Um zu wissen, ob Tiere überhaupt bedroht sind, müssen ihre Bestände und die Bestandesentwicklung bekannt sein. Gemäss der Schweizerischen Gesellschaft für Wildtierbiologie (SGW) hat die Überwachung von einheimischen Wildhuftier-Beständen den Schutz gefährdeter Arten, dem Lebensraum angepasste Populationsgrössen sowie eine nachhaltige Jagd zum Ziel. Die Überwachung der Brutvogelbestände dient ähnlichen Zwecken. Zudem weist sie das Bundesamt für Statistik als Umweltindikatoren aus. Somit werden Wildtierbestände vom Spatz (450 000 bis 550 000 Paare) bis zum Reh (ungefähr 135 000 Tiere) aufgelistet. Doch wie ist das möglich bei Tieren, die mobil sind?

Nathalie Rutz von Pro Natura betont: «Es gibt kein einheitliches Vorgehen bei Bestandeserhebungen von Tieren. Die Methoden sind sehr stark abhängig von der Tierart, dem Lebensraum und den Aussagen, die man mit den Daten machen will.» Schnecken würden anders gezählt als Steinböcke und nochmals anders als Frösche. «Das ist ein komplexer Wissenschaftszweig für sich.» Gleich sieht es Dr. Kurt Bollmann von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

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Erhebungen von Bestandeszahlen bei Tieren können also keine absoluten Zahlen liefern. «Es geht immer um Stichprobeflächen oder -zeiträume, um Hochrechnungen, Prognosen und Modelle oder um langfristig vergleichbare Indexwerte», sagt Nathalie Rutz. Auch der Biologe Kurt Bollmann sagt, dass man Tiere nicht zählen, sondern nur schätzen könne. Solche Schätzungen seien unterschiedlich gut, abhängig von der Art, ihrer Biologie, ihrem Raum- oder Territorialverhalten.

Kurt Bollmann erklärt, wie Zählungen unterschiedlicher Tiergruppen vorgenommen werden: «Tiere, die in Kolonien leben, wie der Alpensteinbock, die Lachmöwe, die Uferschwalbe oder Fledermäuse, kann man relativ gut ‘zählen’, wenn man ihre Wintereinstände oder Bruthabitate kennt.»

Bei heimlich und nachtaktiv lebenden Arten, wie dem Luchs, müssten die einzelnen Individuen in ausgewählten Lebens-räumen mindestens ein bis zweimal fotografisch mit einer Wildtierkamera erfasst werden. Die eruierten Zahlen können dann auf einen Totalbestand pro Gebiet hoch-gerechnet werden. «Das geht aber nur, wenn Individuen anhand ihres Fells oder anderer äusserer Merkmale unterschieden werden können», macht Kurt Bollmann klar. Beim Reh sei dies nicht möglich. «Entsprechend gelten die Schätzungen zu Rehbeständen als relativ fehlerbehaftet und werden in Expertengruppen als Minimalbestände angesehen.» Die Dunkelziffer nach oben könne gross sein.

Weibliche Rehe leben nicht territorial, im Gegensatz zu den Männchen. Ihre Aktionsgebiete sind variabel und sie leben versteckt, was eine Zählung schwieriger macht. «Bei solchen Arten sind Abschusszahlen die besseren Trendindikatoren als die Schätzungen.» Die Jagdplanung werde aber anhand der Frühjahreszählungen, beziehungsweise von Schätzungen, gemacht, ausser bei gewissen Niederwildarten, wie dem Schneehasen oder dem Fuchs, wo solche Schätzungen nicht vorlägen. Es treffe nicht zu, dass jagdbare Arten anhand der erlegten Tiere gezählt würden.

Kontinuierlich und artspezifisch

Stefan Bachmann von der Vogelschutzorganisation BirdLife Schweiz erklärt, dass sich um die wissenschaftliche Erhebung der Brutvogelbestände die Schweizerische Vogelwarte Sempach kümmere. Die Überwachung bestehe seit Jahrzehnten und werde jedes Jahr nach dem gleichen System erhoben. «Für die häufigen Arten sind das hunderte Kilometerquadrate, die dreimal pro Jahr immer gleich abgelaufen werden.» Danach würden die Reviere automatisiert über Computer ausgeschieden. «Mit diesem System findet man rund 80 Prozent der Brutpaare», betont Bachmann. Er erwähnt den Waldkauz als Beispiel für spezielle Arten, wo es weitere Zählungsmöglichkeiten gebe. Auch Stefan Bachmann räumt ein, dass es je nach Art Unschärfen geben könne. «Daher ist auch immer ein Range angegeben, zum Beispiel zwischen 200 000 und 300 000 Brutpaaren.» Da die Methode aber jedes Jahr genau dieselbe sei, könne man Abnahmen und Zunahmen sehr zuverlässig sehen. Auch BirdLife erhebt Bestandeszahlen, etwa im Rahmen von Vogelschutzprojekten. So würden etwa beim Steinkauz alle Nisthilfen besucht und kontrolliert, ob Vögel ein- und ausflögen. Bei Braunkehlchen und Kiebitz zähle man die Nester. «Dadurch sind Doppelzählungen nicht möglich», fügt Stefan Bachmann an.

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Die Ergebnisse des Laienprojekts «Stunde der Gartenvögel», welches beispielsweise vom 7. bis 11. Mai stattfand, seien nicht für wissenschaftliche Zwecke verwendbar. Dort werden häufige Vögel durch Laien gezählt. Dennoch gäben aber die Ergebnisse Hinweise auf Zu- und Abnahmen, räumt Bachmann ein und sagt: «Im Allgemeinen korrelieren sie schön mit den Zahlen der Vogelwarte. Dies, weil die Methode auch hier jedes Jahr dieselbe ist.» Die Fehlerquote sei aber relativ hoch, auch bezüglich Fehlbestimmungen.

Bestandeserhebungen von Tieren bestehen seit Jahrzehnten. Die Zahlen sind verlässlich, wenn es sich auch nicht um exakte Angaben handelt. Dank langjähriger Ermittlung können Trends festgestellt und Schutzbemühungen eingeleitet werden. Mehr als 90 Prozent der bekannten Tier-arten sind Insekten und andere Wirbellose. «Dazu werden keine systematischen Bestandeszahlen erhoben», sagt Kurt Bollmann.