMG 6]
Reptilien sind nicht im Scheinwerferlicht. Niemand wundert sich, wenn während einer ganzen Wanderung kein einziges Reptil auftaucht. Dies im Gegensatz zu Vögeln oder zu Rehen, nach welchen aktiv gesucht wird. Darum ist auch kaum bekannt, dass es um 14 der 16 Arten in der Schweiz schlecht steht. Ihr Bestand ist von verletzlich bis zu sehr gefährdet, dies aufgrund von Lebensraumzerstörung und Nahrungsknappheit. Die Probleme türmen sich also vor der eigenen Haustüre.
Auch Schildkröten gehören zu den Reptilien. Im Gegensatz zu den Schlangen fliegen ihnen die Sympathien zu. Wenig bekannt ist, dass auch in der Schweiz natürlicherweise eine Art vorkommt, nämlich die Europäische Sumpfschildkröte. Sie ist so selten geworden, dass sie manchmal als Exot angesehen wird. Im Kanton Genf gelang die Wiederansiedlung durch Schweizer Zoos. Das Papiliorama und der Tierpark Bern haben sich dabei verdient gemacht.
Reptilien bilden aus wissenschaftlicher Sicht keine Einheit. Sie bestehen stammesgeschichtlich gesehen mit den Echsen, Schlangen, Krokodilen und Schildkröten aus vier Untergruppen, mit den Brückenechsen sind es gar fünf. Professor Dr. Wolfgang Böhme, Zoologe mit Schwerpunkt der Herpetologie, also dem Wissenschaftszweig, der sich mit Amphibien und Reptilien beschäftigt, erklärt dies mit der Fortpflanzung. Können Fische im Wasser Eizellen und Spermien zeitlich koordiniert gemeinsam abstossen, damit eine Befruchtung stattfindet, benötigen Tiere an Land zur Fortpflanzung einen Penis. Alle männlichen Schildkröten, Krokodile, die Männchen der ursprünglichen Vögel wie Strausse, Kiwis, Kasuare, die Ganter und Erpel der Gänse- und Entenvögel sowie die männlichen Steisshühner, und natürlich die Säuger, verfügen darüber. Doch dieses Organ, so der Herpetologe Böhme, ging im Laufe der Stammesgeschichte wieder verloren, und zwar bei den Lepidosauriern. Dazu gehört einerseits die Brückenechse aus Neuseeland, ein lebendes Fossil, andererseits gehören dazu alle Echsen und Schlangen, genauso wie die modernen Vögel. Sie paaren sich, indem die Kloaken, oft nur sekundenlang, zur Spermaübertragung aufeinandergepresst werden.
[IMG 7]
Die Stammesgruppe, aus der Krokodile entstanden, die Archosaurier, ist auch die Stammesgruppe der Dinosaurier und auch diejenige der Vögel. So kommt es, dass ein Krokodil stammesgeschichtlich näher mit einem Kanarienvogel als mit etwa einem Waran verwandt ist. Dinosaurier leben in Gestalt der Krokodile und Vögel weiter!
Zu Beginn war die Gefährlichkeit von Giftschlangen in den Tropen Thema. Auch Krokodilen fallen Menschen zum Opfer, weitaus am meisten in Indonesien. Auf der unterhaltsamen, spannenden und lehrreichen Reise durch das Buch «Reptilia», werden allerdings am Ende die Realitäten herausgestrichen:
Wahre Killer des Menschen seien andere, etwa2,8 Millionen Menschen jährlich bringe der Alkohol um, 1,4 Millionen werden mit Autos getötet. Schlussfolgerung von Heiko Werning: «Krokodile tragen ihre Zähne zwar im Gesicht, doch die Messer haben eben andere dabei.»
SchmökereckeTom Krausz
"Reptilie - Köpfe der Urzeit"
mit Texten von Elke Heidenreich und Heiko Werning, Natur und Tier Verlag
Eine humorvolle und lehrreiche Annäherung an schuppige Gesellen.
[IMG 8]
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren