Fokus
Wie haust die Maus?
In der Wissenschaft werden Hausmäuse primär für die medizinische Forschung untersucht. Professorin Anna Lindholm studiert die flinken Tiere jedoch in einem Stall nahe Zürich – ganz in ihrer natürlichen Umgebung.
Es wuselt in dem Stall an einem Waldrand nahe Zürich. Der Boden, auf dem Prof. Anna Lindholm steht, ist mit Sägespänen und Körnern bedeckt. Und mit Mäusekot. Denn das von der Universität Zürich angemietete Gebäude ist ein wahres Paradies für die Nager. Die Mäuseinvasion ist gewollt. Anna Lindholm erforscht hier mit ihrer Arbeitsgruppe seit 2006 das Verhalten der kleinen Tiere. Dabei unterscheidet sich der Stall wesentlich von den sonstigen Einrichtungen, in denen Mäuse traditionell untersucht werden: Im Gegensatz zum Labor können die Tiere hier kommen und gehen, wie sie wollen, und finden eine Umgebung vor, die ihrem natürlichen Lebensraum entspricht. «Hausmäuse fühlen sich dort besonders wohl, wo es Nahrung im Überfluss gibt», erklärt die Lindholm, füllt einen Teller grosszügig mit Körnern und stellt ihn neben eines der zahlreichen Mäuseverstecke auf den Boden. Ab und zu sieht man eine winzige Nase oder einen Schwanz aus einer der Röhren und Häuschen herausschauen. Die Nager fühlen sich in der Scheune sichtlich wohl und auch die Anwesenheit der Wissenschaftlerin scheint sie nicht zu stören.
Mäusearten der Schweiz
Die Hausmaus (Mus musculus) ist eine der 15 Mäusearten der Schweiz. Zu den Mäuseartigen gehören nebst den Wühlern wie der Feld- und Rötelmaus auch die sogenannten Langschwanzmäuse, darunter die Wanderratte, die Waldmaus und eben die Hausmaus. Langschwanzmäuse erkennt man nebst dem namensgebenden langen Schwanz an den relativ grossen Ohren und den kugelig hervorstehenden Augen. In der Forschung kennt man Hausmäuse vor allem in ihrer domestizierten Form, den Farbmäusen. Sie werden in unterschiedlichen Zuchtlinien besonders häufig in der biomedizinischen Forschung eingesetzt. Hier stehen vor allem die Untersuchung und Heilung von menschlichen Krankheiten im Zentrum, doch die Labortiere unterscheiden sich nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in ihrem Verhalten wesentlich von ihren wilden Artgenossen.
Von Menschen und Mäusen
Wilde Hausmäuse zu erforschen, ist darum so wichtig, weil sie in vielen Teilen der Erde als Plage angesehen werden, erklärt Anna Lindholm. Über die Handelsrouten gelangte die ursprünglich vermutlich aus Indien stammende Hausmaus ähnlich wie die Wanderratte einst auf alle anderen Kontinente. Sie macht es sich besonders dort gemütlich, wo Lebensmittel in grossen Mengen gelagert werden. Was die Art des Futters betrifft, sind die kleinen Tiere nicht wählerisch. «Hausmäuse sind ausgesprochene Allesfresser», so Lindholm. Am liebsten mögen sie jedoch Getreide. Nebst dem Schaden, den sie durch ihre Gefrässigkeit anrichten, geht das Hauptrisiko von der Verunreinigung der Lebensmittel durch den Urin und Kot der Tiere aus. «Hausmäuse können für den Menschen gefährliche Krankheiten übertragen, wie Toxoplasmose, die Hasenpest oder das Hanta-Virus», erklärt die Wissenschaftlerin. Entsprechend ist es von grossem Interesse, das Verhalten und die Art der Vermehrung der Nagetiere zu kennen, insbesondere ausserhalb einer künstlichen Laborumgebung.
Hälfte der Mäuseweibchen ohne Nachkommen
Dass die Mäuse sich im Stall bei Zürich frei bewegen und natürlich verhalten können, ist daher das Ziel des Forschungsprojekts von Anna Lindholm. So kann sie unter anderem untersuchen, ob Weibchen ihre Jungen alleine aufziehen oder die mütterlichen Pflichten mit einer Artgenossin teilen. «Im Labor ziehen die meisten Mäuse ihre Jungen gerne mit einer Schwester gross. Die Jungtiere beider Weibchen liegen dann im selben Nest und werden von beiden Müttern versorgt», erzählt Lindholm. Umso überraschter war sie, als sie beobachtete, dass die Mäuse im Stall ihrer Mutterrolle lieber im Alleingang nachgehen. «Mäuse können nicht unterscheiden, welches ihre Jungen sind und welches die von fremden Tieren», so Lindholm. So scheint es für die Weibchen einfacher zu sein, ihr Nest gegen andere Weibchen zu verteidigen, um ihre wertvolle Milch nicht an Jungtiere zu verschwenden, die gar nicht von ihnen sind. Allerdings hat dieses Verhalten einen Preis, so die Wissenschaftlerin. «Durch genetische Analysen haben wir festgestellt, dass die Hälfte der Mäuseweibchen sich ihr Leben lang nie fortpflanzen.» Zu gross sei die Konkurrenz um geeignete Nistplätze und umso heftiger werden diese verteidigt. Entsprechend schaffen es nur die bestsituierten Weibchen, Jungtiere zu haben. Wer schwächer ist, der muss sich entweder mit einer Artgenossin zusammentun oder bleibt ein Mäuseleben lang ohne Nachkommen.
Sozialleben der Hausmäuse
Um ihren Forschungsfragen auf den Grund zu gehen, scheut die Arbeitsgruppe um Anna Lindholm keinen Aufwand. Da Mäuse sich bis auf die kalten Wintermonate das ganze Jahr hindurch vermehren und Weibchen mehrmals im Jahr Jungtiere haben können, müssen die Wissenschaftler alle zwei Wochen jede Ecke des Stalls nach Mäusenachwuchs absuchen. «Wir nehmen dann von allen Tieren kleine Hautproben, dank denen wir genetisch feststellen können, wer der Vater und wer die Mutter ist», so Lindholm. Ältere Mäuse werden zudem mit einem kleinen Chip versehen, der unter die Haut implantiert wird. Mittels Leseantennen, die in den zahlreichen Verstecken im Stall angebracht sind, wissen die Wissenschaftler dann immer, wer wann wo ein und aus geht. Die Daten werden automatisch an einen Computer und von dort auf den Uni-Server übertragen, wo sie nur darauf warten, von den Forscherinnen analysiert zu werden. «Wir wissen dadurch, welche Individuen miteinander interagieren und welche sich lieber aus dem Weg gehen», erklärt Lindholm. So entstehen richtiggehende Netzwerke, die Aufschluss über das Sozialleben der Hausmäuse geben.
Alles für die Katz
Selbst Rückschläge können die Zürcher Forschungsgruppe nicht aufhalten. «Unser grösster Feind und der aller Mäuse sind die Katzen», so Anna Lindholm. Obwohl sie versucht, den Stall so katzensicher wie möglich zu machen, gelangte doch einmal eine der geschickten Jägerinnen in das Gebäude und richtete unter den ahnungslosen Mäusen ein wahres Blutbad an. «Innerhalb einer einzigen Nacht tötete die Katze 116 der Hausmäuse im Stall», beklagt Lindholm den Verlust.
Katze statt Gift
Sich eine Katze anzuschaffen, ist somit auch der Rat, den die Wissenschaftlerin jenen gibt, die unter einer Mäuseplage leiden. Denn den kleinen Nagern mit Gift beikommen zu wollen, ist zwar effizient, aber einerseits grausam und mit vielen Risiken für andere Tiere und die Umwelt verbunden. Schlagfallen sind ebenso nur bei einzelnen Mäusen sinnvoll, jedoch dauern die Qualen der darin gefangenen Tiere oft stundenlang, da die meisten Mäuse durch die Falle nicht sofort getötet werden. «Manchmal bekomme ich auch die Frage gestellt, ob man Mäuse nicht mit einer Lebendfalle einfangen und in der Natur aussetzen könne», erzählt Lindholm. Die ausgesetzten Tiere würden jedoch entweder wieder zurückkehren oder schnell einem der zahlreichen Beutegreifer zum Opfer fallen. «Letzteres hätte dann wenigstens noch einen Nutzen für die Natur», so Lindholm. Für die Maus ist das Resultat jedoch dasselbe wie bei allen anderen Methoden, nämlich tödlich.
Mäusesicher
Wer Mäuse im Haus hat, dem rät Lindholm, die Ursache dafür ausfindig zu machen. «Meistens betrifft es alte Gebäude mit vielen Schlupflöchern, durch die die Mäuse eindringen können», erklärt die Wissenschaftlerin. Diese gilt es zu finden und so zu verschliessen, dass die kleinen Nager nicht mehr hindurchschlüpfen können. Keine leichte Aufgabe. Zudem dürfen Lebensmittel nicht offen herumliegen, und auch der Kompost im Garten muss möglichst mäusesicher sein, um die Nager nicht in die Nähe des Hauses zu locken. Am Schluss hilft die Anwesenheit einer Katze am besten, denn die hält die Mäuse in Schach, bevor sie zum Problem werden. «Einzelne Mäuse im Garten sind aber definitiv harmlos», beruhigt Anna Lindholm. Nur wer mit dem Urin und dem Kot in Kontakt kommt oder eine Maus ohne Handschuhe anfasst, läuft Gefahr, sich mit einem Erreger anzustecken. Und das kommt zum Glück äusserst selten vor.
Reproduktion im AkkordHausmäuse setzen bei den Nachkommen auf Masse. Unter optimalen Bedingungen kann ein einziges Weibchen bis zu achtmal im Jahr Junge bekommen. Die Wurfgrösse variiert dabei zwischen drei und acht Jungen, die nackt, blind und taub zur Welt kommen. Bereits nach zehn Tagen sind die Jungen mit einem dunklen Flaum überzogen, nach zwei Wochen öffnen sie ihre Augen und nach drei Wochen sind die kleinen Mäuse selbstständig. Im Alter von sechs Wochen sind Weibchen geschlechtsreif und können trächtig werden. Innerhalb weniger Monate kann so aus ein paar wenigen Mäusen eine Population von hundert Tieren entstehen. Allerdings überleben nur die wenigsten Jungtiere, denn Mäuse stehen auf der Nahrungsliste von Katzen, Eulen, Greifvögeln, Wieseln, Mardern, Füchsen und Schlangen ganz oben.
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