Jungpferde
Vielfältige Spielkameraden – so leben Fohlen auf dem Kaiserhof in Laupersdorf
Jungpferde verbringen zwei Jahre auf der Fohlenweide: Dort lernen sie beim Fressen, Spielen und Kraulen soziale Grenzen. Christian Stark vom Kaiserhof setzt bei der Herdenzusammensetzung auf Diversität – die Forschung stimmt ihm zu.
Aukje schnuppert am Heu. Sie spitzt die Lippen und knabbert vorsichtig an einem Halm. Die Puschelohren nach hinten gedreht, die Augen geweitet. «Am Anfang ist alles etwas zu viel. Die Fohlen sind noch angespannt und überfordert. Doch jede Integration läuft anders», erklärt Christian Stark, Betriebsleiter der Fohlenaufzucht Kaiserhof im solothurnischen Laupersdorf. Eine braune Jungstute legt die Ohren an und wirft ihren Kopf in Aukjes Richtung. Die kleine Friesenstute weicht zur Seite und trabt in die Mitte des Paddocks. Aukje kam im Juli zur Welt und wurde gestern zu Christian Stark auf die Fohlenweide gebracht. Nun steht sie da, wie ein Kindergartenkind, das an seinem ersten Tag vom Morgenkreis ausgeschlossen wird.
«Pferde müssen nicht lernen zu kommunizieren. Ohren anlegen können auch schon Fohlen. Aber subtile Gesten zu erkennen und Kommunikation zu interpretieren – darauf kommt es bei Jungpferden an», erklärt Miriam Baumgartner, Veterinärmedizinerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Schweizer Nationalgestüts von Agroscope (SNG). Deswegen sind die36 Jungpferde bei Christian Stark. Im Frühjahr kommen die Fohlen in der Regel zur Welt und werden ein halbes Jahr später, im Spätherbst, von ihren Besitzern auf die Fohlenweide gebracht. Dort stehen dann Spielen, Fressen und Raufen sowie gegenseitige Fellpflege und Freundschaften auf dem Tagesprogramm. In dieser Zeit dreht sich das Leben der Jungpferde darum, soziale Grenzen und Gesten verstehen zu lernen und mentale und körperliche Fitness aufzubauen. Auf der Fohlenweide leben sie rund zwei Jahre, bis sie dann zu den Besitzern in ihr neues Zuhause ziehen. Pferde müssen laut Gesetz bis zu einem Alter von 30 Monaten oder bis zum Beginn ihrer regelmässigen Nutzung, etwa im Dressur-, Spring- oder Westernreiten, in Gruppen gehalten werden.
Christian Stark hat seinen Betrieb, der früher ein klassischer Milchviehhof mit einigen Zuchtsauen war, umgestellt und betreibt heute eine Fohlenaufzucht. Dort hält er eine Hengstgruppe mit maximal 18 Tieren sowie eine gemischte Gruppe aus Stuten und Wallachen mit 25 Pferden. Üblicherweise wachsen Fohlen in gleichaltrigen Gruppen auf – Jährlinge und Zweijährige werden also getrennt. Doch Stark verfolgt einen anderen Ansatz: «Bei mir leben alle Jahrgänge gemeinsam.» An der langen Heuraufe der Stuten- und Wallachgruppe fressen auch zwei ältere Stuten mit. «Sie sind sozusagen die Tanten der Herde», erklärt er. Ihm ist eine möglichst durchmischte Herde wichtig. So ergänzt Stark: «Deshalb stehen alle Altersgruppen und Rassen zusammen. Je diverser, desto besser sind die Tiere sozialisiert.»
Alle Farben und Rassen
Christian Starks Haltung wird auch wissenschaftlich unterstützt: Miriam Baumgartner vom SNG unterstreicht, wie stark Pferde davon profitieren, in gemischten Herden aufzuwachsen. «Je mehr Farben und Rassetypen die Jungpferde kennen, desto eher können sie diese später auch akzeptieren. Diese Phase ist entscheidend für ihre Sozialkompetenz in ihrem weiteren Leben», erklärt die Forscherin. Und die Vielfalt ist bei Stark tatsächlich beeindruckend: Vom Freiberger über American Quarter Horse und Pura Raza Española bis hin zum Shire-Horse-Jährling, der mit seiner Grösse bereits die älteren Pferde überragt – hier leben alle Rassen und Altersstufen gemeinsam. «Ich behandle alle gleich», sagt Stark.
Dass dieses Haltungskonzept funktioniert, verdankt er einem technischen Helfer, der sich rechts vom Gruppenstalleingang befindet: Dort gibt es einen zweiten Eingang zum Fütterungsautomaten. Der kleine Quarter-Horse-Wallach Lars zeigt, wie das System läuft. Um seinen Hals trägt er ein Band mit einem implantierten Chip. Sobald er durch den kurzen Gang zur Fütterungsvorrichtung trottet, erkennt das Lesegerät seinen Chip und Lars bekommt genau die Ration Kraftfutter und Mineralstoffe, die er wirklich braucht. Junghengste erreichen um ihren ersten Geburtstag herum die Geschlechtsreife. Aus diesem Grund werden sie in einer separaten Gruppe gehalten. In jener lebt auch Embolo, Christian Starks Fohlen. Als Hobby züchtet er mit seiner Frau Pferde. Die meisten von Embolos Kumpanen verlassen die Fohlenweide aber ohne Hoden, sie werden als Zweijährige kastriert. «Wenn ich aber das Gefühl habe, ein Hengst hat zu viel Stress, wenn die Stuten auf der Weide nebenan sind, bitte ich die Besitzer, ihn etwas früher zu kastrieren.» In der Gruppe tummeln sich deshalb auch Wallache, die nach der Kastration in der gewohnten Herde bleiben.
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Heimweh
Wegweisend für das Leben eines Pferdes ist das Absetzen von der Mutter, erklärt Miriam Baumgartner. Absetzen bedeutet, dass das Fohlen aufhört, bei der Mutter zu trinken, und somit unabhängig von ihr wird. Ohne menschliche Eingriffe passiert das ganz natürlich nach acht bis zehn Monaten. «Das Absetzen ist ein Prozess. Fohlen beginnen immer weniger bei der Mutter zu saugen. Sie werden heute meist im Alter von sechs Monaten abgesetzt – das ist eigentlich zu früh.» Im Idealfall solle die Trennung von Fohlen und Mutter Schritt für Schritt geschehen. Das bestätigt auch Christian Stark: «Am schlimmsten ist es, wenn das Fohlen zuvor noch nie von der Mutter getrennt war. Dann stehen sie die ersten Tage wiehernd am Zaun.»
Die kleine Aukje beobachtet ihre Artgenossen an der Heuraufe. Ihre erste Nacht hat sie wie alle anderen auch in einer Integrationsbox verbracht. «Nach dem Ankommen dürfen die Fohlen als Erstes den Gruppenstall allein erkunden, währenddessen die Herde auf dem Allwetterplatz ist. Danach schlafen die Neuankömmlinge in der Box und werden ausgiebig beschnuppert. Am nächsten Morgen dürfen sie dann das erste Mal zur neuen Herde», erklärt der Betriebsleiter Stark.
Sechs Hektaren Weideflächen schlängeln sich vom Hof aus über die Hügel in Richtung Jura – von März bis Oktober ist das die Spielwiese für die Jungpferde. Weil ihr Verdauungssystem sensibel auf zu schnelle Futterumstellungen reagiert, werden sie nach dem Winter nur langsam an das frische Gras gewöhnt. Zunächst dürfen sie täglich eine halbe Stunde auf die Weide, dann wird die Zeit Schritt für Schritt verlängert, bis sich ihre Darmflora an die neue Nahrung angepasst hat. In der Hochsaison können die Jungpferde dann selbst entscheiden, ob sie auf der Weide grasen oder sich im Gruppenlaufstall aufhalten möchten.
«Bei Fohlen ist das Entwurmen besonders wichtig», betont Christian Stark. Denn im Darm von Pferden können sich unterschiedliche Wurmarten einnisten – darunter grosse Strongyliden, Spulwürmer oder Bandwürmer. Die Symptome eines Wurmbefalls sind abhängig von der Art der Parasiten und davon, wie lange sie im Körper bleiben. Die Übertragung erfolgt meist über das Fressen: Die Pferde nehmen die Wurmeier oral auf und verbreiten sie über ihren Kot. Um die Belastung durch Würmer möglichst gering zu halten, werden die Tiere mehrmals im Jahr entwurmt. Zur Pflege gehört neben der Entwurmung auch die regelmässige Kontrolle der Hufe. Alle vier Monate kommt ein Hufschmied auf den Kaiserhof und kürzt das Horn, damit die Zehen nicht zu lang werden.
Vertrauen als Notwendigkeit
Christian Stark wirft einen prüfenden Blick auf Aukje. Zweimal täglich kontrolliert er alle Pferde auf Verletzungen. «Schrammen und kleinere Verletzungen gehören beim Toben und Rangeln dazu. Schlimmeres habe ich selten – im Schnitt muss der Tierarzt jedes Jahr insgesamt fünf Stiche nähen», sagt der Landwirt. Für die Tierarztkosten kommen die jeweiligen Besitzerinnen und Besitzer auf. Sie haben auch die Möglichkeit, ihr Fohlen gegen Tod oder Unfall zu versichern – eine Pflicht ist das auf dem Kaiserhof jedoch nicht. «Vertrauen ist das Stichwort. Einerseits der Pferde, andererseits der Besitzer. Und auch nicht jeder kann die Kontrolle abgeben», sagt Christian Stark. Einige der Besitzer besuchen ihre Fohlen an den Wochenenden. Spazieren gehen oder schon mit Zaum und Sattel auftauchen, sollten diese aber nicht, rät Christian Stark. Dieser merke allfällige Überforderung der jungen Tiere beispielsweise beim Hufschmied, wenn das Fohlen plötzlich nicht mehr stillhalten will.
«Mir ist es wichtig, dass die Jungpferde den Respekt gegenüber dem Menschen und den Grenzen, die er setzt, lernen», sagt Christian Stark. Auch Miriam Baumgartner vom SNG unterstreicht diesen Aspekt: «Jungpferde müssen lernen, dass auch der Mensch eine Individualdistanz hat und er deshalb seine Grenzen bestimmt und klar kommuniziert.» Neben Klarheit gehören auch Vertrauen und Einfühlungsvermögen zu den Grundpfeilern der Mensch-Pferd-Beziehung. Stark legt ein besonderes Auge auf jene Fohlen, die nicht gleich als Erste zum Gatter trotten. «Mit den Ängstlichen baue ich Vertrauen auf. Die haben das Kraulen meist nötiger», erklärt er. Obwohl Aukje noch unsicher ist, ist sie Stark gegenüber zutraulich. Nach einem Tätscheln wagt sie sich tollkühn an die grosse Heuraufe. Zunächst knabbert sie zögerlich, dann immer entschlossener – bis ihr Kopf schliesslich ganz im Heuberg versinkt.
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