Wie sind Sie mit Tansania verbunden, Frau Dr. Seifert? Sie leiten Ende November eine Reise unter dem Motto «Tansanias Vogelwelt».

Ich habe vor vielen Jahren von einem Kollegen die Reiseleitung für Tansania übernommen. Das Land hat mich völlig in Bann gezogen, sodass ich seither viele verschiedene Male hingereist bin.

Was beeindruckt Sie an Tansania?

Eigentlich alles. Die Menschen, das Suaheli, das sie sprechen, die Natur, das alles fasziniert mich total. Es ist eine Kombination. In Tansania kann man so richtig in die Natur eintauchen. Das ist sehr berührend.

Worauf werden Sie auf dieser Reise besonders achten?

Der rote Faden sind die Vögel. Aber wir schauen natürlich alles an. Wir wollen nicht von einem Vogel zum nächsten eilen, sondern werden uns Zeit zum Beobachten nehmen. Fauna und Flora stehen im Mittelpunkt. Wer sich Zeit nimmt, sieht unwillkürlich eine grosse Anzahl an Arten. Mit dem Motto «sinnvoll reisen» wird man der Natur am meisten gerecht.

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Welche Arten sind denn besonders ikonisch für Nord-Tansania?

Es ist immer sehr schön, einen Sekretär oder Kronenkraniche in der Savanne zu sehen. Ich mag beispielsweise auch den Flammenkopfbartvogel gerne. Der bunte Gefiederte brütet in Termitenhügeln, hat einen starken Schnabel, und ich finde sein Verhalten keck. Dreifarbenglanzstare sind allgemein besonders beliebt. Sie sind allgegenwärtig, hüpfen auch bei Pausen um die Gruppe, während ihr Gefieder herrlich in der äquatorialen Sonne schillert. Sehr spannend sind seltene Adlerarten, die über den Weiten kreisen. Am Wasser, beispielsweise am Manyara-See, ist es besonders faszinierend, denn da tummeln sich für uns ausser-gewöhnliche Tiere wie Marabus, Pelikane, Glockenreiher und Sattelstorch. Und in den Baumkronen fliegen und hüpfen die grossen Silberwangen-Hornvögel.

Ist die Vogelwelt in Nord-Tansania artenreich?

Ja, sehr, auch wegen Zugvögeln, die den Winter in der Savanne verbringen. Nach einem gefahrvollen Flug über das Mittelmeer und die Sahara finden sie Nahrung. Es ist schön, in Afrika auf Bekannte zu treffen.

An welche Zugvögel denken Sie?

Beispielsweise an Rötelfalken und Lachseeschwalben, die in Steppengebieten nach Insekten jagen. Die Lachseeschwalbe ist eigentlich ans Wasser gebunden, doch sie findet in Nord-Tansania in der Savanne ihr Futter. Auch Blauracken ziehen von Europa nach Afrika. Sie thronen dann abwechselnd mit Gabelracken auf Sitzwarten. Auch innerhalb von Afrika ziehen Vögel. So beispielsweise die Abdimstörche. Manchmal suchen hundert dieser schwarz-weiss befiederten Störche nach Insekten.

Was trägt sonst noch zum Artenreichtum bei?

Die verschiedenen Vegetationszonen liegen in Nord-Tansania recht nahe beisammen. Bei Arusha befinden sich Feuchtgebieten, Montanwälder erstrecken sich an den Hängen erloschener Vulkane, Trocken- und Savannengebiete dominieren den Tarangire-Nationalpark und die Serengeti, am Kraterrand des Ngorongorogedeihen dichte Bergwälder und beim Lake Manyara leben ans Wasser gebundene Arten. Die Savannen und Steppen sind sehr reich an Insekten, das lockt zudem viele Vogelarten an.

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Ostafrika ist auch für seine Seen mit den unzähligen Flamingos bekannt. Was zieht die rosafarbenen Vögel so an?

Bei Arusha in Tansania befinden sich beispielsweise die Momella-Seen. Dort halten sich Tausende von Rosa- und Zwergflamingos auf. Das Besondere ist, dass etliche dieser Seen aus alkalischem Wasser bestehen, eigentlich eine lebensfeindliche Umgebung. Doch in diesem Wasser gedeihen Salinenkrebschen. Davon ernähren sich die Flamingos.

Leben in Nord-Tansania auch Papageien?

Agaporniden oder Unzertrennliche sind die häufigsten. Im Tarangire-Nationalpark können oft Schwarzköpfchen beobachtet werden, in der Serengeti sind es die Pfirsichköpfchen, die als farbige Punkte in den Akazien sitzen. Weniger häufig sind die Rotbauchpapageien.

«Die Menschen, das Suaheli und die Natur faszinieren mich total»

Manuela Seifert,  Biologin und Reiseleiterin

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Was sind Ihre persönlichen Höhepunkte der Vogelbeobachtung in Tansania?

Ich interessiere mich sehr für Flughuhnarten und Triele. Ich finde es spannend, sie in Nord-Tansania relativ einfach beobachten zu können, wohingegen sie in Europa sehr schwierig zu finden sind.

In Nord-Tansania befindet sich auch der legendäre Ngorongoro-Krater. Was zeichnet ihn aus?

Es handelt sich um einen längst erloschenen Vulkan, in dessen riesigem Krater sich eine enorme Artenvielfalt an Tieren tummelt. Herausragend dabei ist das sehr bedrohte Spitzmaulnashorn. Der Krater ist wie ein Freilandzoo mit Herden von Zebras, Gnus, Kuhantilopen, Elefanten, Flusspferden, Grant- und Thomsongazellen sowie zahlreichen Raubtierarten wie Löwen, Leoparden und Geparden. Die Tiere sind über den Kraterrand eingewandert. In der Regenzeit im Winter verwandelt sich der staubige Krater in eine grüne Oase.

Wer beim Ngorongoro weiterfährt, gelangt zum Rift Valley, wo sich die Wiege der Menschheit befindet.

Genau, Olduvai. Man schaut dort in die Schlucht des Rift Valley, und die Menschheitsgeschichte liegt vor einem. Durch Ablagerungen von Lavaasche entstanden verschiedene Schichten, die sehr gut ersichtlich sind. Ein Museum zeigt die Entwicklungsstufen des Menschen, die in Nord-Tansania ihren Anfang nahmen.

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Ist die Vogelwelt Nord-Tansanias noch intakt?

So wie ich sie erlebt habe, ja. Es hat schon viele Touristen, aber dadurch erhält die Natur auch Chancen, weil der Tourismus der Bevölkerung vor Ort Einnahmen verschafft und sie darum ein Interesse am Erhalt der Tierwelt hat. Was Touristen an Eintrittsgebühren für Nationalparks zu entrichten haben, ist hoch. Das ist gut geregelt, denn die Gelder kommen den Nationalparks zugute. Die Tiere haben sich an die vielen Besucher gewöhnt. Auch Vögel lassen sich nicht gross stören. Schon mehrfach war eine Schnellstrasse durch die Serengeti geplant. Das wurde immer wieder gestoppt, sodass die holprige Piste bestehen blieb. Autos rasen zwar auch da, aber nicht so schnell, sodass durch-ziehende Säugetiere eher eine Chance haben, die Strasse zu überqueren.

Was macht den Unterschied zwischen Tansania und der Schweiz im Vogelschutz?

Wir haben mehr lokale Naturschutzgruppen, die Druck machen, damit Gebiete und Arten geschützt werden. Tansania hat dafür weitläufige Landschaften, oft auch mit grossen Landstrichen, die nicht bebaut werden. Das fehlt uns, und gerade das ist eine grosse Chance für die Vogelwelt. Wenn Menschen nicht in alle Gebiete vordringen, können sich Vogelarten besser entfalten.

Stehen die Naturschutzgebiete unter Druck?

Ja. China ist allgemein punkto Infrastruktur in Afrika aktiv. Zudem ist der Druck durch Wilderer gross. Ein Beispiel dafür sind abnehmende Zahlen bei den Geierbeständen. Über Aas kreisende Geier machen schnell auf gewildertes Wild aufmerksam. Wilderer vergiften darum die Kadaver, damit die Geier zugrunde gehen und sie nicht verraten. Kadaver werden auch durch Bauern vergiftet, um Raubtiere zu töten, die ihren Rinderherden nachstellen. Leidtragende sind dann auch die Geier, die vom Kadaver fressen.

Welchen Feldführer empfehlen Sie, um sich ein Bild über die Vogelarten Tansanias zu machen?

Ich verwende das Werk «Birds of East Africa». Zudem habe ich auch eine App dieses nützlichen «Helm Field Guide». Ich nehme auf meiner Reise beides mit, denn in das Buch habe ich mir die deutschen Namen der Vögel geschrieben.

Lassen Sie auf Safari die gesehenen Arten jeweils abends Revue passieren?

Ja, abends erfolgen immer Artenbesprechungen zu den gesehenen Tierarten. Zudem verteile ich auch Artenlisten.

Welche Bedeutung hat die Vogelwelt für Tansanierinnen und Tansanier? Gibt es auch Vogelbeobachter?

Ja, die gibt es. Viele leben sogar davon, da sie eine Anstellung als Vogelführer oder als Driver-Guide gefunden haben. Etliche sind besonders gut ausgebildet punkto Vögel. Führer in Tansania sind sehr kenntnisreich und haben ein grosses Wissen zur Natur.

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Vögel in der Savanne Ostafrikas scheinen weniger scheu als bei uns. Woran liegt das?

Weil man meist aus dem Auto heraus beobachtet. Im Auto wird ein Mensch nicht als Gefahr wahrgenommen. Sobald man aussteigt, fliegen die Vögel davon. Ausser etwa Webervögel, die sich an Menschen gewöhnt sind, so wie der Dorfweber. Darum ist Beobachten und Fotografieren aus dem Auto heraus gut möglich.