Die Tiere an der Krippe
Tiere kommen häufig in der Bibel vor, in der Kirche sind sie kaum ein Thema
Tiere kommen in der Kirche nicht vor. Für den Emmentaler Pfarrer Stefan Schwarz ein Skandal. Schliesslich gehören Ochs und Esel zur Weihnachtskrippe wie das Christkind. Gründe, warum Tiere im Christentum trotzdem nur eine Nebenrolle spielen.
Tiere im Gottesdienst? Bei Pfarrer Schwarz kommt das schon mal vor. In diesem Sommer hielt der Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Rüegsau in Rüegsauschachen BE einen Gottesdienst für Leute mit ihren Hunden. Er sagt: «Es erstaunt mich, dass das Kleine, was ich veranstaltete, schliesslich derart hohe Wellen schlug.» Er habe seither zahlreiche Medienanfragen erhalten. Dabei ist dieses Thema für ihn nichts Neues. Bereits 1995 hielt er als junger Pfarrer in der Kirchgemeinde Thun-Strättligen einen Tiergottesdienst. «Eine Frau kam sogar mit ihrem zahmen Papagei», erinnert er sich. Doch damals habe das ausserhalb der Tierhalterkreise niemanden gross interessiert.
Dass Tiere in der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz ein Schattendasein fristen, ist für Stefan Schwarz ein Skandal. «Man redet immer von der Gerechtigkeit und von der Bewahrung der Schöpfung. Tiere kommen aber nicht vor.» Der Pfarrer ärgert sich, dass sich die Kirche zur Massentierhaltungsinitiative, die Ende September zur Abstimmung kam, nicht äusserte. «Ethische Fragen sind sonst immer Thema.» Offenbar würden aber die Tiere nicht als Glieder der Schöpfung angesehen. «Tiere haben keine Anwälte und sind ungeschützt», sagt Pfarrer Schwarz. Er betont: «Im zweiten Schöpfungsbericht heisst es, dass der Mensch in den Garten Eden gestellt sei, um ihn zu bebauen und zu bewahren». Das hebräische Wort für bebauen, «awad», bedeute wortwörtlich sogar «dienen». Im ersten Schöpfungsbericht stehe wohl, dass der Mensch Macht über die Tiere habe, doch es sei auch erwähnt, dass Gott die Tiere der Fürsorge des Menschen anvertraue. Die beiden Schöpfungsberichte ergänzten sich gar gegenseitig, findet Schwarz. Zudem müsse bei der Auslegung beachtet werden, dass für den alttestamentlichen Menschen die Natur bedrohlich gewesen sei.
«Ich möchte die Beziehung Mensch-Tier beleuchten.»
Pfarrer Stefan Schwarz
Mit Albert Schweitzer hat Pfarrer Schwarz einen berühmten Vorgänger. Wenn der bekannte Urwaldarzt am Ogowe in Gabun sonntags unter freiem Himmel predigte, gehörten Tiere dazu. Hühner rannten über den Hof, Hunde lagen in der Nähe, vielleicht flatterte auch der Graupapagei Kudeku auf einen Zaunpfosten, sicher strichen Kätzchen um die Beine des Arztes am Tropenwaldfluss. Albert Schweitzer war auch Theologe, Musiker, Philosoph und Ethiker. Er stellte sein Leben radikal um und begann 1913, am Ogowe in Zentralafrika, Menschen gesundzupflegen, zu operieren und zu therapieren. Doch nicht nur Menschen gehörten zu seinen Patienten, sondern auch Tiere. Der Pfarrer und Arzt, der auch als Baumeister geamtet hatte, achtete Tiere als Mitgeschöpfe. So schaute er beispielsweise, bevor er einen Pflock einschlug, vorher in das Erdloch. Manchmal sass eine Kröte darin, die er so rettete.
Vision des Friedens schliesst auch Tiere ein
Auch wenn sie die Kirche kaum thematisiert: In der Bibel sind Tiere allgegenwärtig. Sogar bei Jesu Geburt waren sie dabei. Pfarrer Schwarz präzisiert: «In der sehr bekannten Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium steht nichts von Ochs und Esel, sondern nur, dass Jesus in einem Stall geboren wurde.» Man könne aber davon ausgehen, dass dort auch Tiere zugegen waren. In der langen Tradition der Bibelauslegung würden Textstellen im Zusammenhang mit anderen gedeutet. «Da kommt der Prophet Jesaja ins Spiel, der im Alten Testament sagte, dass Ochs und Esel als kluge Wesen die Krippe ihres Herrn kennen würden», erzählt Stefan Schwarz. Er führt zu einer weiteren Dimension: «Mit dem Kommen des Messias ist die riesige Vision des Friedens auf Erden verbunden, das schliesst alles ein, also auch Mensch und Tier. Diese Texte stellen Jesu Geburt in einen weiteren Kontext!» Die Spaltung sei somit aufgehoben.
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Auch Papst Franziskus sieht das so, wenn er in seiner «Enzyklika Laudato si’» über die grosse Sorge für das gemeinsame Haus sagt: «Da alle Geschöpfe miteinander verbunden sind, muss jedes mit Liebe gewürdigt werden.» Franziskus bezieht sich mit seiner Namenswahl auf den Schutzpatron der Tiere und sendet damit ein Signal zur Ehrfurcht vor dem Mitgeschöpf. Der heilige Franz von Assisi ist ein Vorreiter des Tierschutzes und des achtsamen Umgangs mit der Kreatur. Er predigte bereits im 12. Jahrhundert den Tieren. Ganz ähnlich wie heute Pfarrer Schwarz. Der reformierte Theologe sagt: «Ich möchte die Beziehung Mensch-Tier biblisch beleuchten und in einen öffentlichen Diskurs bringen.» Da liege es auf der Hand, sich an Tierhalter zu richten. Er möchte gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen und in einen biblischen Kontext stellen. Er denke, dass sich die Hunde in der Predigt wohlgefühlt hätten wie auch ihre Besitzer. «Klar, das ist eine Projektion», räumt der Katzenhalter ein, der beide Teilnehmer auf passende Art begrüsste: Die Predigtbesucher mit einem Handschlag, die Hunde mit einem Leckerchen. Zum Segen am Ende des Gottesdienstes habe zudem jeder seinem Hund noch ein Leckerli gegeben. «So haben die Hunde gefühlt, dass sie willkommen sind.» Anders, als viele befürchtet hätten, sei es nicht zu einem Chaos gekommen. «Nach einer Begrüssungsrunde waren alle Hunde bis zum Ende des Gottesdienstes sehr friedlich und ruhig.»
Ohne Falsch und Tadel
Und wie hat sich Jesus konkret zum Tier gestellt? «Das ist sehr spannend. Christus ist Pantokrator, Herr des Kosmos über Tier und Mensch.» Pfarrer Schwarz hält weiter fest: «Es gibt keine Stelle in der Bibel, wo sich Jesus als Tierschützer zeigt.» Er habe aber in seinen Reden und Gleichnissen menschliches Leben mit Tieren und Pflanzen verglichen und sie als Beispiele dargestellt und betont, dass sich Gott auch um sie sorge. «Ich sehe darin einen Ansatz, keine Spaltung.» Im Markusevangelium finde sich der Satz: «Gehet hin in alle Welt und verkündet das Evangelium aller Kreatur.» Hier sei klar alles gemeint, was Odem habe, also Mensch und Tier. Wenn Jesus zudem sagt: «Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan», sehe er diese Aussage auch auf Tiere bezogen, stellt Stefan Schwarz klar. «Tiere sind ohne Falsch und Tadel, sie leben immer in göttlicher Gegenwart», sagt Pfarrer Schwarz. Der Mensch aber sei dem ethischen Urteil unterworfen, er könne entscheiden, mache Fehler. Warum also sollte das Himmelreich nur ihm vorbehalten sein? Wenn bei nahendem Weihnachtsfest Krippen aufgestellt werden, kann das Anlass sein, über Ochs und Esel, die Schafe der Hirten und Kamele der Könige hinauszudenken und die Heilige Schrift und die Tiere in einem weiteren Kontext zu sehen. Vielleicht hat das sogar Auswirkungen auf unser Verhalten zu Tieren.
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