Dilemma Transportfähigkeit
Bei Grosstierrettungen drohen Rechtsklagen wegen Tierschutz
Der heutige Tierschutz hat die Grosstierrettung stark verändert: Die Rettungskräfte stehen oft im Dilemma zwischen Vorschrift einhalten und Leben retten.
Man kennt sie vor allem von den recht spektakulären Bildern bei Alprettungen, wenn Helikopter eingeschneite Rinder und Kühe in Sicherheit bringen. Doch die Einsätze für die Grosstierretterinnen und -retter sind lange nicht immer so spektakulär. Oft sind es kleinere Einsätze: ein verunfalltes Pferd mit dem Ambulanzwagen abholen, eine im Stall gestürzte Kuh wieder auf ihre Beine stellen oder gelegentlich ein krankes Zootier ins Tierspital verfrachten.
Solche Rettungen machen heute in der Schweiz vor allem der Grosstierrettungsdienst (GTRD) und dieFeuerwehr, meist auch in enger Zusammenarbeit: «Die Feuerwehr ist oft schneller vor Ort, mit Manpower, und wir liefern dann vor allem das Know-how und tier-spezifisches Material», sagt Ruedi Keller vom GTRD, den er vor über 25 Jahren gegründet hat. Zusammen mit zirka vierzig ehrenamtlichen Mitarbeitenden betreibt er sechs Stützpunkte in der Deutschschweiz, im Tessin und neu auch im Wallis.
Jährlich bewältigen sie über 600 Einsätze, und es werden immer mehr. Es ist ein sehr aufwendiges «Hobby», wofür sich nur wenige eignen. «Man muss nicht nur jederzeit abrufbar sein, sondern sich auch langfristig verpflichten, neben dem Berufs- und Privatleben», so Keller. Häufig seien es eingefleischte «Rösseler».
Gefordert sind die Rettungskräfte bei ihren Einsätzen nicht nur wegen des schmerzleidenden Tieres, das rasche Hilfe benötigt. Vielmehr gilt es mittlerweile auch in der Notsituation viele Vorschriften einzuhalten, insbesondere für den Tierschutz. Die Sensibilität für den Tierschutz ist in den letzten Jahren stark gestiegen. «Das ist grundsätzlich eine gute Sache, doch in der Praxis oft nicht praktikabel», so Keller. «Wir bewegen uns deshalb oft mit einem Bein im Gefängnis», meint Keller provokant. Am Beispiel der «Transportfähigkeit» zeigt Keller sein Dilemma auf: In welchem Zustand ist ein Tier noch transportfähig, ohne Tierquälerei? Darf etwa eine am Boden festliegende Kuh aufgrund einer Verletzung oder Erkrankung ins Tierspital gefahren werden? Oder leidet das Tier dadurch zu fest? Weil hier die Vorschriften laut Keller immer schärfer werden, muss die Kuh manchmal eher eingeschläfert werden, als dass man sie noch transportieren darf.
Gemäss Schweizer Tierschutz STS muss diese Frage letztlich der Tierarzt entscheiden: «Wenn der Tierarzt der Ansicht ist, dass das Tier nach der Behandlung ein würdiges Leben führen kann und während des Transports nicht leiden muss und kein zusätzlicher Stress verursacht wird, halten wir den Transport über den Dienst Grosstierrettung für eine vertretbare Lösung», sagt Alice Raselli, Nutztierspezialistin vom Schweizer Tierschutz.
Bauern können sich eine Rettung leistenTrotz grossen Aufwands ist eine Grosstier-rettung erschwinglich, mit Kosten von durchschnittlich 500 bis 2000 Franken pro Einsatz. Pferdebesitzende beispielsweise können die Kosten über eine Verbandsmitgliedschaft abrechnen, ähnlich einem Gönnersystem wie bei der Rega. Zudem gibt es für Nutztierhalter sogar extra eine Stiftung, die die Kosten des Rettungsdienstes übernimmt, und somit diese auch für ein landwirtschaftliches Budget verkraftbar bleiben.
Drohende Rechtsklagen
Doch diese Entscheidung ist nicht immer einfach. So geraten Tierärzte und Tierärztinnen, die oftmals zusammen mit der Grosstierrettung vor Ort sind, in das Dilemma zwischen Wirtschaftlichkeit und Tierschutz. Während der Grosstierrettungsdienst bisher noch keine Klage am Hals hatte, droht dies Tierärztinnen und Tierärzten häufiger. So führte etwa, laut der NZZ vom 13.10.2020, ein aufsehenerregendes Gerichts-urteil vor ein paar Jahren wegen angeblicher Tierquälerei zu einer sehr grossen Verunsicherung unter Tierärzten und Tierärztinnen.
Ein 64-jähriger, erfahrener Tierarzt hatte damals eine festliegende, hochträchtige Kuh ins naheliegende Notschlachtlokal transportieren lassen, um das Leben des Kalbes zu retten und den Fleischwert der Kuh zu erhalten. Dies veranlasste er, da er keinen Metzger erreichen konnte, der fähig war, das Tier im Stall zu schlachten und das Kalb zu retten. Das Bezirksgericht Bülach befand, die Schmerzen durch den Transport seien dem Tier nicht zumutbar gewesen. Der Tierarzt hätte die festliegende Kuh noch auf dem Bauernhof von ihren Leiden erlösen und einschläfern müssen. Das Gericht stützte sich dabei auf ein Gutachten des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Dem widersprach das Obergericht. Die Rettung des Kalbes sei von überwiegendem Interesse und ein Kaiserschnitt im Stall sei unter den gegebenen Umständen nicht möglich gewesen. Aus diesem Grund habe der Tierarzt richtig entschieden. Das Obergericht sprach diesen vom Vorwurf der Tierquälerei frei.
Tier und Mensch sind nicht gleich
Eine bedenkliche Entwicklung beim Tierschutz beobachtet auch Veterinärmediziner Anton Fürst vom Tierspital Zürich. Es gebe hier extreme Strömungen mit sehr subjektiven Beurteilungen und Annahmen von Tieren; zum Beispiel: Was dem Menschen weh tue, tue auch dem Tier weh. «Doch das muss nicht stimmen. Denn in Stresssituationen wie bei einem Transport schüttet beispielsweise das Pferd viel Endorphin aus, ein schmerzstillendes Hormon. Dadurch hat das Pferd bedeutend weniger Schmerzen als der Mensch», erklärt der Veterinärmediziner.
Anton Fürst schätzt den Grosstierrettungsdienst gerade wegen dessen Arbeit «auf höchstem Niveau», obendrein finanziert nur durch Spenden und Einnahmen von den Transporten. Er selbst arbeitet schon viele Jahre mit Ruedi Keller zusammen und kümmert sich um die tiermedizinische Ausbildung der ehrenamtlichen Mitarbeitenden.
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