Ruhelos im Blütenrausch
Das Leben der farbenprächtigen Kolibris
Kolibris sind stetig in Bewegung. Um Nahrung zu suchen, schwirren sie vor Blüten und nehmen mit ihrem spitzen Schnabel Nektar auf. Sie flitzen aber auch über Meere und erstarren bei Kälte. Eine erstaunliche Vogelfamilie.
Summen und Schwirren an einem Tropenabend in Brasilien. Eine Glitzerkehlamazilie fliegt ruckartig heran, steht in der Luft. Die Flügel schlagen dabei so schnell, dass sie unsichtbar werden. Schon ist der Kolibri bei der Trinkflasche, steckt seinen Schnabel in eine der schmalen Öffnungen. Auch eine Blaukronennymphe und ein grosser Schwarzkolibri brummen um das hängende Gefäss. Der Kolibri hat es eilig: Er muss alle 10 bis 20 Minuten Nahrung zu sich nehmen, denn sein kleiner Körper verbrennt im Flug sehr viel Energie.
Fliegende Juwelen im Zuckerhimmel
Deshalb ist die Zuckerwasserlösung heiss begehrt. Beim Eingang des Hauses am Hang im atlantischen Küstenwald nahe dem Dorf Juquitiba hängt eine weitere Flasche. Doch sie findet keine Beachtung. Bill Wittkoff lacht und sagt: «Ich habe da wohl wieder beim Zucker gespart.» Er verfüttere bis zu vier Kilo pro Woche. Wittkoff stammt aus den USA. Er lebt seit Jahrzehnten ausserhalb São Paulos auf einem Gut mit viel Umschwung und freut sich an den farbigen, fliegenden Juwelen, die um sein Haus schwirren.
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Normalerweise finden Kolibris ihre Nahrung nicht in Trinkbehältern, sondern in verschiedenen Blüten mitten im Regenwald Mittel- und Südamerikas. Sie haben es auf den Nektar abgesehen. Dank dieser energiereichen Nahrung ist der kraftraubende Flugstil möglich. 40 bis 50 Flügelschläge pro Sekunde sind normal bei Kolibris, ihr Herz schlägt 400- bis 500-mal pro Minute. Dass die Kolibris die Trinkflasche mit hohem Zuckergehalt bevorzugen, kommt nicht von ungefähr. Sie besuchen auch nur diejenigen Blüten, die reichlich Nektar liefern. Eine typische Kolibriblume produziert täglich einen Tropfen Nektar. Blüten, die von Insekten bestäubt werden, bilden nur einen Hundertstel dieser Nektarmenge.
Als wären sie tot
Verschiedene Blütenpflanzen haben sich im Lauf der Entwicklungsgeschichte an die unterschiedlichen Kolibriarten angepasst. Mit gutem Grund: Die fliegenden Juwelen bestäuben die Blüten, sie sind für den Arterhalt der Pflanze unentbehrlich. Solche Pflanzen werden als ornithophil bezeichnet.
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Blüten, die durch Kolibris besucht werden, sind meist lang und röhrenförmig. Insekten finden so keine Landeplattform vor, Kolibris aber schwirren davor und holen den Nektar mit ihrem pinzettenartigen Schnabel. Die verschiedenen Schnabelformen der Kolibris weisen auf die hohe Spezialisierung der schillernden Edelsteine hin. So holt der Schwertschnabelkolibri mit dem längsten Schnabel aller Artgenossen den Nektar gezielt aus den Blüten von Fuchsien und Engelstrompeten. Auch viele Vertreter der Gesneriengewächse werden ausschliesslich durch Kolibris bestäubt. Im Botanischen Garten Basel beispielsweise blühen diese Pflanzen in einem ans Tropenhaus angrenzenden Gewächshaus, das die Pflanzenwelt von Bergregenwäldern zeigt. Dort ist es kühl wie in den höheren Lagen entlang der Anden. Denn Kolibris kommen nicht nur in feucht-warmen Gefilden, sondern auch im harschen Klima der Bergregenwälder vor. Dort kann die Temperatur nachts auch mal gegen die Nullgradgrenze sinken. Kein Problem für die Kolibris. Sie erstarren, als wären sie tot. Kolibris gehören zu den wenigen Vogelarten, die über die erstaunliche Fähigkeit verfügen, die Körpertemperatur von 42 °C um ca. 30 °C herabzusetzen, ohne dabei ihren Organismus zu schädigen. Dank dieser Fähigkeit der Starre, die Torpidität genannt wird, gelingt es ihnen, in Notsituationen zu überleben.
Solche Ereignisse von plötzlicher Kälte können nicht nur in den Anden eintreffen, wenn sich antarktische Tiefs weit nach Norden verschieben. Auch in New York wurden schon bei plötzlichen Kälteeinbrüchen «tote» Kolibris im Bronx-Zoo abgegeben, die, einmal an der Wärme, sofort wieder zu schwirren begannen.
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Kolibris in New York? Das kommt vor, denn manche Arten ziehen. Sie fliegen etwa 1000 Kilometer nonstop über den Golf von Mexiko und weiter nördlich, wie der Rubinkehlkolibri. Woher nimmt der Winzling die Energie? Vor dem langen Flug ist er in der Lage, sich einen grossen Reiseproviant in Form von Fett zuzulegen. Er beträgt mehr als die Hälfte seines Körpergewichts. Auf der Westseite der USA zieht der Fuchskolibri im Sommer von Mexiko und dem Westen der USA bis nach Alaska.
Kolibris wieder im Basler Zoo
Kolibris sind zutraulich und schwirren nahe um Menschen herum, vielleicht aus Neugierde oder in der Hoffnung auf Zuckerwasserlösung. Sie begeistern seit jeher, Zoos wollten sie darum gerne ihren Besuchern zeigen. Einer der ersten, der Kolibris fing und an Ersatznahrung gewöhnte, war der Schweizer Tierfänger Charles Cordier (1897–1994). Er fing in der Moyave-Wüste in Kalifornien (USA) Fuchskolibris, seine Frau brachte die kostbare Fracht per Bahn nach New York und erweckte Argwohn. Aus ihrem Abteil drang ein Summen, das anderen Passagieren als suspekt erschien. Wenn Kolibris fliegen, klingt es wie ein Summen. Das erklärt die englische Bezeichnung «hummingbird» – humming heisst summen. So waren Kolibris in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Sensation in Zoos. Bis in die Achtzigerjahre schwirrten sie auch im Vogelhaus des Basler Zoos. Ihre Zucht gelang nie in grossem Stil. Da keine wild gefangenen Vögel mehr importiert wurden, verschwanden sie nach und nach aus den Haltungen.
Neu können im Basler Zoo wieder Kolibris beobachtet werden. An das sanierte Vogelhaus wurde die Halle «Juwelen der Lüfte» angebaut. Dort lebt seit Ende August eine Rostbauchamazilie, eine Vertreterin der Kolibris der Küstengebiete Perus und Ecuadors. Der Basler Zoo hat vier dieser Kolibris aus Italien vom Centro Colibrì eingeführt. Die Istituzione Scientifica Centro Colibrì Margherita Hack in der Provinz Udine gibt Kolibri-Nachzuchten nur an hoch spezialisierte Einrichtungen ab. Hinter den Kulissen hat der Basler Zoo Zuchtvolieren für die heiklen Vögel eingerichtet. «Derzeit fliegt ein Männchen in der Freiflughalle, ein weiteres Männchen und zwei Weibchen halten wir in der Zuchtanlage», sagt Jess Borer, Vogelkuratorin des Zoos. Kolibris sind aggressiv gegeneinander. Das sei aber ein normales Verhalten, denn in der Natur verteidigten sie Blüten, da sie stets auf Nahrungsaufnahme angewiesen seien. Deshalb hat der Basler Zoo verschiedene Zuchtabteile gebaut, wo die Tiere einzeln untergebracht und im richtigen Moment zueinander gelassen werden können. Das Summen und Schwirren im Basler Zoo ertönt wieder.
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Ähnlich, aber kein Kolibri
Kolibris sind Vögel Nord-, Mittel- und Südamerikas mit mehr als 100 Gattungen in etwa 371 Arten. Wer in der Schweiz das Gefühl hat, an einem heissen Sommerabend einen Kolibri zu sehen, der beispielsweise die Blüte eines Geissblatts besucht, beobachtet das Taubenschwänzchen. Körper und Trinkverhalten dieses Insekts sind den Kolibris ähnlich. Sie saugen mit ihren Rüsseln den Nektar aus den Blüten. In Afrika und Asien leben die den Kolibris ähnlichen Nektarvögel. Ihr Gefieder ist ebenso bunt, die Schnäbel sind auch dünn, aber sichelartig. Auch Nektarvögel ernähren sich von Blütennektar, sind aber weniger spezialisiert als die Kolibris. Sie gehören nicht zu den Kolibris.
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