Ethische Frage
Leben Tiere gerne in Zoos?
Jetzt wird’s etwas philosophisch. Denn so viel schon vorweg: Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Tiere gerne in Zoos leben, gibt es nicht. Dafür aber so einiges, worauf man bei einem Zoobesuch achten sollte und worüber wir nachdenken könnten.
Wer regelmässig versucht, sich in Tiere hineinzufühlen, kommt nicht umhin, auch Zootiere mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Merken die Tiere überhaupt, dass sie hier eingesperrt sind? Und wenn ja, stört sie das? Eine klare Antwort auf diese Frage liefert die Wissenschaft bisher nicht. Entsprechend unterschiedlich sind die Meinungen dazu. Markus Wild, Professor für Theoretische Philosophie, ist einer der wenigen, die sich zu diesem Thema öffentlich äussern. «Einige Tiere wie Ameisen, Meerschweinchen oder Erdmännchen können mit der Gefangenschaft sehr gut umgehen», so der Tierethiker. «Andere Tiere wie Tiger, Elefanten oder Haifische haben damit grosse Mühe.» Vor allem für Tierarten, die in der Wildnis riesige Reviere für sich beanspruchen, sei eine artgerechte Haltung nicht möglich, ist er überzeugt.
Doch was ist überhaupt eine artgerechte Haltung? Schon in dieser Hinsicht scheiden sich die Geister. Für Markus Wild bedeutet sie, die natürlichen Lebensbedingungen von Tierarten möglichst gut nachzubilden. Dass so etwas bei einem Eisbären mit Streifgebieten von zig Tausenden von Quadratkilometern nicht realistisch ist, liegt auf der Hand. Markus Wild gibt allerdings zu bedenken, «dass in unserer fragmentierten Natur auch für viele wild lebende Tiere ein artgerechtes Leben immer schwieriger wird».
Der schwindende Lebensraum und der damit einhergehende Rückgang einzelner Tierpopulationen ist auch der Grund, weshalb sich viele Zoos immer mehr auf die Haltung und Zucht bedrohter Tierarten konzentrieren. So gelten von den aktuell im Zoo Zürich beheimateten Tieren laut Direktor Severin Dressen aktuell 35 Prozent der Wirbeltierarten als gefährdet, bei den Säugetierarten sogar 59 Prozent. «Unser Ziel ist es, langfristig fast ausschliesslich Arten zu halten, die in der Natur gefährdet sind, und so einen Beitrag zum Arterhalt zu leisten», ergänzt er.
Auswilderung nicht bei allen Tieren realistisch
Dass Zuchtprogramme von Zoos durchaus dazu beitragen können, die Zukunft bedrohter Arten zu sichern, bestätigt auch der Verantwortliche für internationale Artenschutz-Projekte des WWF, René Kaspar. So sei beispielsweise die Wiederauswilderung des Europäischen Wisents, des Przewalski-Pferds oder des Nördlichen Waldrappen gelungen. Bei anderen Tierarten, wie etwa Raubkatzen, sei eine Auswilderung jedoch «enorm schwierig bis fast nicht machbar», wie Kaspar anfügt. Auch er ist der Meinung, dass Tiere mit grossen Territorien weniger gut geeignet seien für die Gefangenschaft.
Dem widerspricht Zoodirektor Severin Dressen: «Grundsätzlich kann jedes Tier in einem Zoo gehalten werden, entscheidend ist, dass die Bedürfnisse eines Tieres befriedigt sind.» Das sei bei manchen Arten sicher anspruchsvoller als bei anderen, aber möglich. «Das Bedürfnis nach Freiheit dagegen ist ein menschliches Konzept», ist der Biologe überzeugt. Ein Tier werde nicht auf die Idee kommen, einen Spaziergang zu machen, weil es die Umgebung schön findet und sich diese gerne anschauen möchte, so seine Begründung. «Wenn ein Lebensraum die Bedürfnisse eines Tieres abdeckt, wird es sich in diesem auch wohlfühlen.»
Hierzu orientiert sich der Zoo Zürich wie viele andere Schweizer Zoos am sogenannten «Fünf-Domänen-Modell» des Weltverbandes der Zoos und Aquarien (WAZA). Diese umfassen gute Gesundheit und Ernährung, Wahlmöglichkeiten beim Lebensraum wie ein Wasserbecken oder eine Sandmulde und das Ermöglichen des natürlichen Verhaltens im Sozialleben des Tieres. Auch ausreichend Beschäftigung und Stimulation gehören zu den Anforderungen. Alles zusammen bestimme bei diesem Konzept das physische sowie psychische Wohlergehen eines Tieres, so Severin Dressen. Durch intensive Forschungsbemühungen, gerade auch in Zoos, gebe es einen steten und wachsenden Erkenntnisgewinn, welche Bedürfnisse Tiere explizit haben.
Schwarze Peter erkennen
Die Unterscheidung von wissenschaftlich arbeitenden Zoos und rein kommerziellen Einrichtungen ist René Kaspar vom WWF Schweiz besonders wichtig. «Die grundlegende Motivation für die Zucht in Gefangenschaft durch Zoos sollte auf der Erhaltung der Tiere beruhen und nicht auf dem Streben nach Profit», so Kaspar. Es gebe viele Einrichtungen, die sich «Zoo» oder «Aquarium» nennen und in Wirklichkeit Zirkusse oder Vergnügungsparks seien, ohne dass sie einen Beitrag zum Naturschutz leisten. Um hier die Spreu vom Weizen zu trennen, sollte deshalb vor einem Besuch überprüft werden, ob die zoologische Einrichtung wissenschaftlich geleitet ist. In der Schweiz sind das alle Mitglieder von Zoo Schweiz. Auch im Ausland gibt es ähnliche Standards, wie die des Weltverbandes der Zoos und Aquarien (WAZA). Dieser hat es sich sogar zum Ziel gesetzt, Zoos zu den wichtigsten nichtstaatlichen Naturschutzorganisationen zu machen. Denn was nützen Artenschutzprogramme, wenn die natürlichen Lebensräume gänzlich verschwinden und die Tierart in freier Wildbahn gar nicht mehr überleben kann?
Eine Frage, die sich auch der Philosoph Markus Wild stellt. Er geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass in den Zuchtprogrammen der Artenschutz klar über das individuelle Tierwohl gestellt wird. «Diese Programme machen es nötig, dass man individuelle Tiere opfert, die eigentlich gesund und lebensfähig wären», so der Tierethiker. Seiner Meinung nach hätten Zoos zwar ein riesiges Potenzial, für mehr Naturschutz zu sensibilisieren. Allerdings vermittelten sie heute noch oft ein falsches Bild vom Menschen, der über den Tieren steht, und setzten damit falsche Standards im Umgang mit der Natur. Der WWF fordert auch deshalb internationale Standards für alle Zoos und Aquarien, damit seriöse Pärke künftig besser von Schwarzen Petern unterschieden werden können.
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