Die Pferde tänzeln um Ruth Herrmann, stehen still, heben abwechselnd die Vorderbeine, trippeln eine Acht um die zierliche Frau, das Beige steigt nun sogar auf die Hinterbeine. Dann wieder legen sich beide hin, das Nussbraune wälzt sich gar am Boden. Ausgelassene Stimmung auf dem Trainingsplatz eines Pferdehofs etwas ausserhalb von Kappel (SO).

Ruth Herrmann, Esquimo und Franky sind eine Einheit. Die Veterinärin lächelt, schnalzt mit der Zunge, hebt mal den einen, dann wieder den anderen Arm. Setzt ihren Körper ein, um die Pferde in Bewegung zu bringen. Springt in leichtem Schritt mit. Sie kommuniziert mit ihrem Cruzado-Portugues-Wallach Esquimo und Franky, dem Connemara-Pony.

Die Pferde sind voller Neugier und Tatendrang. Manchmal verhalten sie sich neckisch, dann wieder spielerisch, und es scheint, als blicke Schalk aus ihren Augen. Ruth Herrmann lacht, streichelt die Mähne, berührt den Rücken mit der Gerte, einem dünnen, biegsamen Stab.

Freiheitsdressur: Kommunikation und Vertrauen

Alles sieht leicht aus, als ergebe es sich einfach so. Dass das aber so gut funktioniert, ist nur möglich dank jahrelanger Arbeit mit den Tieren und der Fähigkeit von Ruth Herrmann, Pferde lesen zu können. Als sie eine leichte Unsicherheit bei Franky bemerkt, weiss sie sofort, dass ihn ein Pflug verunsichert, der gegenüber des Trainingsplatzes steht. «Komm!» fordert sie ihr Pferd auf und führt es an der Longe langsam zum Pflug. Sie spricht beruhigend mit dem Tier, es sieht sich um – und kapiert, dass keine Gefahr vom Landwirtschaftsgerät ausgeht. Wieder in der Pferdekoppel, trabt Franky an der Longe mit gesenktem Kopf im Kreis. «So kann er sich korrekt aufspannen», sagt Ruth Herrmann.

Was so spielerisch aussieht, ist keine Zauberei, sondern Freiheitsdressur. «Jedes Pferd kann dies lernen», sagt Ruth Herrmann.

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Keine Routine einreissen lassen

Die Tierärztin ist Präsidentin des Vereins Freiheitsdressur Schweiz. Sie kennt sowohl die Seite der Pferdehalterin als auch diejenige des Zirkus. Im Zirkus Monti präsentierte sie einst die Pferdenummer und war während drei Jahren auf Tournee. Als Veterinärin mit Zusatzausbildung zum Tierverhalten blickt sie zudem tief in die Pferdeseele. Heute beschäftigt sie sich beruflich mit Verhaltensproblemen von Pferden und Katzen. «Ich musste mich beschränken», sagt die Leiterin von Kursen für Pferdefreundinnen und Pferdefreunde und fügt an, dass manchem vordergründig medizinischen Problem eine Verhaltensauffälligkeit zugrunde liege. Wenn ein Pferd zum Beispiel abkaue, dann entspanne es sich. Das Verhalten trete aber auch auf, um Stress abzubauen. Es muss richtig gedeutet werden.

Esquimo und Franky scheinen Ruth Herrmann förmlich aufzufordern, dass sie ihnen wieder einen Impuls zu neuen Trabformationen gibt. «Es ist wichtig, dass ein Pferd nicht einfach etwas Einstudiertes abspielt, sondern stetig mit dem Menschen kommuniziert.» Darum lasse sie ihre Pferde die Übungen immer wieder in anderer Abfolge vornehmen, sagt Ruth Herrmann.

Grundlagen des Trainings

Esquimo, Franky und Ruth Herrmann sind Routiniers. Was aber, wenn ein Pferd die Grundlagen überhaupt nicht kennt? «Erster Schritt ist, dass das Pferd Vertrauen gewinnt, zum Beispiel die Gerte als verlängerten Arm sieht und keine Angst davor hat», sagt Ruth Herrmann. Dann gehe es darum, dass es lerne, auf Signale zu reagieren. «Irgendeine Reaktion, die das Pferd zeigt, wenn es angetippt wird, belohne ich.» Erst später würde an der Reaktion gearbeitet. Gerte hoch, heisse beispielsweise kommen, Gerte unten, bedeute weichen. «Diese Zeichen kann ich auch nur mit den Armen setzen», ergänzt Ruth Herrmann. Das Endziel sei, dass ein Pferd ohne Longe mit der Trainerin agiere und die Verbindung gehalten werden könne. «Es hat dann verstanden und ist motiviert.»

Positive und negative Verstärkung

Eine Belohnung in Form eines kleinen Rüeblistücks muss in dem Augenblick erfolgen, wenn das Pferd etwas richtig gemacht hat. «Weil das oft nicht möglich ist, rufe ich das Wort ‹Keks›. Das funktioniert dann wie ein Klicker. Das Pferd weiss, durch dieses Brückensignal, dass es eine Belohnung gibt.» Das Konditionierungslernen ist wichtig für die gegenseitige Verständigung. Die Konditionierung gehört zum Lernen wie die Grammatik zur Sprache; man muss sich ihrer nicht bewusst sein und trotzdem spielt sie eine wichtige Rolle. «Wenn man weiss, wie Konditionierung erfolgt, kann man sich dem Pferd besser verständlich machen, das Training wird effektiver und pferdefreundlicher», betont Ruth Herrmann. Sie sieht sich als Tierlehrerin, nicht als jemand, der in der Pferdehierarchie zuoberst steht und Dominanz ausübt. Sie sagt: «Die Forschung hat gezeigt, dass Pferde nicht in Hierarchien leben, so wie wir Menschen dies verstehen. Wildlebende Pferde haben vielfältige Beziehungsstrukturen. Es gibt Freundschaften, aber auch Tiere, die sich nicht so mögen.» Nur der Hengst habe die Aufgabe, die Gruppe vor Gefahr zu schützen und sie zusammenzuhalten. Er decke zudem die Stuten. Das Beziehungsgeflecht innerhalb der Gruppe gehe aber viel weiter.

Wenn ein Pferd etwas macht, das gewünscht wird und einen Leckerbissen erhält, wird das positive Verstärkung genannt. Ruth Herrmann setzt aber auch negative Verstärkung ein. Sie erklärt, was das bedeutet: «Bei der negativen Verstärkung nehme ich einen Reiz weg, sobald das Tier beginnt, das gewünschte Verhalten zu zeigen. Im Training wird das gewünschte Verhalten so in kleinen Schritten eingeübt.» Das Wort «negativ» bedeutet in diesem Sinn nichts Schlechtes.

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Diese Art des Lernens spiele im Umgang mit Pferden immer auch eine Rolle. Es sei schon rein physisch nicht möglich, ein Pferd an einem Strick festzuhalten, so wie das etwa bei einem kleinen Hund möglich sei. Esmüsse also lernen, am Strick zu gehen. «Das lernt es früh in der Ausbildung, und wenn es nicht zu stark in Angst versetzt wird, lässt es sich ein Leben lang am Strick führen. Wenn das Pferd dem leichten Druck am Strick nachgibt, ist das negative Verstärkung.»

Ruth Herrmann sieht sich als Trainerin und Lehrerin. Sie sagt: «Ich fördere kognitive und physische Leistungen beim Pferd.» Der Begriff kognitiv umfasst die Funktionen der Wahrnehmung, des Lernens, Erinnerns, Denkens und Wissens. Sie fördere Neigungen und Begabungen ihrer Pferde. «Esquimo beispielsweise ist ein Athlet, er steigt gut, also trainiere ich das.»

Ruth Herrmann ist eine Vertreterin der Verantwortungsethik. «Wir übernehmen unsere Verantwortung für das Tier und befähigen es mit geeignetem Training, mit uns zu leben.» Das habe mit Ermächtigung zu tun. «Das Tier soll in der Lage sein, mit verschiedenen Situationen umgehen zu können.» Schliesslich sei das Pferd während Jahrtausenden dazu selektioniert worden, mit dem Menschen zu interagieren und auf ihn zu hören.

Franky schnaubt und versucht, Esquimo zu necken, indem er ihn leicht in die Flanke beisst. Esquimo kennt das, er reagiert gelassen, trippelt lediglich etwas zur Seite. Ruth Herrmann lächelt, streicht über die Flanke und legt den Pferden das Halfter an, um sie zurück in den Stall zu führen. Ein Dreiergespann, das sich versteht.

Libertasio: Faszination Pferd – Hufklang, Harmonie, HumorPoetische, humorvolle und imposante Freiheitsdressurdarbietungen, vom Esel bis zum Pferd, werden von Mitgliedern des Vereins Freiheitsdressur Schweiz in festlichem Rahmen im Nationalen Pferdezentrum, Mingerstrasse 3, 3014 Bern, präsentiert. Tragendes Element der Show ist die Freiheitsdressur, nebst klassischer Reiterei und Humorvollem. Ruth Herrmann führt mit ihrem Pferd Esquimo eine humoristische Nummer auf, die lediglich auf Zeichen basiert.

Die Freiheitsdressur erleben Sie am Wochenende des 26. (20 Uhr), 27. (20 Uhr), und 28. Septembers (11 Uhr).
Billette unter: freiheitsdressur-schweiz.ch – Show Libertasio