Neu und doch nicht unbekannt. So manche technischen Innovationen kommen uns oft vertraut vor, gerade so, als hätten wir etwas Ähnliches schon einmal gesehen. Und tatsächlich bedienen sich Wissenschaftler und Ingenieurinnen häufig Vorbildern aus der Natur, um Abläufe zu verbessern, neue Verfahren zu etablieren und das Leben allgemein zu erleichtern. Bionik, ein Wort, abgeleitet aus den Begriffen «Biologie» und «Technik», wird das Übertragen von Beobachtungen aus der Natur auf andere Bereiche genannt. Schon Leonardo da Vinci hatte die Idee, eine Flugmaschine zu bauen, und studierte dazu ganz genau den Flug von Vögeln. Bis zum tatsächlichen Flugzeug, wie wir es heute kennen, war es allerdings noch ein langer Weg. Trotzdem setzen Erkenntnisse aus der Biologie oft einen Grundstein für Entwicklungen in der Industrie, Medizin und Gesellschaft mit neuen Anwendungsmöglichkeiten und Erfindungen. Denn während die Evolution über viele Generationen hinweg Zeit hat, Dinge, die nicht funktionieren, auszusortieren, und bewährte Prinzipien sich somit in der Natur durchsetzen, so ist die Technik einer Schnelllebigkeit unterworfen, die rasche Innovationen nötig machen. Warum also nicht etwas von der Pflanzen- und Tierwelt kopieren?

Mehr Energie dank Nanostruktur

Als technischer Pate in der Gewinnungerneuerbarer Energie stehen die Flügel des Schmetterlings (Pachliopta aristolochiae). Auf deren extrem schwarzen Oberfläche befinden sich unregelmässig angeordnete Löcher mit variierenden Durchmessern, die Lichtstrahlen über das gesamte Spektrum und aus verschiedenen Einfallswinkeln in hohen Ratenabsorbieren. Diese Nanostruktur kann auf Solarzellen übertragen werden, so dass weniger Sonnenlicht reflektiert wird, und die Licht-Absorptionsrate und damit die Energiegewinnung um bis zu 200 Prozent erhöht ist. Reflektiertes Licht war bisher eines der grossen Probleme bei Solarzellen, da dieses ungenutzt verloren geht und das Potenzial der Sonne als erneuerbare Energiequelle schmälert.

[IMG 8][IMG 13]

Ein klettiger Verschluss

Eine der berühmtesten Schweizer Erfindungen der Neuzeit ist der Klettverschluss, der 1948 vom Wissenschaftler Georges de Mestral nach dem Vorbild der Klette (Arctium lappa) entwickelt wurde. Er übertrug dabei das Prinzip der Widerhaken, mit denen die Früchte der Pflanze an Tierfell und Stoff haften, auf einen Faserstreifen. Zusammen mit einem zweiten Streifen mit kleinen Schlaufen entstand ein Schnellverschluss, der sowohl zuverlässig haftet als auch schnell wieder zu öffnen ist. Das Produkt wurde dann 1951 zum Patentangemeldet und unter dem Namen Velcro, zusammengesetzt aus den französischen Begriffen velours («Samt») und crochet («Haken»), auf den Markt gebracht.

[IMG 4][IMG 5]

Haften wie ein Gecko

Um das Haften geht es auch bei einer Erfindung, die den Gecko zum Vorbild hat. Die Echse schafft es, sich mit Hilfe winziger Härchen an den Füssen an glatten Oberflächen festzuhalten und sogar kopfüber zu hängen. Das haben sich die Ingenieure des Autoherstellers Ford zunutze gemacht und einen Klebstoff entwickelt, mit dem sich im Fahrzeugbau unterschiedliche Materialien verbinden und später während des Recyclingprozesses wieder sortenrein trennen lassen. Voraussichtlich lässt sich so der Recyclinggrad von Fahrzeugen um zehn Prozent erhöhen, was zur Nachhaltigkeit der ansonsten als eher nicht sehr umweltfreundlichen Automobilindustrie beitragen kann.

[IMG 6][IMG 7]

Delfinhaut für Schiffe

Algen und Muscheln sind ein haftendes Ärgernis in der Schifffahrt. Die Organismen setzen sich normalerweise innert kürzester Zeit am Rumpf von ankernden Frachtern und Booten fest, welche dadurch schwerer werden und einen erhöhten Strömungswiderstand haben. Dieses Problem haben Delfine nicht. Die flinken Schwimmer verdanken dies unter anderem ihrer speziellen elastischen Haut mit der darunterliegenden Fettschicht. Mitarbeitende des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen haben darauf basierend eine Oberflächenbeschichtung für Schiffe entwickelt, die sowohl den Strömungswiderstand im Wasser verringert als auch Organismen davon abhält, den Rumpf zu besiedeln.

Schutzkleidung wie ein Panzer

Beeindruckende Eigenschaften besitzt auch der Panzer des bunten tropischen Fangschreckkrebses (Odontodactylus scyllarus). Das Schalentier ist mit zwei Scheren ausgestattet, welche es bei der Jagd auf nicht weniger wehrhafte Beutetiere und bei Kämpfen mit anderen Krebsen einsetzt. Die Panzerung ist dabei enormen Belastungen ausgesetzt, was den Wissenschaftler James Weaver so beeindruckte, dass er ihm seine intensive Forschung widmete. Sein detaillierter Bericht über die chemischen und physischen Eigenschaften der Krebsscheren im renommierten Wissenschaftsmagazin «Science» inspirierte Materialforscher bei der Entwicklung neuartiger Schichten in Schutzkleidung und Panzerungen, welche dadurch hart und ausdauernd, aber auch gleichzeitig vor Rissen und Brüchen geschützt sind.

Ein Hörnchen mit Wingsuit

Weich und flexibel ist hingegen die Flughaut zwischen den Vorder- und Hinterbeinen von Gleithörnchen. Mithilfe dieser Haut können die possierlichen Tiere von Baum zu Baum gleiten und damit Strecken von bis zu 50 Metern überwinden. Der Traum vom Fliegen ist ein alter Menschheitstraum, den sich Basejumper und Fallschirmspringer nach Gleithörnchenvorbild ganz ohne Maschinen und Motoren erfüllen. Analog zur Flughaut der tierischen Verwandten besitzt ein Flügelanzug (Wingsuit) Flächen aus Stoff, die sich zwischen den Armen und Beinen des Tragenden aufspannen und von Luft umströmt nach dem Absprung aus grossen Höhen den Fall abbremsen und eine Art Gleiten erlaubt. Dem Berner Base-Jumper Remo Läng gelang es 2012, mit einem solchen Wingsuit nach dem Absprung aus einem Flugzeug aus 8500 Metern Höhe über Verbier im Wallis ins 26 Kilometer entfernte Aosta in Italien zu fliegen.

[IMG 10][IMG 11]

Windturbine mit Flügelschlag

Während Gleithörnchen nur ihre Arme und Beine ausstrecken müssen, um zu gleiten, verwenden andere Tiere viel Energie auf das aktive Fliegen. Kolibris gelten als besonders erstaunliche Flugkünstler, die es sogar schaffen, in der Luft auf der Stelle zu stehen, um Nektar zu trinken. Dies erreichen sie durch bis zu 50 Flügelschläge pro Sekunde, während denen die Flügelspitzen sich in der Form einer liegenden Acht bewegen. Die Firma Tyer Wind in Tunesien konstruierte nach diesem Vorbild zweiflüglige Windturbinen, die sich im Wind genauso effizient bewegen wie Kolibriflügel. Aktuell wird die Energieausbeute an einem Prototyp erforscht. Schon jetzt ist bekannt, dass diese neue Form von Windkraftanlagen im Gegensatz zu herkömmlichen Windrädern nicht nur Platz spart, sondern auch weniger Lärm entwickelt und den Vogelschlag minimiert.

[IMG 9][IMG 12]

LEDs nach Glühwürmchenart

Die namensgebende Eigenschaft fasziniert Forschende beim Leuchtkäfer. Die auch als Glühwürmchen bekannten Insekten erzeugen im Körper auf einer speziellen Schicht durch eine chemische Reaktion Energie in Form von Licht und Wärme. Durch einen rauen, durchlässigen Bereich im Panzer am Hinterleib des Käfers wird das Licht nach aussen abgegeben und im Innern von einer zusätzlichen weissen Schicht reflektiert. Dieser dreischichtige Aufbau interessiert auch die Hersteller von Leuchtdioden (LEDs), die durch das Nachahmen des Prinzips mithilfe organischer Halbleiter-Materialien um bis zu 60 Prozent hellere, sogenannte OLEDs produziert haben, welche in Bildschirmen von Smartphones, Tablets und Flachbildfernsehern Anwendung finden.

[IMG 2][IMG 3]