Richtet euren Feldstecher auf das Graureiher-Nest. Wenn ihr es scharf und nicht doppelt seht, passt’s.» So die Anweisung der Leiterin der Mini-Vogel-Exkursion Anja Burkhardt. Andächtig halte ich den Feldstecher in den Händen – mindestens 500 Franken kostet das gute Stück. Es ist das erste Mal, dass ich an einer Vogelexkursion teilnehme und ein so teures Instrument auf unsere heimischen Gefiederten richte. Der Graureiher stochert mit seinem Schnabel im Nest. Ich sehe ihn scharf. So weit, so gut.

Das moderne Holzhaus des Besuchszentrums schmiegt sich wie ein Schwanennest an den Sempachersee. An einem Sonntag im Monat bietet die Vogelwarte eine kleine Vogelbeobachtungs-Exkursion für Anfänger an. 25 Leute zieht es an diesem eisig kalten Sonntagmorgen ins Luzernische. «Oh, schaut mal, ein Rotmilan! Erkennbar am eingekerbten Schwanz.» ruft Anja Burkhardt. Über unsere Köpfe gleitet ein grosser Vogel hinweg. Es wirkt, als hätte die Vogelwarte die lokale Vogelwelt auf genau 10.15 Uhr bestellt. Und schon folgt der wichtigste Tipp für Neueinsteiger: Einem fliegenden Vogel sollte man zuerst mit den Augen folgen. Wer direkt zum Feldstecher greift, läuft Gefahr, den Vogel im weiten Himmel aus den Augen zu verlieren.

Nachdem die Feldstecher passend eingestellt sind, geht es in den Vogelgarten. Natürlich ist dieser für die heimischen Vögel eingerichtet: Neben hohen Bäumen mit Storchen- und Graureiher-Horsten sind Nisthilfen für Höhlenbrüter wie Meisen und Stare verteilt. Am Boden des kleinen Wäldchens thronen Totholzhaufen, die den Vögeln als Nahrungsquelle und Unterschlupf dienen. Die Äste und Baumstämme aus dem eigenen Garten dienen aber auch Igeln und Amphibien als Zuhause. Im Wald singen die Vögel – das Zwitschern habe vor ein paar Tagen angefangen, erzählt Anja Burkhardt. Die meisten in der Schweiz heimischen Vogelarten singen zur Balz im Frühling und Sommer. Eine Meise fliegt über die kleine Aa, ein Flüsschen, das neben der Vogelwarte in den See rinnt. Ich erhasche sie mit dem Feldstecher. «Das ist eine Kohlmeise.» Anja Burkhardt packt ihr Bestimmungsbuch aus und zeigt uns das Vögelchen: blaue Flügel, eine gelbe Unterseite und ein schwarzer Kopf. Für Anfänger seien Weibchen und Männchen fast nicht zu unterscheiden.

Knipsen und bestimmen

Wer Vögel beobachten will, sollte sich neben einem Feldstecher ein Bestimmungsbuch zulegen. Livio Rey, Biologe der Vogelwarte, hat eine Einstiegshilfe ins Vogel-Erkennen und -Beobachten geschrieben. Darin werden 170 der 430 heimischen Vogelarten vorgestellt. Das Buch richtet sich gezielt an Vogelfreunde, die noch wenig Erfahrung haben, aber welche sammeln möchten. Neben einem Feldstecher, dessen Preis nach oben hin offen ist, lohnt sich auch eine Kamera. Ein Foto macht die Bestimmung einfacher. Auf dem kleinen Teich treibt ein Vogel mit bräunlichem Gefieder und auffälligen Kopfschmuck. Meine Vermutung liegt beim «Huubetaucherli», wie meine Grossmutter sie nennt. Bis ich das Handy gezückt habe, ist der Haubentaucher aber schon untergetaucht. «Jetzt bleibt er bis zu einer halben Minute unter Wasser.» Gar nicht so einfach, diese Vogelbeobachtung. Hätte ich den Taucher fotografiert, könnte ich meine Vermutung später überprüfen. «Geduld», sagt Anja Burkhardt – der wichtigste Tipp für Einsteiger. Vögel zu entdecken und sie auch noch sicher zu bestimmen, braucht eben Zeit. Auch Livio Rey empfiehlt, die ersten Beobachtungen im Kleinen zu beginnen – etwa im eigenen Garten oder im nahegelegenen Park. Seltenere Vögel wie der Eisvogel oder der Grünspecht sind beeindruckend, doch auch die heimischen Sperlingsarten bieten spannende Entdeckungen. Tatsächlich gibt es sechs verschiedene Arten – Spatz ist also nicht gleich Spatz.

Verantwortungsvolles Beobachten

Livio Rey erklärt, wie verantwortungsvolles Beobachten geht. Das Wichtigste: immer auf den Wegen bleiben. So werden die Vögel nicht in ihren Ruhezonen gestört. Zudem sollten alle Naturschutzvorschriften eingehalten werden. Die Vögel dürfen durch die Beobachtung nicht gestört werden – die Piepmätze fühlen sich meist schon lange vor dem Auffliegen gestört. Zu Vogelnestern sollte man genügend Abstand halten, denn das Brutverhalten darf gesetzlich nichtgestört werden. Wenn Vögel bei der Brut behelligt werden, kann es sein, dass sie aus Angst das Nest mitsamt Nachwuchs auf-geben. Ein weiterer, sehr wichtiger Hinweis: Vogelgesänge sollte man nicht nachahmen. Sie stören die Tiere meist nur – und klingt der Gesang zufällig nach einem Fressfeind, kann ihnen dies unnötige Angst einjagen. Auch beim Fotografieren braucht es Rücksicht: Am besten verzichtet man dabei auf Blitzlicht. Beide empfehlen, Vögel in der Gruppe zu beobachten. Das Bestimmen kann alleine schnell frustrierend sein, doch in der Gemeinschaft helfen sich die Vogelfreunde gegenseitig. Organisationen wie die Vogelwarte, Birdlife oder regionale Naturschutzvereine bieten dazu Kurse und Exkursionen an. Meist begleitet eine erfahrene Expertin oder ein Experte die Teilnehmenden, sodass Neueinsteiger von deren Wissen profitieren können. Wurde eine Art identifiziert, lässt sich die Beobachtung auf ornitho.ch melden – eine Citizen-Science-Plattform für Ornithologinnen und Ornithologen in der Schweiz, getragen von Organisationen wie der Vogelwarte und info fauna.

Weit draussen auf dem See treiben Blässhühner. Mit ihrem schwarzen Gefieder, dem weissen Schnabel und dem markanten Stirnschild sind sie leicht zu erkennen. Das Highlight der Mini-Exkursion ist jedoch ein Rotkehlchen. Es flattert auf einen Drahtzaun und scheint die Gruppe neugierig zu beobachten. Unverkennbar mit seiner roten Brust und Kehle. Es wurde von Birdlife zum Schweizer Vogel des Jahres 2025 gewählt.

Laut einer Studie macht das Zwitschern von Vögeln übrigens glücklich – es lohnt sich also, die Piepmätze nicht nur zu sehen, sondern auch bewusst zu hören.