Unterwegs mit einem Förster
Welche Zukunft blüht unserem Wald?
Neophyten, Schädlinge, Klimawandel – die Herausforderungen für unsere Wälder sind gewaltig. Wie lassen sich Holzproduktion und Lebensraum für Wildtiere in Einklang bringen? Neue Strategien machen Hoffnung.
Es geht quer durch dicht bewachsenes Unterholz, das sich zwischen vereinzelten Baumstämmen zu behaupten versucht. Junge Buchen, Ahorne und Eschen befinden sich hier mitten im Wettlauf um Platz und Licht. Nur die stärksten können sich durchsetzen und mit den Jahren zu grossen Bäumen heranwachsen. Förster Markus Lüthy prüft alle sechs Jahre den Wachstumsfortschritt und markiert jene Bäume, die gefällt werden müssen. «Wenn ein schöner Baum von seinem Nachbarn gestört wird, wird dieser gefällt, um dem vielversprechenden Baum Platz zu lassen», erklärt er. Je weniger Äste ein Baum trägt und je gerader er wächst, desto mehr hochwertiges Holz liefert er in Zukunft. Handelt es sich um eine seltene heimische Baumart, setzt das Team des Forstbetriebs Birretholz alles daran, dass sie gedeiht und sich vermehrt. «Unser Ziel ist es, möglichst viele verschiedene Baumarten zu haben», so Lüthy. So will der Förster das Risiko eines grossflächigen Ausfalls durch Extremwetter, Krankheiten oder Schädlinge minimieren. «Der Borkenkäfer geht nur Fichten an, deshalb wollen wir von solchen Monokulturflächen wegkommen», erklärt der Förster.
Kranke Wälder
Da die Fichte schnell wächst und als sehr ertragreich und unkompliziert gilt, pflanzte man sie früher in Massen, um innert kürzester Zeit möglichst viel Holz ernten zu können. Doch die Rechnung ging nur auf dem Papier auf. In manchen Regionen Deutschlands geben geschädigte Monokulturen inzwischen mehr CO2 ab, als sie aufnehmen. «Das sind teilweise gar keine Wälder mehr, sondern Kulturen, die mehr mit einem Maisfeld zu tun haben», findet Markus Lüthy. «Wir müssen aber keine Angst haben, dass es in der Schweiz einmal so weit kommt.»
Seit jeher wurden unsere Wälder regionaler und damit auch standortgetreuer bewirtschaftet. Ausserdem ist der naturnahe Waldbau seit den 90er-Jahren im Gesetz verankert. Bis heute gibt es künstlich angelegte Wälder – wenn auch nur noch auf kleineren Flächen. «Das sind die Wälder, durch die der Wind unten durchfegt und den Boden austrocknet», erklärt Lüthy. In solchen Altklassenwäldern werden alle Bäume gleichzeitig gefällt und wieder neu gesetzt. Nach 80 bis 100 Jahren beginnt der Zyklus von vorne. Klingt einfach, hat aber laut dem Förster so manche Kehrseiten: «Wir haben damit ein hoch instabiles System geschaffen.» Dass die gepflanzten Bäume alle vom selben Mutterbaum stammen, macht das System noch anfälliger. «Im Grunde ist dies Inzucht im Wald – alles genetisch gleich und im selben Alter», erklärt Lüthy. Befällt ein Käfer oder eine Krankheit nur einen Baum, kann sich das rasend schnell ausbreiten und zum Totalausfall führen. Für den einzelnen Baum sei das zudem keine natürliche Umgebung: «Dem ist so nicht wohl.»
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Noch heute begegnet Lüthy immer wieder dem alten Denkmuster, nur ein aufgeräumter Wald sei ein produktiver Wald. Heute weiss man aber, dass ein biodiverses System mit grosser Strukturvielfalt unter dem Strich sogar schneller wachsen kann als ein reiner Hochwald. Dafür sorgt der Förster, indem er jene Bäume markiert, die den anderen das Sonnenlicht nehmen. «Wir machen nur noch sehr feine Eingriffe, die man kaum bemerkt», erklärt Lüthy. Alle sechs Jahre nimmt er jedes Waldstück genau unter die Lupe. Länger zu warten, wäre ein Risiko: «Eichen zum Beispiel, die als klimaresistent gelten, würden unter zu viel Schatten nicht überleben.»
Waldformen kurz erklärt:
Waldreservate
Naturwaldreservat: Wirtschaftliche Nutzungen und Holzentnahmen sind verboten. Der Waldbestand wird möglichst sich selbst überlassen, um natürliche Entwicklungen zuzulassen.
Sonderwaldreservat: In diesen Wäldern wird gezielt eingegriffen, um eine bestimmte Baumart zu fördern. Die forstwirtschaftliche Nutzung ist nicht verboten, aber eingeschränkt.
Dauerwald
Hier wachsen Bäume unterschiedlichen Alters und verschiedener Baumarten. Die Holznutzung erfolgt einzeln oder in kleinen Gruppen, Kahlschläge sind nicht erlaubt. Die Verjüngung erfolgt vorzugsweise durch natürliche Aussaat.
Schutzwald
Dieser Wald dient primär als Schutz gegen Naturgefahren wie Lawinen, Steinschlag und Erosion. Eine gezielte Entnahme von Bäumen ist erlaubt, solange die Stabilität des Waldes gewährleistet ist. Die aufwändigen Pflegearbeiten werden von der öffentlichen Hand unterstützt.
Es gibt noch viele weitere Formen und Kategorien von Wäldern, die sich teilweise überschneiden.
Bis sich ein Altersklassenwald in einen Dauerwald mit unterschiedlich grossen, dicken und artenreichen Bäumen verwandelt, vergehen Jahrzehnte. Viele Schweizer Forstbetriebe stecken mitten in dieser Umstellung. Andere stehen dem neuen System noch skeptisch gegenüber. «Die Holzerei ist etwa 10 bis 20 Prozent teurer», räumt Lüthy ein. «Doch weil man weder pflanzen noch viel mähen muss, ist der Dauerwald am Ende die günstigere Variante.» Dass sich der Wald natürlich verjüngt, wirkt sich auch auf die Widerstandsfähigkeit des Bestandes aus. «Gesetzte Bäume haben oft mehr Probleme, weil sie in einer anderen Umgebung aufgewachsen sind,» erklärt der Förster. Nur in Ausnahmefällen beauftragt Lüthy Ergänzungspflanzungen mit besonders klimaresistenten Arten. «Allerdings ist das immer heikel», gibt Lüthy zu bedenken. «Deshalb setzen wir auf möglichst viele verschiedene Baumarten.»
Artenschutz im Nutzwald
Biodiversität bedeutet für Markus Lüthy nicht nur Vielfalt unter den Bäumen, sondern auch am Waldboden. «300 Jahre lang hat man im Wald jedes Ästchen aufgelesen und sogar das Laub entfernt. Doch irgendwann müssen auch wieder Nährstoffe zurückkommen», sagt er. «Darum lassen wir heute bewusst Totholz liegen – als Dünger für den Wald und Lebensraum für Insekten.» Ist ein Baum nach einem Borkenkäferbefall so weit abgestorben, dass die Rinde bereits abfällt, lässt Lüthy ihn einfach stehen. «So können sich darin wenigstens die Nützlinge vermehren», erklärt der Förster.
Weitere Kleinstrukturen wie etwa Weiher nützen nicht nur der Biodiversität, sondern verbessern auch das Mikroklima. «In diesen Waldstücken brennt es auch im trockensten Sommer nicht», ist Lüthy überzeugt. Zudem freut er sich über jeden Liter Wasser, der in einem Weiher gespeichert bleibt, statt oberirdisch abzufliessen. Da viele Amphibien und Insekten von Kleinstgewässern profitieren, unterstützen Kantone den Bau solcher Weiher finanziell. Die positiven Nebeneffekte für den Wald überzeugten den Förster so sehr, dass er mit seinem Team noch weitere Weiher anlegte.
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Vor sieben Jahren hat der Forstbetrieb Birretholz mit der Umstellung zum Dauerwald begonnen. Damit steht er noch ganz am Anfang einer jahrzehntelangen Übergangsphase. Doch für Lüthy steht fest: Diese Bewirtschaftungsform verbindet Wirtschaftlichkeit mit Naturschutz – ein Kompromiss, den er in reinen Naturwaldreservaten vermisst, wo gar nicht mehr geerntet werden darf.
Stattdessen wird die Natur dort ganz sich selbst überlassen, um wieder zu einer möglichst urwaldähnlichen Form zurückzufinden. An schwer zugänglichen Böschungen, wo das Holzen ohnehin mühselig ist, hat der Förster nichts gegen solche Auszonungen einzuwenden. Auf gut zugänglichen Flächen sieht er jedoch keinen Mehrwert gegenüber dem Dauerwald, sondern hauptsächlich Verlust. «Man muss auch bedenken, dass damit Arbeitsplätze verloren gehen – vom Forstwart bis zum Schreiner. Arbeitsplätze, mit denen man nachhaltig Holz nutzen könnte.»
Diversität in allen Bereichen
In Zeiten der Energie- und Konsumwende ist der nachwachsende Rohstoff Holz gefragter denn je. Ob zum Heizen, für den Bau von Häusern, oder sogar die Kleidungsindustrie: Holz ist extrem vielseitig einsetzbar. Gleichzeitig hat sich die Schweiz zum Ziel gesetzt, den Anteil der Waldreservate bis 2030 von heute rund sieben auf zehn Prozent zu erhöhen. Umweltorganisationen forderten zeitweise noch höhere Quoten.
«In Naturwaldreservaten finden viele bedrohte Tiere ein Zuhause», erklärt Lesly Helbling von Pro Natura die Bedeutung dieser Reservate. «Zudem können wir beobachten, wie sich die Schweizer Wälder ohne menschlichen Einfluss entwickeln – Erkenntnisse, die wiederum in den naturnahen Waldbau einfliessen.» Bei der Erforschung waldtypischer Artengruppen wie Totholzkäfer und Baumpilze, stehe man noch ganz am Anfang. Auch in Sachen Klimaforschung gibt es noch viele unbeantwortete Fragen. «Die Modelle zeigen deutlich, dass eine grosse Veränderung der Wälder – und auch aller anderen Lebensräume – zu erwarten ist», so die Waldexpertin. «Wie genau diese Veränderungen aussehen werden, ist unklar.» Umso wichtiger sei es, auch bei den Bewirtschaftungsformen auf Vielfalt zu setzen. Aus Erfahrungen wisse man bereits: Bäume aus natürlicher Verjüngung und Wälder mit naturnahen Strukturen sind widerstands- und anpassungsfähiger. «Das zeigt sich sowohl auf unberührten Flächen als auch in Wäldern, die konsequent naturnah bewirtschaftet werden.»
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In der Zukunftsvision von Pro Natura soll der Schweizer Wald weiterhin genutzt werden dürfen – jedoch «rücksichtsvoll und nachhaltig», wie Helbling betont. «Der Wald soll weitgehend in seiner natürlichen Vielfalt und Dynamik gedeihen und Lebensraum für die standortheimische Biodiversität bieten.» Da sich laut dem jüngsten Waldbericht des Bundesamtes für Umwelt über 90 Prozent des Schweizer Waldes bereits eigenständig verjüngt, scheint dieser Grundsatz nicht unerreichbar.
Falsche Anreize
Ein anderes Problem jedoch ist die Verwertung des Holzes. Die Hälfte des inländischen Holzes wird direkt nach der Ernte zu Heizungszwecken verbrannt. Vor gut 20 Jahren machte der Anteil des reinen Energieholzes noch einen Viertel aus. Dass der Preis für Energieholz attraktiver geworden ist, hat diesen Anstieg enorm befeuert. Eine Entwicklung, der mit einer neuen, natio-nalen Strategie entgegengewirkt werden soll. Über die «Integrale Wald- und Holzstrategie 2050» wird der Bundesrat voraussichtlich Ende Jahr entscheiden. Eine zentrale Forderung darin ist die Kaskadennutzung: Nach diesem Grundsatz soll das Holz zuerst in grossen Stücken hochwertig verarbeitet werden, zum Beispiel im Häuserbau. Wenn das Holz dafür ausgedient hat, wird es zu Spanplatten rezykliert. Erst für die dritte und letzte Nutzung landet es dann im Heizofen.
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Der frühere Kantonsförster und heutige Generalsekretär der Konferenz für Wald, Wildtiere und Landschaft (KWL), Thomas Abt, war von Anfang an bei der Entstehung dieses Strategiepapiers mit dabei. «Es ist das erste Mal, dass man Wald- und Holzpolitik zusammen integriert und es vom stehenden Baum bis zum Konsumenten durchdacht ist», schwärmt er. Begonnen habe alles im Jahr 2016, als die Regierungsräte und Mitglieder der KWL darüber informiert werden wollten, weshalb so viele Forstbetriebe defizitär sind. Bei der Überlegung, wie diese sich wieder ökonomisch stabilisieren könnten, entstand über Umwege die Integrale Wald- und Holzstrategie. Ihr Ziel ist es, Schweizer Holz aufzuwerten, mit der Kaskadennutzung sinnvoll zu verwerten und es der regionalen Kreislaufwirtschaft zuzuführen, indem man die Nachfrage erhöht. «Bis vor kurzem hat man sehr viel mit Holz gebaut, dieses ist aber oft aus dem Ausland gekommen», erklärt Abt. «Denn diese halbfertig verleimten Produkte, die es dafür braucht, haben wir in der Schweiz nicht hergestellt.»
Zwar reagieren inzwischen einige Sägereien auf die steigende Nachfrage. Doch der Fokus müsse noch stärker auf Holzprodukten liegen, welche in der Industrie gefragt sind – und auf Verarbeitungsstätten, die wieder ins Land zurückgeholt werden. Derzeit werden immer noch viele verarbeitete Holzprodukte importiert, während über zehn Prozent der Schweizer Rohholzernte (Stand 2023) exportiert wird. Ein klarer Hinweis auf Handlungsbedarf.
Holzernte längst nicht mehr Hauptverdienst
Währenddessen haben bereits viele Forstbetriebe ihre finanzielle Abhängigkeit von der Holzernte entkoppelt – so auch derjenige von Markus Lüthy. «Geld verdienen wir hauptsächlich mit Auftragsarbeiten wie Spezialholzereien in Privatgärten oder das Mähen von steilen Böschungen mit unserem Spezialmäher», erzählt der Förster.
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Probleme in seinem Wald sieht Lüthy hauptsächlich bei den Wildverbissen und dem hohen Neophytendruck. «Da müsste ein Jahr lang die Armee anrücken, um die Neophyten wirklich loszuwerden», meint der Förster. «Wir müssen lernen, mit ihnen zu leben.» Die Umstellung zum Dauerwald wird durch den hohen Neophytendruck jedoch nicht einfacher. Besonders schwierig ist der Übergang zur natürlichen Waldverjüngung, wenn aufgrund eines Schädlingsbefalls eine grössere Fläche auf einmal brach liegt. «Dann beginnt ein Wettlauf zwischen Jungbäumen und Neophyten», so Lüthy. Um den nachwachsenden Wald zu unterstützen, setze er manchmal ein paar Weiden, die wenigstens etwas Schatten spenden. «Bei viel Sonnenlicht wachsen die Neophyten viel schneller als junge Bäume, da die Jungbäume durch das Reh- und Rotwild immer wieder abgefressen werden. Bei zu wenig Licht wächst jedoch gar nichts.» Wie in so vielem: Ein ständiger Balanceakt des Försters.
Klimawandel verschiebt die WaldgrenzeLaut dem jüngsten Waldbericht des Bundesamtes für Umwelt ist der Holzvorrat im Jura und im Mittelland seit 2015 gesunken. Die Gründe dafür sind Trockenheit, Insektenbefall, Baumkrankheiten und Übernutzung.
Im Alpenraum und im Tessin hingegen nimmt die Waldfläche weiter zu. Das liegt einerseits daran, dass viele der Wälder dort schlecht erschlossen und die Kosten der Ernte sehr hoch sind. Zudem verschiebt sich die Waldgrenze als Folge des Klimawandels stetig weiter nach oben. Um gegen die zunehmende Verbuschung der Alpweiden vorzugehen, fehlt oft das Personal. Immer mehr Betriebe werden ganz aufgegeben.
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