Banken assoziieren wir mit wertvollen Gütern und – im Idealfall – mit gewinnbringenden Geschäften. Ein Bild, das auch für die nationale Genbank im waadtländischen Changins passt?

Durchaus. Was hinter unseren Mauern lagert, ist aus ernährungstechnischer und landwirtschaftlicher Sicht effektiv sehr kostbar. Die Genbank mit ihrer hohen genetischen Diversität ist eine Art Schatzkiste, in der man wühlen kann. Ähnlich wie eine Bank nehmen wir viele Daten auf und dokumentieren alles sorgfältig. Im Unterschied zu einem Finanzinstitut geben wir die hier gelagerten Sachen jedoch kostenlos ab.

Wieso braucht die Schweiz eine nationale Genbank?

Wir wissen nie, was auf uns zukommt, zum Beispiel beim Klimawandel oder bei neu auftretenden Pflanzenkrankheiten. Hier kommt die Genbank mit ihrem riesigen Fundus ins Spiel. Sie kann bei der Suche nach neuen, resilienteren Sorten matchentscheidend sein, wenn es mit den bestehenden Sorten Probleme gibt. Aber die Genbank geht auch auf die Konvention über die biologische Diversität zurück, die die Schweiz angenommen und sich so verpflichtet hat, die genetischen Ressourcen unseres Landes zu erhalten. Hinzu kommt: Sie sichert auch den Erhalt unseres kulturellen Erbes.

Glasscheiben, Tresore, Alarmanlagen: Schützt die Genbank ihren kostbaren Bestand ähnlich, wie wir es von Geldinstituten her kennen?

Wir haben einen Sicherheitsdienst, der dafür sorgt, dass sich nur berechtige Personen auf dem Gelände aufhalten. Auch ist unser Gefrierschrank, in dem das Saatgut lagert, abgeschlossen. Doch besonders wichtig ist: Duplikate unserer genetischen Ressourcen – rund 90 Prozent unseres Saatguts – sind in der Weltgenbank in den Spitzbergen eingelagert. Jedes Mal, wenn wir unser Saatgut vermehren, damit es lebensfähig bleibt, schicken wir neues Material in die «Svalbard Global Seed Vault» in Norwegen. Der dortige Samentresor ist eine zusätzliche Sicherung für die nationalen Genbanken, quasi ein Backup.

«Die Genbank wird laufend mit neuem Material angereichert.»

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Wie wichtig ist der arktische Tresor in diesen geopolitisch angespannten Zeiten?

Das hat der Fall von Aleppo eindrücklich gezeigt, als im Jahr 2011 während des Bürgerkriegs die dortige nationale Genbank zerstört wurde. Hier war es absolut entscheidend, dass vor dem Krieg Saatgutproben dupliziert und als «Sicherungskopien» in der Weltgenbank eingelagert wurden. Dank dieser Duplikate liess sich in Marokko die Genbank wieder aufbauen.

Welches sind die «Goldnuggets» in der Agroscope-Genbank?

Es gibt viele Sorten, die in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle beim Kampf gegen Pflanzenkrankheiten gespielt haben. Dazu gehört eine Weizensorte aus dem Münstertal, die ein Gen gegen Schneeschimmel enthält – eine Krankheit, die bei grossen Schneemengen auftaucht und dazu führen kann, dass Pflanzen unter der Schneedecke verfaulen. Auch in Japan taucht diese Krankheit in schneereichen Regionen auf, weshalb wir von dort eine Anfrage für die Münstertaler Sorte aus unserer Sammlung erhielten.

Wieviel und welche Sorten sind im Jahr 2025 bisher in die Sammlung aufgenommen worden?

Hinter uns liegt gerade eine grosse Tomatensichtung: Wir haben entschieden, dass wir 56 dieser neuenTomatensorten in die Genbank aufnehmen. Insgesamt werden in diesem Jahr fast 100 neue Gemüsesorten dazukommen. Auch beim Getreide nehmen wir pro Jahr etwa hundert Sorten aus dem Weizenzüchtungsprogramm auf. Das zeigt: Die Genbank ist nie abgeschlossen, sie wird laufend mit neuem Material angereichert.

Wer entscheidet, was eingelagert wird?

Unser Auftrag ist es, die genetische Diversität der Schweiz zu erhalten. Es muss sich also um Schweizer Material handeln oder eine kulturelle Bedeutung in der Schweiz haben, falls es sich um eine ausländische Sorte handelt. Nicht vergessen werden darf: Saatgut wurde schon immer über die Landesgrenze hinaus getauscht. Gerade beim Weizen lagern deshalb auch viele ausländische Sorten bei uns.

Welches ist die älteste Sorte in der Schweizer Genbank?

Eine sehr alte Schweizer Sorte ist «La Nonette de Lausanne» – ein Weizen, der schon 1880 beschrieben wurde. Oder die Sorte «Rouge de Gruyère», welche aus einem Feld in der Nähe von Bulle (FR) stammt.

Ist dieses Material heute noch keimfähig?

Effektiv. Wir säen jedes Jahr einen Zehntel der ganzen Genbank aus und ernten frische Samen, die wir wieder einlagern.

Von über 30 000 essbaren Pflanzenarten werden heute nur noch etwa 150 angebaut. Welchen Sinn macht es, tausende von Sorten zu sammeln, wenn auf den Äckern und Tellern Ein- statt Vielfalt herrscht?

Im Vergleich zu früher, so zumindest mein Eindruck, ist das Angebot in unseren Läden immens. Klar ist: Was der Konsument wünscht, das wird produziert. Wenn es keine Nachfrage nach einer Sorte gibt, verschwindet sie natürlich, denn es wird nur das angebaut, was auch gekauft wird. In der Genbank jedoch bleibt die Sorte erhalten. Wenn die Nachfrage also wieder da ist, lässt sie sich vermehren bzw. produzieren. Wie vielfältig das Nahrungsangebot ist, entscheiden letzten Endes immer die Konsumenten. Beispielsweise auch durch die Wahl, wo sie einkaufen bzw. wo sie Vielfalt sehen wollen. Das kann im eigenen Garten, im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt sein.

Schnelles Wachstum und hohe Erträge sind heute in der Landwirtschaft gefragt – Kriterien, die viele alte Sorten nicht erfüllen. Wieso werden sie dennoch aufbewahrt?

Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich, auch seitens der Produzenten. Für den Wochenmarkt ist unter Umständen eine Sorte ideal, bei der nicht alles Gemüse gleichzeitig reif ist, damit zwei- bis dreimal pro Woche geerntet werden kann. Wer jedoch seine Ware dem Grossverteiler abliefert, benötigt eine Sorte, die gleichmässig wächst und gleichzeitig erntereif ist, weil einheitliche Ware gefragt ist. Im eigenen Garten wiederum kann es sich als sinnvoll erweisen, dass nicht alle auf einmal gesetzten Blumenkohle gleichzeitig reif sind. Auch allfällige Grössenunterschiede spielen hier keine Rolle.

Wie viele Muster gibt die Genbank durchschnittlich pro Jahr heraus?

Wir erhalten 500 bis 700 Anfragen pro Jahr. Wer bei uns Material bezieht, unterzeichnet immer einen Vertrag. Hier ist zum Beispiel geregelt, dass sich dieses Material nicht schützen lässt und dass grosse Gewinne aus dem Saatgut geteilt werden müssen.

Wer ist berechtigt, das in Changins gelagerte Gut zu beziehen?

Unser Saatgut ist vor allem für die Forschung, Züchtung und Ausbildungszwecke bestimmt. In Ausnahmefällen geben wir Material auch an Private ab, wenn jemand eine Nische bespielen möchte oder eine plausible Begründung hat, weshalb er Saatgut von uns beziehen möchte. Wir sind jedoch kein Samenhandel und wollen Unternehmen, die Saatgut mit teilweise auch alten Sorten vertreiben, nicht konkurrenzieren.