Hufschlag und Hopfenduft
Mit den Brauereipferden auf Bier-Tour in Rheinfelden (AG)
Seit über hundert Jahren prägen Brauereipferde das Bild des aargauischen Städtchens Rheinfelden. Vor allem der Sechsspänner ist Sujet vieler Fotos. Ein Blick in die Stallungen der Feldschlösschen-Pferde.
Aramis zuckt mit der Lippe, die Augen halb geschlossen, seine Ohren hängen etwas seitlich an seinem Kopf. Der 16-jährige Belgische Kaltblutwallach döst vor sich hin. An seiner Seite: Lord, ein Jahr jünger und genau so entspannt. Die beiden Pferde wissen wahrscheinlich nicht, dass sie fast schon Teil eines Zeitzeugnisses sind. Schon bald klappern ihre Hufe über das Kopfsteinpflaster des kleinen Städtchens Rheinfelden. «Wahrscheinlich hat das vor über 100 Jahren gleich geklungen», meint der 35-jährige Cédric Gysin, der die wöchentliche Kundentour mit den beiden Kaltblutwallachen fährt. Die Bierbrauerei Feldschlösschen beliefert jeden Donnerstag die ansässigen Kunden mit dem Pferdegespann. «Natürlich wäre die Belieferung per Lastwagen viel effizienter», doch darum gehe es nicht, betont er. Auf Kundschaft zu gehen, sei ein Privileg. Der grosse Bierwagen biegt um eine enge Ecke in der Altstadt und fährt beim ersten Kunden vor, der Piazza Bar. Die Besitzerin steht schon vor der Türe und grinst, als sie das Gespann kommen sieht. Die beiden Kaltblutwallache sind eine Wucht – 1,7 Meter gross und wiegen je fast eine Tonne. Auch ein kleines Mädchen ist von diesen Ausmassen beeindruckt: Sie wird von ihrer Grossmutter auf den Armen getragen, beim Vorbeigehen sieht sie die Tiere mit funkelnden Augen an und murmelt: «Rössli.»
Die Rössli von Feldschlösschen haben mehrere Aufgaben – doch berühmt sind sie für den Sechsspänner. Dabei wird ein grosser Festwagen aus leeren Bierfässern von sechs stattlichen Kaltblütern gezogen. Die Tiere bewegen das Dreifache ihres eigenen Körpergewichts – der drei bis vier Tonnen schwere Wagen ist also für die trainierten Pferde kein Problem. Jährlich ist das einzigartige Gespann an über 60 Anlässen zu sehen. Exklusiv übrigens, denn keine andere Schweizer Brauerei hat noch einen Sechsspänner-Bierwagen. Zum Stallteam von Feldschlösschen gehören drei Fuhrmänner, sechs Belgische, zwei Süddeutsche Kaltblüter sowie seit Neustem ein Süddeutsches Kaltblutfohlen. Das Dreierteam der Fuhrmänner wird komplementiert durch Hansruedi Blatter. Das Oberhaupt des Ganzen: der 54-jährige Peter Nussbaumer. Seit 17 Jahren sei er dabei und fahre wahrscheinlich länger Kutsche, als er gehen könne, erzählt er. Privat züchtete er früher Freiberger und hat auch heute noch einen eigenen Fahrbetrieb. «Es ist wunderschön, das Hobby zum Beruf machen zu können», sagt der gelernte Dachdecker. Grossanlässe lassen sein Herz immer noch höherschlagen: «Als ich am Eidgenössischen Schwingfest 2022 in Pratteln in die grosse Arena einfahren durfte und mir dabei 50 000 Augenpaare zusahen, hatte ich Hühnerhaut.»
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Zwischen Tradition und Moderne
Die Feldschlösschen-Pferde sind aber nicht nur national als Werbebotschafter unterwegs, sondern waren und sind ein wichtiger Teil von Rheinfelden. Sie sind auf den wöchentlichen Auslieferungen, bei eidgenössischen Festen, bei Jubiläumsanlässen ihrer Kunden oder auch in der Adventszeit immer wieder im Rheinfelder Städtchen anzutreffen. Wie sehr die Feldschlösschen-Pferde hierhergehören, wird auch an diesem Donnerstagmorgen klar. Die beiden Kaltblüter stehen unter einer Linde und warten geduldig, bis Cédric Gysin die Getränke abgeladen hat. Als eine ältere Dame am Wagen vorbeigeht, erzählt sie, dass das Feldschlösschen-Gespann einfach zu Rheinfelden gehöre. Es wird gegrüsst, geschmunzelt und gewunken, wenn die massigen Rösser mit ihrem Fuhrmann durch die Gassen ziehen. Was der Reiz am Gespann ausmacht? Eine Frage, die die beiden Fuhrmänner Gysin und Nussbaumer unisono beantworten: «Tradition. Das Pferdegespann löst Freude aus und wir können die Bevölkerung über die Tradition aufklären und unsere Marke vertreten.» Auch Esin Celiksüngü, die Kommunikationsbeauftragte von Feldschlösschen, betont, dass Tradition und Moderne bei Feldschlösschen Hand in Hand gehen. Der Trend hin zu alkoholfreien Getränken solle genauso Platz haben in der Marke wie der Brauerei-Sechsspänner. Alt und neu trifft auch auf dem Gelände aufeinander: Der Pferdestall, indem schon die Feldschlösschen-Pferde, welche 1876 das erste Bier auslieferten, standen, liegt mitten auf dem Areal der Feldschlösschen-Brauerei gleich neben dem modernen Bürogebäude. Und um zum historischen Stall zu gelangen, fährt man an grossen Lagerhallen und Parkplätzen vorbei. Obwohl der Stall alt ist, sind die Boxen gross, und gleich im Anschluss beginnt das Grün des Betriebs: Die Fuhrmänner betreuen nicht nur die acht Pferde, sondern bewirtschaften sechs Hektaren Land – grösstenteils für das eigene Heu – und natürlich die Weiden.
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Und auch der Alltag im und um den Stall hat Tradition: Um 6.30 Uhr beginnt der Tag der drei Fuhrmänner mit Füttern, Misten und Putzen der Pferde. Nach dem Znüni geht es auf Fahrt. «Während der Woche sind es meist Trainingsfahrten in ganz unterschiedlichen Kombinationen», erklärt Cédric Gysin. Es wird zweispännig, vierspännig und manchmal sogar sechsspännig gefahren. Nach dem Mittagessen folgen Umgebungsarbeiten, denn die Fuhrmänner kümmern sich auch um den Umschwung des Feldschlösschen-Geländes. Danach geht es weiter im Stall, nochmals mit Füttern und Misten. Peter Nussbaumer, der Chef der Garde, betont, dass schätzungsweise 60 Prozent der Arbeit mit Putzen zu tun habe. Dazu gehört nicht nur das Reinigen der Pferde und der Boxen, sondern auch der Geschirre und Wagen. Unter der Woche werden auch die Sechsspänner-Auftritte vorbereitet. Peter Nussbaumer nennt diese Mission eine «Materialschlacht». Angerückt wird mit einem grossen Lastwagen, in dem die sechs Pferde untergebracht sind, einem Anhänger für den wuchtigen Bierwagen und noch einem 3,5-Tonnen Lieferwagen mit dem ganzen Material für Fuhrleute und Pferde. An manchen Anlässen sei man mehrere Tage gemeinsam unterwegs, erzählt Peter Nussbaumer, «da wird man fast zu einer Familie».
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Bier per Ross
Doch das Schönste an ihrem Job seien die Reaktionen der Menschen. «Wir leben in so einer schnellen Welt. Daher ist es umso schöner, wenn die Leute uns sehen und kurz innehalten, um das Gespann zu beobachten. Ein solches Bild sehen die Leute fast nirgends mehr», erzählt Peter Nussbaumer. So hält auch eine von Cédric Gysins Lieblingsgeschichten genau dies fest: Eine alte Dame durfte ausnahmsweise bei ihm auf dem Bock mitfahren. Als sie neben ihm sass und mit dem Gespann durch die Altstadt fuhr, kamen ihr die Tränen. Sie sei nicht etwas verrückt, habe sie zu Cédric Gysin gesagt, «aber es ist einfach so schön». Dass das Gespann solche Gefühle und auch Erinnerungen wecken kann, gefällt ihm besonders. Dies wird auch verdeutlicht, als der Wagen auf der Rückfahrt an einer Baustelle vorbeifährt. «Wollt ihr ein Bier für den Feierabend?», ruft Gysin den beiden Bauarbeitern zu, die das Gespann mit grossen Augen begutachten. Geschwind fischt Gysin unter dem Bock ein paar Bier hervor. Solche Aktionen würden einfach dazu gehören, erzählt er, während Aramis und Lord den Feldweg hoch zum Schlösschen trotten. «Als Fuhrmann bei Feldschlösschen darf man nicht introvertiert sein», meint der 35-Jährige schmunzelnd. Auch der Feldschlösschen-Stall wird regelmässig besucht, er ist Teil der Führungen und viele Gäste des Feldschlösschen-Restaurants wollen zum Dessert noch kurz eine Pferdenase streicheln. «Und wenn dann die Besucher Fragen haben, erklären wir Fuhrmänner natürlich gerne unsere Arbeit», sagt Gysin.
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Zurück im Stall berichtet Peter Nussbaumer von ihrem neusten Teammitglied: Amber. Das Süddeutsche Kaltblutfohlen ist knapp drei Monate alt und steht mit seiner Mutter Lara in einer grossen Box. Das Dunkelfüchschen liegt genüsslich in der Einstreu. Es sei etwas ganz Besonderes, das Aufwachsen eines Pferdes von Beginn an mitzubekommen, schwärmt Nussbaumer. Seit Aramis 2008 zur Welt kam, hatte Feldschlösschen kein Fohlen mehr. Normalerweise werden die Pferde jung bei einer Zucht in Belgien oder Süddeutschland gekauft. Und obwohl diese eine solide Grundausbildung hätten, müsse man auch sie an die vielen Reize gewöhnen, die zum Leben eines Brauereipferdes gehören: Menschenmassen, laute Geräusche, Verkehr und Hektik. «Die Kombination des Sechsspänners mit den schweren Kaltblütern, dem Bier und drei vor Freude und Stolz strahlenden Fuhrmännern macht es einfach einzigartig, hier zu arbeiten», schwärmt Peter Nussbaumer.
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