Schweizer Startups
So clever retten diese Schweizer unser Essen vor dem Müll
Lebensmittelverschwendung hat grossen Einfluss auf unseren CO2-Fussabdruck. Auch in derProduktion und Industrie fallen jede Menge Abfallprodukte an. Diese Schweizer Startups nutzen siefür ihre Produkte.
Die Schweiz belegt in Europa einen der Spitzenplätze, wenn es um Lebensmittelabfälle geht – das zeigt der «Food Waste Index Report 2024» der UNO. Pro Kopf gerechnet landen hierzulande laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) jedes Jahr rund 330 Kilogramm Lebensmittel, also insgesamt etwa 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel, in der Tonne. Schaut man genauer hin, fallen laut BAFU etwa 38 Prozent der vermeidbaren Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten an, gefolgt von der verarbeitenden Industrie (27 Prozent), der Gastronomie (14 Prozent), der Landwirtschaft (13 Prozent) und dem Detailhandel (8 Prozent). Doch es gibt zunehmend Schweizer, die anpacken, Mut machen und heute schon dem Foodwaste im grossen Stil den Kampf angesagt haben, indem sie Reste intelligent nutzen.
Kreative Lösungen für Industriereste
Sojamilch und Tofu sind seit vielen Jahren aus den Regalen der Supermärkte nicht mehr wegzudenken. Was bei der Verarbeitung der Sojabohnen übrig bleibt, ist das Fruchtfleisch, das sogenannte Okara. Jährlich fallen allein in der Schweiz rund 2000 Tonnen davon an. «Bis zu unserer Gründung landete ein Grossteil davon im Abfall oder bestenfalls in der Biogasanlage», sagt Nina Schaller, Co-Geschäftsführerin des Berner Startups Luya, «wir machen Fleischersatzprodukte daraus und konnten seit 2021 schon 37 Tonnen Okara vor dem Abfall retten.» Paniert oder geschnetzelt à la nature, in Teriyaki- oder Currymarinade, gibt es die proteinreichen Okara-Chunks mittlerweile auch bei Migros und Coop zu kaufen. Und die Idee dazu entstand an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften der Berner Fachhochschule (BFH). «Unser Mitgründer Michael Whyte hat Nebenströme der Lebensmittelindustrie untersucht underkannt, dass Okara nährstoffreich ist und geschmacklich überzeugt.»
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Das Jungunternehmen tüftelt auch bereits mit weiteren ungenutzten Nebenprodukten, mit dem Ziel, sie in genussvolle Lebensmittel zu verwandeln: «Wirhaben bereits erfolgreich mit Biertreber und Presskuchen aus der Ölherstellung experimentiert. Erste Ergebnisse sind vielversprechend», verrät Nina Schaller.
«Nur 14 Prozent der Molke werden direkt für Lebensmittel genutzt.»
Doris Erne, Wheycation Gründerin
Ein weiteres Startup, das sich veganen Produkten verschrieben hat, ist EggField aus Illnau-Effretikon (ZH): «Wir haben einen pflanzlichen Ei-Ersatz entwickelt und nutzen dafür das Kochwasser von Hülsenfrüchten», sagt Gründer Silvan Leibacher. Dieses würde in der Lebensmittelindustrie im grossen Stil etwa bei der Herstellung von Convenience-Produkten, Konserven und Tiefkühlware anfallen. «Bisher wurde diese Flüssigkeit einfach in der Kanalisation entsorgt, dabei ist dieses Kochwasser reich an pflanzlichen Proteinen, Stärke und löslichen Ballaststoffen», sagt Leibacher; «diese Mischung bietet emulgierende, schäumende, bindende und gelierende Eigenschaften – ganz ähnlich wie Hühnerei.» Gastronomiebetriebe, Bäckereien und die verarbeitende Industrie nutzen zunehmend die EggField-Produkte, darunter flüssiges Aquafaba, welches wie Hühnereiweiss aufgeschlagen werden kann, aber auch pflanzliche Protein-Pulver, die wahlweise Eiweiss, Eigelb oder Vollei ersetzen – und so Torten, Saucen und Gerichte fluffig, cremig oder standfest machen. «Wir haben bereits Tonnagen im hohen zweistelligen Bereich dieser flüssigen Produktionsnebenströme zu Ei-Alternativen verarbeitet», so der Gründer.
Im Käseland Schweiz gibt es einen weiteren flüssigen Nebenstrom, der oft nicht genutzt wird: Molke. «Das ist jener Teil der Milch, der beim Käsen nicht im Käse landet – aber auch dieser Teil enthält wichtige Nährstoffe, wie hochwertige Proteine, Mineralien, Vitamine und Milchzucker», erklärt die Wheycation-Chefin Doris Erne. Seit 2018 bietet das Unternehmen aus Jona (SG) Sportgetränke und Proteinpulver an und nutzt dafür bisher ungenutzte Molke. Allein im vergangenen Jahr haben Doris Erne und ihr Team circa 50 Tonnen Molke verarbeitet. «In der Schweiz fallen jährlich über eine Million Tonnen Molke bei der Käseproduktion an und nur etwa 14 Prozent davon werden direkt für Lebensmittel genutzt. Der grösste Teil landet in Tierfutter, Biogasanlagen oder wird entsorgt», sagt Erne, «das ist doch schade. Wir möchten diesen Schweizer Rohstoff in der Schweiz nutzen, vor Ort weiterverarbeiten und so zu einer intelligenten Kreislaufwirtschaft beitragen.» Das Jungunternehmen ist auch Akteur des Projekts «Upcycling Swiss Whey», welches über 50 Expertinnen und Experten aus Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft, Gastronomie und Handel gemeinsam nach neuen Anwendungsmöglichkeiten für Molke suchen lässt. Gefördert wird das Projekt von der Avina-Stiftung, die sich für das Essen von morgen einsetzen möchte.
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Auch Technologie kann helfen
Weitere Schweizer Gründer haben spezielle Technologien entwickelt, die dabei helfen sollen, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, wie zum Beispiel Kitro aus Ecublens (VD): Naomi MacKenzie und Anastasia Hofmann haben mit Unterstützung einer gemeinnützigen Organisation der ETH 2017 einen ersten Prototypen entwickelt: «Eine Art intelligenten Abfalleimer, welcher alle weggeworfenen Lebensmittel vollautomatisch wiegt, fotografiert, identifiziert und protokolliert», erklärt MacKenzie. «Die Datenerkenntnisse sollen der Gastronomie dabei helfen, Foodwaste und Kosten zu sparen, denn die Fotos und Daten zeigen genau wo, wann und warum Lebensmittel verschwendet werden.» Auf die Idee kamen die beiden Gründerinnen während des Studiums an der École hôtelière de Lausanne. «Wir haben während des Studiums in Grossküchen gejobbt und waren schockiert, wie viel Essen weggeworfen wird.» Denn oft wird zu viel zubereitet oder die Portionengrössen auf den Tellern sind unangemessen. Seit Einführung des Produkts konnten mit der Kitro-Technologie schweizweit rund 4000 Tonnen Lebensmittelabfälle vermieden werden. «Dies entspricht rund zwei Millionen eingesparten Mahlzeiten», sagt Julijana Stula, Pressesprecherin von Kitro.
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Zu den Hauptnutzern der Technologie gehören Grossküchenbetriebe mit hohem Speisevolumen, speziell Hotelketten, Kantinen, Bildungseinrichtungen und Krankenhausküchen. «Nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Kunden profitieren davon», so Stula, «je nach Grösse und Betriebsart werden durch die Nutzung unserer Lösung Lebensmittelkosten in Höhe von 20 000 bis 100 000 Franken pro Jahr eingespart.»
Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung2022 hat der Bundesrat den «Aktionsplan gegen die Lebensmittelverschwendung» verabschiedet. Das selbsternannte Ziel: Gemeinsam mit Kantonen, Gemeinden und allen Akteuren entlang der Lebensmittelkette Massnahmen umzusetzen, die zur Halbierung des Foodwaste bis 2030 (im Vergleich zum Vergleichsjahr 2017) beitragen.
Kern des Aktionsplans ist eine branchenübergreifende Vereinbarung zur Reduktion der Lebensmittelverluste, welche von Unternehmen und Verbänden der Lebensmittelbranche unterzeichnet werden kann. Wer unterschreibt, verpflichtet sich dazu, die Halbierung der anfallenden Lebensmittelabfälle voranzutreiben. Eine Liste aller Akteure, die bereits unterzeichnet haben, ist online einsehbar (bafu.admin.ch). Noch in diesem Jahr möchte der Bund aktuelle Daten zu Lebensmittelverlusten auf allen Stufen veröffentlichen, um zu sehen, ob die bereits umgesetzten Massnahmen des Aktionsplans ausreichen.
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