Acht Beine, acht Augen und einen wenige Millimeter grossen Körper: Mehr braucht es nicht, um sehr viele Menschen in Angst zu versetzen. Arachnophobie – die Angst vor Spinnen – gilt laut Universität Zürich als eine der häufigsten Phobien der Schweiz. Doch was ist an Spinnen eigentlich so zum Fürchten? «Die acht Beine ekeln mich am meisten», erzählt eine Betroffene. «Ihre Geschwindigkeit», begründet eine andere Person. Auch die unvorhersehbaren Bewegungsänderungen werden häufig genannt.

Menschen ohne Arachnophobie dürfte es schwerfallen, sich in die Lage einer betroffenen Person zu versetzen – zumal es in der Schweiz keine Spinnen gibt, die über ein genug starkes Gift verfügen, um uns Menschen ernsthaft schaden können. Dennoch kann bereits der Anblick einer Spinne bei Phobikerinnen und Phobikern Symptome wie Ekel, Schweissausbrüche oder Herzrasen auslösen. «Wenn immer möglich versuche ich, Spinnen aus dem Weg zu gehen», erzählt eine betroffene Person. Dies führe sogar dazu, dass sie einen Raum nach Spinnen absucht, bevor sie ihn betritt. Immer weiterführende Einschränkung des eigenen Lebens kann für Menschen mit Arachnophobie zum Problem werden.

Doch dagegen kann man ankämpfen. In der Schweiz gibt es mehrere Institutionen, die Angsttherapien anbieten. So beispielsweise auch der Zoo Zürich.

Schrittweise der Angst entgegentreten

Vor dem grössten Zoo der Schweiz besammeln sich an einem Samstagmorgen im September rund ein Dutzend Menschen. Sie alle haben zwei gemeinsame Nenner: Angst vor Spinnen und den Willen, dagegen vorzugehen. Letzteres wollen sie in dem vom Zoo Zürich organisierten halbtägigen Angstseminar erreichen. Die Seminare kosten knapp 300 Franken und finden mehrmals pro Jahr statt.

Die Kursleitenden, Verhaltenspsychologe André Angstmann und Biologe Samuel Furrer, holen die Gruppe ab und führen sie in einen Seminarraum auf dem Zoogelände. Dort setzen sich die Teilnehmenden in einen Kreis. Es folgt eine kurze Vorstellungsrunde; die Frauen und Männer erzählen, woher ihre Angst vor Spinnen rührt. Die Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Von «jemand hat mich im Kindergarten mit einer Spinne beworfen» über «habe mich schon immer vor Spinnen geekelt» ist vieles dabei.

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Die Anwesenden zeigen grosses gegenseitiges Verständnis; eine gewisse Anspannung ist spürbar. Schliesslich wissen alle, was sie am Ende des Kurses erwartet. «In einigen Stunden werdet ihr Bekanntschaft mit unserer Vogelspinne Cassiopeia machen», teilt Furrer der Gruppe mit. Einige schaudern. «Ich schaffe es jetzt doch nicht einmal, Bilder einer Spinne anzusehen», entgegnet eine Teilnehmerin. Psychologe Angstmann beschwichtigt: «Keine Bange – wir gehen Schritt für Schritt vor.»

Das Seminar beginnt mit Unterhaltungen rund um das Thema Spinnen, die jeweils paarweise geführt werden. Die Themen sind auf einem Papier festgehalten. Die obere linke Ecke ziert ein Bild einer Spinne. Eine Teilnehmerin kann das Foto aus Angst nicht berühren. «Ich weiss, wie irrational ich mich gerade aufführe. Ich lache mich kaputt ab mir selbst», sagt sie. «Es ist auch nicht leicht, was ihr da tut», entgegnet Angstmann. In der Psychologie unterscheide man Furcht und Angst. «Furcht – auch Realangst genannt – mahnt zur Vorsicht, schützt uns vor Gefahren und sichert somit unser Überleben», erklärt Angstmann. «Angst ist hingegen diffus, ungreifbar und zum Teil unberechtigt, weil aus Unkenntnis zu viel Fantasie vorhanden ist.»

Panikreaktionen und Phobien seien eine Steigerung davon. «Diese Angstformen beruhen auf mentalen Programmen, die mit etwas Übung geändert werden können.» Ziel sei es, die Bilder, die die Teilnehmenden mit Spinnen in Verbindung setzen, zu entknüpfen und andere Emotionen zu generieren. «Verbindet positive Adjektive mit Spinnen. Und stellt euch lustige Bilder von Spinnen vor», lautet der nächste Auftrag an die Gruppe. Wer gerne zeichne, solle sich auf diese Weise mit den Achtbeinern auseinandersetzen, rät Angstmann.

Mit diesen Übungen werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor ihr nächstes Zwischenziel des Tages gestellt: das Berühren eines grossen Spinnenbildes an der Wand. Und tatsächlich: Manche nähern sich dem an die Wand projizierten Foto zwar zögerlich, aber alle schaffen es, es zu berühren. «Wow, ihr seid super! In anderen Kursen sind zu diesem Zeitpunkt bereits sehr viele Taschentücher verbraucht worden», lobt Furrer die Gruppe. Der Biologe hat auch gleich die nächste Stufe des Angstseminars parat: eine ferngesteuerte Roboterspinne. Er lässt sie im Kreis herumwandern. Einige aus der Gruppe schaudern, manche ziehen die Füsse zurück, sobald die Spinne in ihre Nähe kommt. «Die ist viel schlimmer als das Foto von vorhin», meint eine Frau.

«Mit Wissen lässt sich vieles ändern»

Langsam geht es ans Eingemachte. Doch bevor die Teilnehmenden die lebendige Vogelspinne Cassiopeia kennenlernen dürfen, zeigt Furrer der Gruppe ihre Haut. Cassiopeia und ihre Artgenossinnen häuten sich viele Male in ihrem Leben.

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Die Haut einer Vogelspinne sieht auf den ersten Blick fast aus wie ein lebendiges Exemplar. Daher kostet es einige aus der Gruppe sichtbar viel Überwindung, sie zu berühren. Die Reaktionen danach sind sich ähnlich: «Sie fühlt sich unerwartet weich an», so mehrere Teilnehmende.

Furrer erzählt, dass Spinnen bereits vor über 350 Millionen Jahren existierten, verändert haben sie sich seither kaum. Weltweit sind heute über 40 000 Spinnenarten bekannt, rund 1000 davon leben in der Schweiz. Oft anzutreffen sind hierzulande Kreuzspinnen, grosse Kellerspinnen oder auch Wolfspinnen. Der Biologe zeigt den Körperbau von Spinnen; erzählt, wie die einzigartige Spinnseide gebildet wird und dass sie um ein Vielfaches reissfester und dehnbarer ist als künstlich hergestellte Stoffe. Furrers Begeisterung wirkt ansteckend, die Teilnehmenden stellen viele Fragen. «Ich hätte nie gedacht, dass Spinnen so faszinierend sind», meint eine Teilnehmerin. Sekunden später muss sie über ihre eigene Aussage lachen. «Heute Morgen wäre mir ein solcher Satz wohl noch nicht über die Lippen gekommen.»

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«Mit Wissen über das Tier lässt sich vieles ändern», erklärt André Angstmann. Doch um die Arachnophobie endgültig zu überwinden, braucht es Training. «Ich rate euch, euch auch in den nächsten sechs Wochen mit Spinnen auseinanderzusetzen», empfiehlt der Psychologe. «Schaut Dokus, zeichnet Spinnen, lernt noch mehr über sie!» Mittlerweile ist Mittag; die grösste Herausforderung steht den Teilnehmenden nun unmittelbar bevor. Cassiopeia wird in den Raum geholt. Samuel Furrer nimmt die Mexikanische Rotknie-Vogelspinne aus dem Terrarium und auf seinen Arm. «Wer will zuerst?» Einige nähern sich zögernd, andere entschlossen. Hier und da werden ein paar Tränen vergossen. Und doch geschieht, was die Teilnehmenden vor einigen Stunden wohl selbst nicht für möglich gehalten hätten: Alle schaffen es, Cassiopeia zu berühren.