Herr Dr. Villhauer, was genau versteht man unter Greenwashing?

Wenn eine Person oder Firma sich als umweltfreundlich präsentiert, es aber in Wirklichkeit nachweislich nicht ist.

Viele Anleger erliegen dem Irrglauben, dass sie automatisch etwas Gutes für das Klima tun, wenn sie in nachhaltige Fonds investieren. Wie sieht die Realität aus?

Wer genau hinschaut, wird schnell merken, dass mehr als die Hälfte der angebotenen Produkte nicht nachhaltig sind. Sie können die Wirkung nicht erzielen, welche sie behaupten. Das ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Leute, die diese Produkte aufgelegt haben, sich nicht gut auskennen, zum Teil liegt jedoch auch eine ganz bewusste Täuschung vor. Als Anleger sollte man also sehr vorsichtig sein und genau hinschauen.

Aber sollte man nicht davon ausgehen, dass sich bei Banken nur Experten mit diesem Thema beschäftigen?

Sollte man eigentlich, aber leider ist es oft so, dass der Begriff der Nachhaltigkeit sehr unklar ist. Was ist eine nachhaltige Wirkung? Hier gibt es einfach bereits von der Definition her sehr grosse Probleme. Zudem sind für viele der Wirkungen, die man erzielen möchte, Spezialkenntnisse nötig. Wissen wir ganz genau, was eine bestimmte Investition in bestimmten landwirtschaftlichen Strukturen in Süd- oder Westafrika bewirkt? Wissen wir genau, welche Technologien man wie einsetzen kann, um zum Beispiel CO2-Emissionen zu verringern? Da muss man einfach den Experten erst mal zuhören – und zwar ganz genau zuhören. Doch viele Geldhäuser haben weder die Zeit noch die Manpower, um das zu tun. So entsteht diese Unwissenheit, die zu unwillkürlichem Greenwashing führt.

Gutes tun und gleichzeitig Rendite machen. Ist das nun möglich oder nicht?

Ja! Es gibt einige Bereiche, in denen man hohe Renditen erwirtschaften kann und trotzdem umweltfreundlich agiert, aber man muss sich bewusst sein, dass dies der kleinere Bereich ist. Oft wird man gezwungen sein, sich zu entscheiden: Will ich auf die ein bis zwei Prozentpunkte verzichten, habe dann aber immer noch eine gute Rendite und wähle die umweltfreundlichere Variante – oder ich entscheide mich für Produkte, die konsequent auf Nachhaltigkeit und Transformation setzen, und verzichte dann gar auf Rendite. Ich kann nicht überall mit dem Etwas-Gutes-Tun auch Geld verdienen. Aber es gibt diese Bereiche durchaus.

Wieso ist es für manche Unternehmen so einfach, gezielt Greenwashing zu betreiben?

Die Nachfrage steigt. Die Menschen wollen sich nachhaltig verhalten und wollen umweltfreundlich anlegen. Insofern ist es verständlich, dass auch immer mehr Unternehmen Greenwashing betreiben. Eigentlich ist es ein gutes Zeichen, dass wir momentan so viel Greenwashing erleben. Dadurch wissen wir, die Unternehmen haben begriffen, dass es eine rege Nachfrage gibt.

Lohnt es sich für alle Unternehmen, Greenwashing zu betreiben?

Das muss man jeweils spezifisch beantworten, doch es gibt mit Sicherheit Bereiche, in denen man mit nur ein bisschen Lüge wirklich richtig viel Geld machen kann. Vor allem im Finanzbereich können teils grosse Margen erreicht werden. Unternehmen, die im Publikumsverkehr unterwegs sind, können mit einfachen Schlagworten sehr schnell täuschen. Vor allem stellt sich jedoch die Frage, ob Greenwashing überhaupt nachprüfbar ist. Wenn jemand in seiner Broschüre nur ein schönes Bild unterbringt und Greenwashing über Emotionen betreibt, dann ist das ja gar nicht wirklich nachprüfbar. Aber wenn ich konkret behaupte, dass ich die CO2-Produktion mit einem Produkt um zwanzig Prozent senke, dann kann es für ein Unternehmen gefährlich werden, da es auch strafrechtlich relevant wird. In diesem Fall lohnt sich Greenwashing sicherlich nicht mehr.

Aber trotzdem scheinen immer mehr Firmen dem Greenwashing verfallen zu sein …

Das grösste Problem ist, dass jeder etwas anderes unter Greenwashing versteht, und wie eben bereits angedeutet: Greenwashing funktioniert hervorragend über Emotionen, Bilder oder irgendwelche Begrifflichkeiten. «Wir streben an …» ist eine sehr beliebte Floskel. Hört sich vielleicht gut an, leider ist substanziell nichts dahinter. Solange man mit Greenwashing in diesematmosphärischen Bereich bleibt, ist man auf der sicheren Seite, sobald es um Zahlen und Fakten geht, wird es dann schwieriger.

Wie können Privatpersonen Banken oder Unternehmen entlarven?

Der Verbraucher muss sich erst mal fragen, wie viel Zeit er dafür überhaupt aufwenden will. Man darf die Menschen nicht überfordern und von ihnen verlangen, dass sie tagelang überprüfen, welche Bank sich wie verhält. Sehen Sie sich die Geschichte des Anbieters an! Hat eine Bank schon lange Nachhaltigkeitsprodukte im Portfolio, bemüht sie sich schon lange um diese Themen oder ist sie erst im letzten Jahr auf den Zug aufgesprungen? In diesem Fall würde ich davon Abstand nehmen, denn dann ist es nur eine Modeerscheinung und man versucht sich an einen Trend zu hängen, hat aber selbst gar keine Erfahrungen damit. Wer wenig Zeit hat, sollte sich an Häuser und Beratungen wenden, die sich auf das Thema spezialisiert haben. Es gibt viele Verbraucherschutzinitiativen, gute Zeitschriften und Websites, die einen sehr gut beraten. Ich persönlich würde immer beim Verbraucherschutz beginnen, der weiss, welches die Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden sind, und dort ist man zunehmend auch kompetent im Bereich Nachhaltigkeit.

Wer sind die besonders schwarzen Schafe?

Konkrete Namen möchte ich hier nicht nennen, aber besonders schwarz sind die Unternehmen, die denken, sie könnten sehr schnell einen hohen Gewinn erzielen. Schwarze Schafe denken kurzfristig und wollen einfach nur Quick Cash machen.

Greenwashing betrifft nicht nur das Finanzwesen. Welche Branchen mischen noch mit?

Besonders häufig findet Greenwashing im Retail-Bereich statt, sprich im Verkauf von Produkten an Privatkunden.

Seit wann ist Greenwashing bei Unternehmen ein Thema?

Seit zirka 25 bis 30 Jahren, verstärkt hat sich das Greenwashing jedoch in den letzten zehn Jahren in ganz vielen Branchen etabliert.

Wie wird sich dieses Phänomen entwickeln?

Das Ganze ist eine Grundwelle, ein echter Megatrend. Trotz Konjunkturen wird uns die ökologische Transformation und das Umweltbewusstsein noch lange, sicher noch einige Jahrzehnte erhalten bleiben.

Werden dadurch die Kontrollen besser?

Ich persönlich glaube an die Marktwirtschaft. In einer Marktwirtschaft können sich die besseren Anbieter durchsetzen. Der Markt durchläuft viele Lernprozesse, daher sehe ich die Entwicklung insgesamt positiv. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Professionalisierung und Qualifizierung erleben werden. Dadurch wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Wer nachweislich nachhaltig handelt, wird in Zukunft gute Geschäfte machen, und die Lügner wird man im Laufe der Zeit aussortieren.

Wie hoch ist der Anteil nachhaltiger Publikumsfonds? Wie sieht die erwartete Entwicklung aus und wie hat es sich in den letzten Jahren entwickelt?

Deutschland hat nach dem Marktbericht des FNG(Forum Nachhaltige Geldanlagen) momentan 12,5 Prozent nachhaltige Publikumsfonds. Und das Investment in diesen Fonds steigt jährlich immer weiter an. Österreich, Deutschland und die Schweiz sind in diesem Bereich führend. In den USA haben wir jedoch gerade die Situation einer gespaltenen Gesellschaft. Auf der einen Seite die auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Anleger, auf der anderen Seite diskutieren die Republikaner, ob solche Kriterien in der Wirtschaft überhaupt etwas zu suchen haben oder eher in die Politik gehören. Der deutschsprachige Raum zeigt jedoch eine stetige Aufwärtsentwicklung.

Was ist für Sie die grösste Ökolüge der Finanzbranche?

Mich macht es rasend, wenn Finanzakteure behaupten, sie würden die Entwicklung von Firmen mitbegleiten. Der Stab einer Bank kann noch so gross sein, es ist einfach nicht möglich, ganze Unternehmen und ihre Produkte komplett zu durchleuchten. Ein regelmässiges Monitoring wäre eine ehrlichere Aussage.

Warum haben Sie das Buch gerade jetzt geschrieben?

Wir sind augenblicklich in einer kritischen Phase, in der sich die Finanzwelt umstellt. Ich sehe Green-washing als einen Aspekt dieser grossen Umstellung, wo jedoch womöglich falsche Pfade eingeschlagen werden. Es ist immer einfacher, so zu tun, als würde man etwas ernsthaft angehen, als es wirklich ernsthaft anzugehen. Das Buch ist jedoch kein Buch gegen die Finanzbranche. Im Gegenteil. Ich habe grössten Respekt vor den Akteuren in diesem Bereich. Ich möchte mit dem Buch viel eher eine Hilfestellung für ihre Transformationen anbieten.

 

Zur PersonDr. Bernd Villhauer, Geschäftsführer des Weltethos-Instituts und Gründer einer Beratungsfirma für nachhaltige Finanzen, lernt, lehrt, forscht und schreibt schon seit einigen Jahren über die Transformation des Finanzsektors. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Nachhaltige Finanzen, der Geldtheorie und der Finanzethik.
Im Herbst erschien sein Buch «Meine Bank wäscht grüner – Die Ökolüge der Finanzbranche» im Hirzel-Verlag.

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