Zu Unrecht schlechter Ruf
Wespen: zwischen Plagegeist und Retter
Die gelb-schwarzen Insekten gehören zu den sommerlichen Störenfrieden. Doch Wespen haben zu Unrecht einen schlechten Ruf – sie gehören eigentlich zu den Nützlingen. Während die einen sie rigoros bekämpfen, forschen andere daran, wie man sie gegen Schädlinge einsetzen kann.
Es summt bedrohlich auf dem Balkon. Die Mieterin ist alles andere als begeistert über ihre neuen Mitbewohnerinnen, denn ein Schwarm Wespen hat sich im Storenkasten direkt neben ihrem geliebten Sitzplatz häuslich eingerichtet. Ein Problem, das viele kennen dürften. Bei manchen löst schon der Anblick der gelb-schwarzen Hautflügler Panik aus. Bei der Studentin ist dies durchaus berechtigt, denn sie ist hoch allergisch auf das Gift der Wespen. Nach einer kurzen Rücksprache mit dem Vermieter ist der Fall klar: Die Wespen müssen weg. Dies, damit der sommerliche Frieden wieder hergestellt werden kann.
Wespen schützen ihre Nester gerne vor dem Regen in Ritzen oder unter Vordächern von Häusern. Das heisst, sie können in bestimmten Fällen für den Menschen gefährlich werden. Wo es unumgänglich ist, die Nester mitsamt ihren Bewohnerinnen zu entfernen, müssen Profis ans Werk. Die erste Ansprechpartnerin ist hier die Feuerwehr, die je nach Gemeinde die Arbeit entweder gleich selbst erledigt oder an einen örtlichen Schädlingsbekämpfer verweist. Es gibt auch einige wenige Spezialisten, die versuchen, die Nester umzusiedeln (www.umsiedlungen.ch). Denn entgegen der landläufigen Meinung sind Wespen nützliche Insekten, die eine wichtige Funktion im Ökosystem innehaben.
Klassisch in Gelb-Schwarz
Wespen gehören wie die Bienen zu den Hautflüglern. Von der Insektenordnung sind über 156 000 Artenbeschrieben, und wahrscheinlich warten noch viel mehr darauf, von der Wissenschaft entdeckt zu werden. Beim Begriff Wespen haben die meisten Menschen das Bild der typisch gelb-schwarz gestreiften Gemeinen Wespe (Vespula vulgaris) und ihrer ähnlich aussehenden Verwandten, der Deutschen Wespe (V. germanica), vor Augen. Die beiden Arten sind für den Laien nur schwer voneinander zu unterscheiden, sind aber genau diejenigen, die für den Grossteil des schlechten Rufs der Wespen verantwortlich sind. Sie bauen ihre Nester nicht nur gerne in der Nähe von Menschen, sondern sind auch jene Tiere, die gerne mal von unseren Tellern naschen. Die anderen in der Schweiz vorkommenden sieben Arten, die zu den sogenannten Echten Wespen zählen, sind denn auch nicht an menschlicher Nahrung interessiert. Allesamt sind sie ein nützlicher Bestandteil der Natur, dienen als Bestäuberinnen, ziehen ihre Brut mit Raupen, Fliegen und Spinnen auf und dienen zudem verschiedenen Vogelarten als Nahrungsquelle.
Zu den Echten Wespen gehört auch die Hornisse.
Zu den Echten Wespen gehört auch die Hornisse. Die wohl durch ihre Grösse beeindruckendste Wespenart wirkt jedoch bedrohlicher, als sie tatsächlich ist. In der Regel sind sie friedfertig und auch nicht an menschlicher Nähe interessiert. Sie ernähren sich primär von süssem Obst und füttern wie andere Wespenarten ihre Brut mit Insekten. Ihre Stiche sind entgegen der landläufigen Meinung auch nicht schmerzhafter als die anderer Wespenarten und sogar weniger schmerzhaft als Bienenstiche.
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Echte Wespen gehören zu jenen Insekten, die Staaten bilden. Ihre Nester bestehen aus trockenem Holz, das zu Kügelchen zerkaut eine papierartige Masse ergibt. Die Grösse der fertigen Nester unterscheidet sich je nach Volksstärke, die bis zu 7000 Tiere erreichen kann. Und um einen Staat zu gründen, baut die junge Königin ein neues Nest und legt jeweils ein Ei in die ersten Zellen. Die geschlüpften Larven füttert sie mit einem Brei aus zerkauten Insekten. Die Königin verströmt spezielle Duftstoffe, sogenannte Pheromone, die verhindern, dass sich die Larven zu befruchtungsfähigen Weibchen entwickeln. Stattdessen entstehen aus ihnen unfruchtbare Arbeiterinnen, die alle weiteren Arbeiten rund um das Nest und die Larvenaufzucht übernehmen. Einzig die Königin legt weiterhin Eier in die Zellen. Erst spät im Sommer entwickeln sich aus einigen Larven befruchtungsfähige Weibchen – die Königinnen der nächsten Generation. Gleichzeitig schlüpfen aus unbefruchteten Eiern Männchen, die sogenannten Drohnen, die sich mit neuen Königinnen aus einem benachbarten Volk paaren und dann sterben.
Nützlinge im Fokus
Nebst den typischen gelb-schwarzen Arten der Echten Wespen umfasst die Ordnung der Hautflügler Hunderte weitere in der Schweiz heimische Wespenarten. Zahlreiche wurden erst kürzlich entdeckt, und das nicht etwa auf Feld und Wiese, sondern in den Sammlungen der Naturhistorischen Museen Basel, Bern und auch Lausanne. Die drei Museen arbeiten aktuell ihre Sammlung an Schlupfwespen auf, eine besonders artenreiche Familie innerhalb der Hautflügler. Diese sind dafür bekannt, andere Insekten zu parasitieren. Sie tun dies mit den langen Legebohrern, die gerne als Stachel missinterpretiert werden. Damit injizieren sie ihre Eier in die Körper anderer Insekten und ihrer Larven, so auch in Schmetterlingsraupen oder Engerlinge von Käfern. Die geschlüpften Wespenlarven ernähren sich dann von ihren Opfern und töten diese damit. Wissenschaftlerinnen des Naturhistorischen Museums Basel konnten mittlerweile in den Sammlungen der Museen 200 bisher für die Schweiz unbekannte Schlupfwespenarten identifizieren, Tendenz steigend. Weltweit wurden bisher gar über 30 000 Arten von Schlupfwespen beschrieben, wobei die Zahl der Arten auf über 60 000 geschätzt wird.
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Schlupfwespen stehen auch im Fokus eines Projekts von Agroscope. Seit einigen Jahren beklagen die Walliser Landwirte nämlich einen neuen Plagegeist, die Bananenschmierlaus (Pseudococcus comstocki). Sie wurde wahrscheinlich 2015 aus Asien eingeschleppt und greift Aprikosen, Äpfel und Birnen an. Sie dringt in die Früchte ein und beschädigt diese derart, dass sie nicht mehr geniessbar und damit nicht mehr verkäuflich sind. Herkömmliche Insektizide scheinen der Laus überhaupt nichts auszumachen, und so führt ihre Gefrässigkeit jährlich zu Ertragseinbussen von bis zu 11 Prozent. In Zusammenarbeit mit dem Centre for Agriculture and Bioscience (CABI) in Delémont untersucht Agroscope daher den Lebenszyklus derBananenschmierlaus und sucht auf diesem Weg nach möglichen Bekämpfungsmethoden. Dabei kommt ein anderer Einwanderer ins Spiel, eine Schlupfwespenart mit dem wissenschaftlichen Namen Acerophagus malinus. Auch sie ist ursprünglich in der Schweiz nicht heimisch, sondern wurde vermutlich zusammen mit der Bananenschmierlaus eingeschleppt. In ihrer asiatischen Heimat hält sie die Laus in Schach, indem sie ihre Eier in die Schädlinge legt und diese somit tötet. Ihrem parasitären Lebensstil frönt sie auch in der Schweiz, allerdings sind die Wespen diesen Läusen zahlenmässig noch unterlegen.
WespengiftallergieIm Gegensatz zu Bienen behalten Wespen nach einem Stich ihren Stachel und können mehrfach zustechen. Meistens sind Wespenstiche harmlos, können jedoch bei manchen Personen zu schweren allergischen Reaktionen führen. Hierzulande sterben laut Allergiezentrum Schweiz jährlich drei bis vier Menschen an den Folgen von Wespenstichen, rund 3,5 Prozent der Bevölkerung reagiert allergisch. Eine Allergie zeigt sich durch das Anschwellen der Augen und des Gesichts, Erbrechen, Bauchschmerzen und Atemnot. Der Blutdruck kann abfallen und zu Bewusstlosigkeit, zu Atemstillstand oder zu einem Herz-Kreislauf-Kollaps führen. Diese schwere allergische Reaktion, eine sogenannte Anaphylaxie, kann lebensgefährlich sein. Wer glaubt, allergisch gegen Wespenstiche zu sein, der ist bei seinem Hausarzt an der richtigen Adresse. Über diesen können Allergiker ein Notfallset mit Antihistaminika, Kortison und auch einer Adrenalinfertigspritze für den Ernstfall beziehen. Zudem gibt es die Möglichkeit einer Immuntherapie oder Desensibilisierung. Nach einer Behandlung verlieren rund 95 Prozent ihre Allergie gegen Wespengifte, allerdings dauert sie zwischen drei und fünf Jahren.
Schlupfwespen als Retter
Im Sommer 2021 liessen die Forschenden daher Tausende der Schlupfwespen auf bestimmten Walliser Plantagen frei. Insgesamt schwärmten 10 000 Wespen auf 1000 Quadratmetern aus. Sie sollten zur Paarungszeit die ausgewachsenen Weibchen der Bananenschmierlaus parasitieren und die Schädlingspopulation reduzieren. «Der Anteil der von den Wespen parasitierten Bananenschmierläuse stieg um rund einen Viertel an», berichtet Projektleiterin Dominique Mazzi von den ersten Resultaten. Durch das gezielte Freisetzen der Schlupfwespe könnten Bananenschmierläuse in neu besiedelten Gebieten schneller eingedämmt werden, als dies natürlicherweise der Fall ist. Mazzi ist zuversichtlich: «Tatsächlich gab es 2022 keine nennenswerten Schäden in den beobachteten Plantagen mehr.» Dass die eigentlich nicht einheimische Schlupfwespenart selber zum Problem werden könnte, sei ausgeschlossen. «Die Wespe ist auf die Bananenschmierlaus spezialisiert», versichert die Biologin. Entsprechend bestünde auch die Möglichkeit, die Wespe gezielt in anderen Gebieten auszusetzen, wo die Bananenschmierlaus entdeckt wird, sodass der Schädling dort gar nicht erst zum Problem werden kann.
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Die Schlupfwespe Acerophagus malinus ist mit knapp mal einem Millimeter Länge geradezu winzig. Wesentlich beeindruckender sind einige einheimische Schlupfwespenarten wie die Holzschlupfwespe (Rhyssa persuasoria). Mit einer Körperlänge von bis zu 35 Millimetern übertrifft sie sogar die Hornissen, ist jedoch graziler gebaut und fliegt fast geräuschlos, sodass sie weniger auffällt. Der beeindruckende «Stachel» dient der Holzschlupfwespe nicht zur Verteidigung, sondern ist in Wahrheit ein Legebohrer zur Eiablage. Sie lähmt dabei Holzwespenlarven mit einem Giftstich so, dass diese zwar weiterleben, aber nicht mehr aktiv sind und wachsen. Daraufhin legt sie ihre Eier auf der Haut der Larve ab. Sobald die Holzschlupfwespenlarven geschlüpft sind, leben diese auf der tief im Holz verborgenen Holzwespenlarve und fressen diese im Laufe ihrer Entwicklung praktisch komplett auf. Danach spinnen sie einen Kokon im Gang der Holzwespenlarven, überwintern darin und verpuppen sich im Frühling und schlüpfen als ausgewachsene Holzschlupfwespen, um sich zu verpaaren und im Falle der Weibchen ein neues Opfer zu suchen. Trotz ihrer beeindruckenden Erscheinung sind sie für Menschen und Haustiere jedoch völlig harmlos.
Wie ihre winzige Verwandte aus Asien bei uns, wird die Holzschlupfwespe mancherorts zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Unter anderem soll die Schlupfwespe die Blaue Fichtenholzwespe (Sirex noctilio) in Schach halten. Sie wurde aus Europa fast weltweit eingeschleppt und sorgt zusammen mit einem Pilz, den sie in sich trägt, für grosse Schäden in den Wäldern Australiens, Südafrikas, Nord- und Südamerikas. In einem speziellen Organ im Hinterleib trägt die Fichtenholzwespe Sporen des Braunfilzigen Schichtpilzes und überträgt diese über ihre Eier und Larven auf das Holz von Bäumen. Der Pilz zersetzt das Holz und hilft dabei der Larve, sich tiefer in den Baum zu graben. Zudem ernährt sich die Larve im ersten Stadium von dem Schichtpilz und trägt dann später wiederum als ausgewachsene Holzwespe die Sporen zum nächsten Baum. Pilz und Wespe können so dazu führen, dass bis zu 80 Prozent der Bäume in einem befallenen Gebiet absterben. Die eingeführte Holzschlupfwespe parasitiert die Larven der Fichtenholzwespe und sorgt so dafür, dass die nächste Generation Schädlinge nicht heranwachsen kann. Verschiedene Wespenarten gezielt zur Schädlingsbekämpfung einzusetzen, ist somit kein örtlich begrenztes Konzept, sondern etwas, was sich weltweit bewährt.
Trotz ihres oft als bedrohlich wahrgenommenen Äusseren sollte man Wespen daher als das ansehen, was sie sind: ein wichtiger Teil der Natur, ohne die auch wir Menschen nicht leben könnten.
Was gegen Wespen hilftWährend Wespen sich von süssen Gerüchen angezogen fühlen, so haben andere die gegenteilige Wirkung. Wer zum Beispiel grosszügig Lavendel und Pfefferminze auf dem Balkon pflanzt, der dürfte von den Plagegeistern weitgehend Ruhe haben. Auch Duftlampen mit den ätherischen Ölen dieser Pflanzen können als Ersatz helfen. Für uns erfrischend, für fliegende Tiere jedoch ein Warnzeichen: Ein durch eine Sprühflasche simulierter Regenschauer vertreibt Wespen zumindest für eine Weile.
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