Umstrittener Aktivismus
Max Vögtli: «Wir Klimaaktivisten sind auch nicht perfekt»
Max Vögtli (31) ist Klimaaktivist und umstritten. Strassenblockaden sind auch bei vielen Grünen unbeliebt. Doch was treibt ihn an?
Sie haben die Strategie gewechselt und kleben sich nicht mehr an. Doch was ist das für ein Gefühl: am Boden angeklebt, inmitten des Verkehrs?
Max Vögtli: Ein entschlossenes Gefühl. Jetzt mache ich endlich etwas. Wir sind in einer Klimanotsituation und keiner spricht darüber. Du sitzt da und schaust einen bestimmten Punkt an. Wir üben Road-Blocks auch von vornherein. Aber ich bin ganz ehrlich: Ich bin seit mehr als zwei Jahren Aktivist und ich bin immer noch vor jeder einzelnen Aktion nervös. [IMG 1]
Wie begegnen Sie dem Frust der Autofahrerinnen und -fahrer?
Wenn wir die Strasse blockieren, läuft es immer gleich ab: Die ersten dreissig Sekunden herrscht Stille. Die Autofahrer verstehen noch nicht ganz, was los ist. Und danach kommt die Frustwelle.
Verstehen Sie diesen Frust?
Ja klar, ich bin auch frustriert, wenn mein Tram am Morgen 15 Minuten zu spät kommt. Im Stau zu stehen und warten zu müssen, ist scheisse. Und diesen Frust darf man auch rauslassen. Aber wir sind in einer Klimanotsituation und müssen darauf aufmerksam machen – Nebenstrassen zu blockieren hat einfach nicht denselben Effekt.
Ist Klimaaktivismus denn wirklich zielbringender als politischer Lobbyismus?
Ich habe keineswegs die Illusion, dass uns die Strassenblockaden allein weiterbringen. Es braucht mehrere Wege. Politischer Lobbyismus ist wichtig, hat aber auch seine Grenzen.
Und wo liegen diese?
Wir brauchen mehr als Reformismus und ein paar neue Gesetze. So ist es super, haben wir den Ausbau der Schweizer Autobahnen abgelehnt. Doch eigentlich müssen wir darüber diskutieren, weshalb unser Wohn- und unser Arbeitsort immer weiter auseinanderliegen. Wir müssen über Produktion sprechen und wie wir den Wohlstand der Schweiz auch in Zukunft erhalten.
Um die Gesellschaft umzuwälzen, reicht der parlamentarische Weg allein nicht. Wir müssen auf der Strasse mit den Bürgerinnnen und Bürgern sprechen.
Dann blockieren Sie illegal Strassen mit dem eigentlichen Ziel, in den Diskurs mit den Menschen zu kommen?
Ja, Dialog ist uns wichtig. Ziviler Ungehorsam spielt eine wichtige Rolle dabei, wie wir an diesen kommen. Wir wollen auch mit Menschen in Kontakt kommen, die uns beleidigen. Denn oft stimmen sie uns zu, finden es einfach doof, dass wir dafür die Strasse blockieren.
Was machen Sie sonst noch für Aktionen?
Wir haben uns auch an Bilder geklebt, Konzerte gestört oder machen Protestmärsche. Ich bin aber nicht verblendet und sage, dass diese Taktiken immer reibungslos gelaufen sind. Bei krassen Aktionen wird oft nur noch über die Aktion und nicht das eigentlich wichtige Thema berichtet. Wie wir das lösen, entwickeln wir gerade.
Wenn wir schon bei den Medien sind. Ihr Flug nach Mexiko im Jahr 2023 wurde medial ausgeschlachtet. Weshalb glauben Sie, wurde das gemacht?
Es ist der perfekte Skandal. Die Medien dachten, sie hätten mich erwischt. Eigentlich wollte ich den Flug aber auch noch öffentlich machen, um zu zeigen: Wir Klimaaktivisten sind auch nicht perfekt. Ob der Flug richtig war oder nicht, kann man diskutieren.
Bereuen Sie ihn?
Nein, gar nicht. Ich bin offen für Kritik und verstehe sie. Trotzdem hatte ich drei bereichernde Monate. Ich traf lokale Protestgruppen und tauschte mich aus. Was bei uns in der Schweiz als unerhört gilt, ist dort eine logische Protestform. Wenn es Probleme mit der Politik gibt, sitzt man auf die Strasse. Sie haben eine ganz andere Protestkultur.
Was haben wir in der Schweiz denn Ihrer Meinung nach für eine Protestkultur?
Eine total vergessene. Die Menschen meinen immer, wir machen in der Schweiz nur Kompromisse. Aber das ist Blödsinn. Die Arbeiterbewegung 1818, die Frauenbewegung, die dann endlich zum Stimmrecht 1971 führte, waren wichtig. Wir haben vergessen, wie wichtig Proteste in unserer Kultur eigentlich sind.
Dann reihen Sie sich in diese Proteste ein?
Ja, wir haben eine andere Protestform. Gewaltlose Proteste sind ein Menschen- und Demokratierecht.
Sind Ihre Proteste immer gewaltlos?
Ja. Wir trainieren auch, dass wir bei Beschimpfungen nicht wütend werden und ruhig bleiben. Was Gewalt ist, könnte man lange diskutieren. Aber sie führt nicht zum Ziel.
Was verstehen Sie unter Gewalt?
Gewalt ist, wenn sie sich gegen andere Menschen richtet. Das muss nicht unbedingt mit Fäusten sein, auch verbal kann man Menschen verletzen. Aber die Beschädigung von Eigentum kann gewaltfrei sein.
Wie haben Sie sich bei Ihrer ersten Aktion gefühlt?
Vor meiner ersten Aktion, als ich 2020 die 1.-August-Rede von Simonetta Sommaruga unterbrochen habe, hätte ich fast gekotzt. Die Panik wurde immer grösser, dass ich mein bisheriges Leben aufs Spiel setze. Ich hatte ein gutes Leben, einen guten Job, eine schöne Wohnung. «Du Idiot», dachte ich nur. Doch ich wollte das durchziehen. Ich habe das Privileg, aktiv für das Klima sein zu können – das muss ich nutzen.
Sie sind Vollzeitaktivist. Wie verdienen Sie Ihr Geld?
Schwierige Frage. Erstens war ich jahrelang berufstätig und habe nicht wenig verdient. Den Grossteil decke ich mit meinem Ersparten. Ich lebe günstig und kratze hie und da noch was zusammen. Ich bekomme Geld für Reden oder helfe NGOs dabei, Demos zu organisieren.
Und reicht das?
Es reicht knapp, aber vielleicht muss ich irgendwann wieder in die Lohnarbeit.
Wo würden Sie dann hin?
Zur UBS. Nein, natürlich nicht. Am liebsten zu einer netten NGO. Vielleicht auch zu Greenpeace. Oder die Arbeit bei einem Bauern würde mir guttun. Ich bin ein Stadtkind und habe Angst vor Tieren, besonders vor Hühnern, wegen ihres spitzen Schnabels.
Zurück zum Anfang: Welchen Leim haben Sie damals genutzt, um sich auf die Strasse zu kleben?
Sekundenkleber. Wahrscheinlich sogar den günstigsten. 5 für 2 Euro. Der ist mit Nagellackentferner lösbar.
Zur Person
Max Vögtli (31) ist seit zwei Jahren Vollzeitklimaaktivist. Der Politikwissenschaftler ist bekannt für seine Strassenblockaden, welche von links bis rechts kritisiert werden. Er gründete die Organisation «Drop fossil subsidies» und war zuvor bei «Renovate Switzerland».
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